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Mit:
Datum: 18. April 2002
Location: Kopierbar
Berlin
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Hallo Klapse, here I come: Berlin erlebte 45 Minuten Abfuck-Rock aus New York.

Review von Philipp Schiedel

Man darf einer Werbemail, die mit Zitaten aus dem NME angibt, nicht trauen. Soweit der Vorsatz. Doch gute Absichten halten ja nie länger als Neujahr und so muss man sich seiner Neugierde bei den verteilten Schlagwörtern Lee Ronaldo und Aphex Twin einfach geschlagen geben, und dem Mute-Label samt seinem frischen Signing Liars hinterher rennen.

Eine Woche später steht dieses dann auf der 20cm hohen Bühne der Berliner Kopierbar und will seinen ersten Europa-Gig meistern. Optisch gelingt den Liars das schon mal perfekt: "Hallo Klapse, here I come". Ein 2-Meter-Sänger mit Struwwel-Frisur, hypnotischem Blick und einer Touristen-Kappe mit "South Dakota"-Emblem zuckt apathisch umher und ist sich seiner Rolle als Frontman völlig bewusst, während sein Gitarrist auf dem Boden kniet und in ein Mikro schreit. Zur linken steht ein Basser mit Halbglatze, der wie ein Biolehrer aussieht. Davon ist allerdings wenig zu sehen, als er in seine vier Saiten haut und völlig austillt. Ein paar Songs später "spielt" er sogar auf einem Kinderdrumpad ... So sollte Rock'n'Roll heutzutage öfter aussehen.

Die Liars machen schnell klar, dass sie Individualität gefressen haben. Die Gitarre pendelt zwischen irrsinnigen Akkordwechseln und punkigem Schrammeln. Meistens endet sie aber in einem lauten Fiepen, dass nur noch durch die abgedrehten Schreie aus den Boxen übertönt wird. Strophe, Refrain, Melodie und der komplette Song versinken im Chaos des Lärms. Hauptsache gegen den 4/4-Takt, das scheint die einzige Devise der New Yorker zu sein. Der erwartete Electro-Anteil bleibt dann aber in der Live-Performance sehr zurückhaltend und nur vereinzelt kommen die Clongs durch den Krachbrei hervor. Auf der Bühne sind die Liars mehr zerissene Saite als 303. Da sind Vergleiche kaum anzusiedeln. Hätten punk ihre Platten auf Warp veröffentlicht, wäre das wohl so etwas wie Konkurrenz gewesen. Weiter draußen als die Liars geht es kaum, aber trotzdem verbreitet die Band ein zufriedenes Kopfnicken im Publikum, das nach dem Einsatz sucht. Obwohl zwischen den einzelnen Songs auf Grund ihres abgehackten Chaos kaum Unterschiede zu erkennen sind, rockt der Gig seltsamerweise. Rock vs. die Suche nach dem Song funktioniert an diesem Abend, obwohl jeder der Liars-Songs bestens dafür geeignet sein dürfte, eine Tanzfläche zu leeren. Niemand wird wissen, wie er sich dazu bewegen sollte.

Zu guter Letzt schmeißt man sich noch ins Schlagzeug (das musste ja kommen!) und die Boxen geben ein letztes Rauschen von sich. Viel zu verwirrt, um das Geschehen auf der Bühne verstanden zu haben, bleibt man ratlos zurück. Eins ist nach 45 Minuten Abfuck-Show aber sicher: dieser abstrusen Garagen/Electro-Mischung muss man definitiv noch mal Chancen auf Platte geben. Und zwar nicht nur eine.

Artistinfo

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