laut.de-Kritik

Der Endboss der algorithmischen Musik.

Review von

Ich wollte irgendwann einmal eine Rundmail rumschicken und als Embargo vorschlagen, nicht mehr alle langweilige Musik als AI-generiert zu beschimpfen. Das geht langsam echt ein bisschen inflationär so. Aber gerade, wo ich mich an die eigene Nase fassen möchte, steht da dieser Endboss der algorithmischen Musik vor mir. "Seductive" von Luciano ist generischer Playlist-Müll auf Spielfilmlänge. Dieses viel zu lange Album bröselt so leblos und sinnlos an einem vorbei, ich wette, in zwei Wochen könnte Luciano selbst keine drei Lines mehr daraus zitieren.

Das ist supertragisch, denn vor ein paar Jahren hat Luciano noch gezeigt, dass er so viel mehr sein könnte. Der Junge hat den Skill, er hat die Ausstrahlung, er hat die Pop-Sensibilität. Als er mit "Aqua" ein ziemlich krasses Album gedroppt hat, war es der Szene aber irgendwie auch egal. Sein Kram ist erfolgreich, solange er trendy klingt, egal, ob er sich Mühe gibt oder nicht. Also: Warum es überhaupt versuchen?

Das Ergebnis: "Seductive". Dieser Albumtitel lügt. Wirklich niemand wollte ein 29-Tracks-Album von Luciano. Zumindest nicht in diesem Modus. Erstmal: Dieses Album hat zwei Intros. Nicht in irgendeinem Konzept-Sinn, es ist einfach nur, dass er bei der Track-Massentierhaltung, die er da betreibt, wohl zwei Intros herausbekommen hat. Whatever, wird er sich gedacht haben, schmeißt einfach beide auf das Album. Warum auch Pacing oder Kohärenz. Schmeißt das zweite doch gleich irgendwo in die Mitte vom Album. Wen juckts?

Wenn etwas an diesem Album auffällt, dann Lucianos weiter wachsendes Bedürfnis, irgendwie international wahrgenommen zu werden. Zumindest versucht er, sich diese Aura zu verschaffen, indem er Unmengen an internationaler Features einkauft. Aitch und BIA dürfen nochmal und nochmal nach dem Erfolg von "Bamba" für relativ generische Features vorbeikommen, jetzt wo sie wissen, dass sie im deutschen Markt schockierend viel Geld scheffeln können.

Niska und Freeze Corleone aus Frankreich, Omah Lay aus Nigeria, UZI aus der Türkei, Morad aus Spanien, Sfera Ebbasta aus Italien, Stefflon Don von den Briten und ein gewisser ... RAF Camora aus dem fernen Österreich. Beeindruckend, dass sein Label ihm so viel Budget gegeben hat, um halbgare Features einzukaufen, die im Endeffekt keinen jucken werden. Alle, wirklich alle dürfen bestenfalls ihren eigenen Sound aufs Stereotypste heruntergebrochen mitbringen und machen dann diesen klassischen Part. Ihr kennt ihn, oder? Diesen 'Ich bin ein Ami und feature auf einem deutschen Song, ey, what's good, Germany?'-Part, der komplett nach Pflichtarbeit klingt. Witzigerweise scheint Luciano selbst mit seinen gottlos austauschbaren Tracktiteln die Illusion schaffen zu wollen, das sei gar kein deutsches Album. Aber ich glaube nicht, dass seine Sprache der Grund dafür ist, dass dieser Mist sonstwo nicht gehört wird.

Unnötig zu erwähnen, dass dieses Album null roten Faden oder kreative Vision hat. Wenn irgendetwas im letzten Jahr auf dem deutschen Streaming-Markt gelaufen ist, dann macht Luciano das irgendwo im Unterholz dieses Sumpfs von einem Album wahrscheinlich auch. Das ist dann nicht nur manchmal spürbar von einer Inspiration nachgebaut, wie "Mami" mit BIA offensichtlich sehr gerne Drakes "Wants And Needs" geworden wäre, oft genug nimmt Luciano den Ziel-Song einfach gleich ganz in die Hand.

Ja, er ist einer der Haupt-Übeltäter in einem der schlechtesten Sampling-Zeitalter der Deutschrap-Geschichte. Sein bizarrer Hurts-Aufguss "Wonderful Life" blieb diesem Album glücklicherweise erspart (bei 30 Tracks wäre es dann wohl einer zu viel gewesen), weswegen hier nicht all zu viele von diesen Songs vertreten sind. Trotzdem war der Anspruch nicht hoch, dass er auf "We Too Deep" nicht Reezy den verdammten "Thong Song" remixen lassen würde.

Dass ein paar Songs auf diesem Megaprojekt funktionieren, ist schließlich mehr eine Frage der Quantität als Qualität. "Cold Princess" hat einen ganz coolen elektronischen Groove. Der wahrscheinlich interessanteste musikalische Moment wird für den "Seductive - Skit" auf 60 Sekunden Skit abgeschnitten - wir wollen ja nicht den Eindruck erwecken, hier würde sich jemand Mühe geben oder gar Gedanken machen. "2 Germans" mit Gzuz ist der einzige Song, der hier so etwas wie Persönlichkeit an den Start bringt. Das ist schräg, war Luciano doch in seinem Come-Up eigentlich immer eine ziemlich schwer zu übersehende Präsenz. Hier ist er Filler über Filler über Filler, so austauschbar, dass es quietscht.

Was macht man mit "Seductive"? Verführen lassen wird man sich von diesem Machwerk eher nicht. Was ist das bitte für ein beschissenes Pop-Album, das wahrscheinlich selbst hartgesottenen Luciano-Fans zu viel wäre, um es in einem oder gar zwei Sitzungen durchzuhören. Dieses Album braucht Sitzfleisch wie ein Tarkovski-Film für die Substanz einer H&M-Werbung. Es ist fast so, als wolle es über sich selbst sagen: Mach das einfach an, lass es in den Hintergrund fallen, achte gar nicht so genau darauf. Dann klingt es immerhin überzeugend genug wie zeitgenössischer Hip Hop. Und ist das nicht das, was es so algorithmisch macht? All diese Musik wurde nie dafür gemacht, dass überhaupt jemand je darauf achtet.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Intro II
  3. 3. Time
  4. 4. DTMS
  5. 5. Another Vibe (feat. Omah Lay)
  6. 6. What Happened
  7. 7. Soldier (feat. Aitch)
  8. 8. Young And Dangerous
  9. 9. Love You More (feat. Nemzzz)
  10. 10. Mami (feat. BIA)
  11. 11. Beverly Hills Freestyle
  12. 12. Cold Princess
  13. 13. Blue Porsche (feat. Niska)
  14. 14. Facts
  15. 15. Haaland (feat. Freeze Corleone)
  16. 16. Bracelet Van Cleef
  17. 17. Risk (feat. UZI & Sfera Ebbasta)
  18. 18. We Too Deep
  19. 19. All I Need
  20. 20. Bars Afrique (feat. Stefflon Don & Hoodblaq)
  21. 21. Familia (feat. Morad)
  22. 22. Big Dream
  23. 23. 2 Germans (feat. Gzuz)
  24. 24. Darling
  25. 25. Seductive - Skit
  26. 26. Kinder der Streets (feat. RAF Camora)
  27. 27. Al-Fayed
  28. 28. The One
  29. 29. Outro

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