laut.de-Kritik

Geschmackvolle Archiv-Arbeit, aber kein Meilenstein.

Review von

Posthume Releases sind nicht einfach. Es ist der tragische Status Quo, dass in den letzten Jahren mehrere Rapper aus der Soundcloud-Szene zu früh gestorben sind und es ihren Angehörigen anheim gefallen ist, das Erbe zu verwalten. Dabei entstanden Geschichten, die mulmig stimmen. Von Verwandten, die die Leiche auf die letzte Mark ausbluten bis zu nie veröffentlichten Songs. "Everybody's Everything" ist die große posthum-Kompilation, mit der die Angehörigen und das Label des Emo-Trap-Pioniers Lil Peep zu einem schmerzlichen Schluss gelangen. Es ist eine treuherzige, enzyklopädische Ansammlung seiner unverrichteten Dinge. Auch wenn dabei kein neues Forte in seinem Katalog entsteht, ist es der geschmackvollste und angemessenste Umgang mit dem Tod eines Rappers, den man finden könnte.

Grundsätzlich spaltet sich die Sammlung in zwei Teile, die verschiedene Aufgaben erfüllen. Die erste Hälfte besteht aus acht unveröffentlichten Nummern, die Produzenten wie BigHead zu einem offiziellen Release führen. Die zweite Hälfte sind alte Soundcloud-Klassiker, die endlich mit geklärten Samples veröffentlicht werden. Entsprechend braucht es ein paar Nummern, bis man wirklich auf das Gold der Platte stößt. Die einleitenden Loosies sind nicht unbedingt essentielle Peep-Songs.

"Aquafina" ist ein schräger und unharmonischer Brag-Song übers Drogennehmen, auf dem Rich The Kid sein 2016 versprochenes Feature einlöst, das so unpassend und eigenartig über die Bühne geht, wie man es erwarten würde. "Ratchet Bitches Cocaina" ist der Diplo-Song mit Lil Tracy, von dem schon Tracy sagte, dass er "kinda sucks". Tut er wirklich. "Liar" hat zwar einen schönen Beat, aber einen eher halbgaren Freestyle über Zivilbullen von Peep, der sich etwas aus dem Element anfühlt.

Später gibt es Songs, die von seltsamen Gastbeiträgen von Peep-Weggefährten Gab3 und Young Era eher zurückgehalten wird. Gerade Ersterer hat zwar mit Nummern wie "Lost In The Night" seine Perlen vorzuweisen, klingt hier aber unbeholfen. Das ist blöd, weil er auf satten drei der acht neuen Nummern auftaucht, ohne sich auch nur auf einer schmeichelhaft zu zeigen. Kurz vor der Hälfte schwingt die Platte dann aber schwer nach oben.

"Text Me" und "Moving On" sind strukturell und musikalisch wunderschöne Nummern, die das Emo-Konzept würdevoll und intensiv ausführen. Peep kann sich in seiner charismatischsten und ausdrucksstärksten Facette zeigen und setzt in den ruhigeren Stellen der Instrumentals atmosphärische Akzente. "I've Been Waiting" mit IloveMakonnen wird noch einmal als Original ohne Fall Out Boy herausgebracht und klingt damit um einiges verspielter und organischer, aber auch andere unbekannte Nummern wie "Belgium" sind solide Ergänzungen des Katalogs.

Die wirklichen Highlights tummeln sich dann allesamt im letzten Drittel. "Witchblades" sollte inzwischen ohnehin jeder als den unsterblichen Ohrwurm kennen, der er ist. Endlos zitierfähig, ein wahnsinniger Song um ein verfälschtes Three Days Grace-Sample. "White Tee" ist ein schräger, aber ikonischer Soundcloud-Banger um ein prominentes Postal Service-Sample, das erschien, als Lil Tracy sich Yung Bruh nannte. "Ghost Boy" ist ein unglaublicher Song mit passend ätherischer Instrumentierung und einer Gravitas in Peeps Stimme, die er so nur auf "Crybaby" noch einmal erreicht hat.

"Walk Away As The Door Slams" schließt die Platte dann mit einer akustischen Version eines alten Songs. Ein schwermütiges, melancholisches Ende. "Everybody's Everything" zeigt in der vollen Länge noch einmal den Facettenreichtum und das Charisma, das Lil Peep eigentlich dazu bestimmt hätte, der Superstar zu werden, der er nie sein konnte. In diesem Kontext richtet die Kompilation sich aber eher an seine Fans als an neue Hörer, denn gerade der Einstieg ist eher Archiv-Arbeit. Wer einen neuen Zugang sucht, sollte sich vielleicht eher "Lil Peep Part One", "Hellboy" oder "Castles 2" mit Lil Tracy auf Soundcloud anhören. Das bleiben nämlich die intensivsten und ungefiltertesten Projekte, die Peep und sein Schaffen auf den Punkt bringen.

Trackliste

  1. 1. Liar
  2. 2. Aquafina (feat. Rich The Kid)
  3. 3. Ratchets (feat. Lil Tracy, Diplo)
  4. 4. Fangirl (feat. Gab3)
  5. 5. LA To London (feat. Gab3)
  6. 6. Rockstarz (feat. Gab3)
  7. 7. Text Me (feat. Era)
  8. 8. PRINCESS
  9. 9. Moving On
  10. 10. Belgium
  11. 11. When I Lie
  12. 12. I've Been Waiting (feat. ILOVEMAKONNEN)
  13. 13. Live Forever
  14. 14. Ghost Boy
  15. 15. Keep My Coo
  16. 16. White Tee (feat. Lil Tracy)
  17. 17. Cobain (feat. Lil Tracy)
  18. 18. Witchblades (feat. Lil Tracy)
  19. 19. Walk Away As The Door Slams - Acoustic (feat. Lil Tracy)

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