laut.de-Kritik

Vom Rüpel zum Chorknaben.

Review von

"Schon das zweite Mal, dass ich bei MTV Unplugged spiele", witzelt Liam ins Mikro und kündigt ein paar Sekunden später "Once" in der Hull City Music Hall an. So muss es sein, denn beim Oasis-Auftritt 1996 kniff das Großmaul und ließ Brüderchen Noel alleine den Abend bestreiten. An diese zweite Chance hatte der sonst so selbstbewusste Sänger wohl vor ein paar Jahren selber nicht mehr geglaubt. Die Karriere schien nach dem Aus von Oasis vorbei, bis der bereits Angezählte mit soliden Comeback-Alben und klugem Management wieder zurück ins Rampenlicht trat. "Biblical", so bezeichnet er auf Twitter seine Auftritte, und so durften Fans vergangenen Sommer in der Hull City Music Hall dem leibhaftigen Wiederauferstandenen beiwohnen.

"Rock'n'Roll" prangt für gewöhnlich in riesigen Lettern hinter ihm, wenn er im unvergleichlichen Liam-Walk breitbeinig auf die Konzert- und Festivalbühnen watschelt. An diesem Abend fehlt der Kampfbegriff, ein Orchester und Background-Sängerinnen sollen trotzdem für Glamour sorgen. Leider hapert es schon beim Einstieg "Wall Of Glass" an guten Ideen. Der satte Stampfer verkommt einfach zu einer unspannenden Pub-Nummer.

Auch "Some Might Say" steht kurz davor, als nächster zahmer Rohrkrepierer zu enden, doch zum Glück stimmt ein euphorisiertes Publikum in die schwachbrüstige Darbietung ein und bringt die Nummer doch noch nach Hause. Die Menschen in Kingston upon Hull lieben ihn, und zwischen den Songs brandet immer wieder Beifall auf. Balsam auf seine Seele, denn schon die sehenswerte Doku "As It Was" zeigte überraschend viele Selbstzweifel hinter der großen Klappe. Er ist nun mit Mitte 40 wirklich angekommen, und außer unterhaltsamen Twitter-Perlen ist nicht mehr viel von dem Rüpel von einst geblieben.

Die faszinierende Ignoranz von früher blitzt nur noch selten auf, ansonsten fehlt der punkige Rotz von einst deutlich. Die jahrelangen Saufeskapaden haben zudem wohl ihre Spuren hinterlassen. Liam brüllt sich durch Balladen wie "Once", als müsse er in erster Linie allen Mut zusammennehmen und seine Bedenken wegschreien. Was auf einem Rockkonzert noch seinen Reiz hätte, wirkt in einem Unplugged-Rahmen unpassend.

Besonders fällt das bei den Oasis-Songs im Set auf, die trotz der Hilfe des ehemaligen Mitstreiters und Freunds Paul "Bonehead" Arthurs einfach nicht dem Vergleich mit früher standhalten können. "Sad Song", der Bonustrack von "Definitely Maybe", verliert im matschigen Orchestersound und wird von Liam unangenehm nach vorne gepresst. Auch das magische "Cast No Shadow" verkommt zu einer seichten Schunkelnummer. Es bleibt zudem ein fader Beigeschmack, wenn sich Liam mit den Federn seines Bruders schmückt. Sicherlich war er die Stimme der Britpop-Legenden, aber die Songs für die Ewigkeit komponierte eben Bruder Noel. Warum eine großartige Eigenleistung wie "Songbird" fehlt, bleibt hingegen ein Rätsel.

Aber das große Highlight kommt zum Glück doch noch: Mag es an der zunehmenden Souveränität oder dem beruhigenden Jubel der Fans liegen, aber "Gone", auf dem Album noch glattgebügelt und unspektakulär, erfährt plötzlich dramatische Relevanz und wächst zu einem großartigen Song heran, der es in dieser Version sogar mit Oasis-Material aufnimmt. Was zeigt, dass Liams Stimme im passenden Umfeld funktioniert. Dass dies aber daran liegt, dass er selbst nicht im Fokus des James Bond-artigen Songs steht, sollte ihm zu denken geben. Möge er trotzdem an diesem Abend genügend Selbstbewusstsein sammeln und der Welt endlich beweisen, dass er nicht nur zum charismatischen Performer taugt.

Trackliste

  1. 1. Wall Of Glass
  2. 2. Some Might Say
  3. 3. Now That I Found You
  4. 4. One Of Us
  5. 5. Stand By Me
  6. 6. Sad Song
  7. 7. Cast No Shadow
  8. 8. Once
  9. 9. Gone
  10. 10. Champagne Supernova

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