laut.de-Kritik

Deutschraps Helene Fischer. Nur wehleidiger.

Review von

Bevor es so richtig losgeht, nimmt MC Bilal in der zweiten Zeile des ersten Parts auf "Herzblut" folgendes vorweg: "Wer mein Album kritisiert, beleidigt mein Kind."

Bevor diese Kritik so richtig losgeht, folgende Klarstellung, nur für MC Bilal: Wer so viel Angst davor hat, nicht gemocht, in Bilals Fall nicht geliket zu werden, sollte darüber nachdenken, keine Musik zu veröffentlichen. Tut er trotzdem. Deswegen wird mir das jetzt alles viel weniger weh tun als ihm, und da bin ich überhaupt nicht stolz drauf. Aber als Musiker sollte man so etwas abkönnen, beziehungsweise sollte man noch in der Lage sein, über der Meinung irgendeines unterbezahlten Heinis bei irgendeinem Musikmagazin drüberzustehen.

Dabei beginnt das Album gar nicht mal übel. Dramatische Streicher heben an, Großväterchen, bekannt vom letzten Album, spricht wieder das Intro und erzählt dasselbe wie letztes Jahr. Nämlich, dass Bilal ein braver Junge ist. Abgesehen von seinem äußerst fragwürdigen Kunstverständnis rappt er sich danach Einiges von der Seele. Der Tod des Schwagers "stach eine Axt in mein Herz", außer Busenkumpel Pietro Lombardi will ihn offenbar niemand so recht featuren, die Berufskollegen sind alle verlogen und verkauft, Bilal selbst verbittert vom Rapzirkus.

"Vor meinem Album war es ruhig um mich / ich weiß Bescheid / ich schwöre, niemand hat mir zu dieser Zeit / die Hand gereicht", fährt er auf "Überall Wo Liebe Ist" fort und meint damit die Zeit, bevor er mit 22 vom Majorlabel Universal unter Vertrag genommen wurde. Muss in der Tat hart gewesen sein, wie er in "Für Die Familia" weiter ausführt, für die er das alles macht.

Dass Bilal das alles wirklich bewegt, kann und will ihm hier niemand absprechen. Objektiv gesehen ist das aber für jeden, der nicht erst seit zwei Wochen Rap auf Deutsch hört, schon nach drei Tracks ein Haufen Klischees im alpinen Maßstab. Der wird im weiteren Verlauf des Albums nicht kleiner, dafür breiter. Die meisten jüngeren Semester werden sich wahrscheinlich noch an den einen Typen aus der Schule erinnern, der diesen Track über seine Ex gemacht hat. Ein Homie hat dazu ein bisschen Klavier gespielt und irgend ein Mädel hat die Hook gesungen, schließlich meint er es nur gut. Hinterher wollte niemand so wirklich etwas damit zu tun haben.

Diesen Track gibt es auf "Herzblut" in dreifacher Ausführung ("Deine Liebe Ist Mein Leben", "Für Immer feat. David Veiga", "Du Gehörst Zu Mir"). Das Mädel, dass die Hook von "Deine Liebe Ist Mein Leben" singt, kann leider nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden, da Bilal, seinen im Prinzip löblichen Aussagen in Sachen Respekt vor Frauen zum Trotz, sie nicht mit ihrem Namen als Feature ausweist.

Entweder jammert er also über das Game, oder er jammert über die Frauen, wenn er nicht gerade darüber jammert, dass die anderen den Islam benutzen, "um ihr Image zu polieren". Der rechtgläubige Bilal hingegen nennt einen Track "Alhamdulillah", natürlich ohne jede kommerzielle Erwägung, schmeißt mit Suren, Wallahs und Inshallahs um sich, dass man sich, bei allem Respekt für seinen persönlichen Glauben, nach knapp einer Stunde etwas gehirngewaschen fühlt.

Nochmals, dass er Grund zum jammern hat, kann ich ihm gar nicht absprechen, ohne ihn zu kennen, vor allem den Tod des Schwagers erwähnt er immer wieder. Richtig, richtig unangenehm berührt ist man aber, wenn Bilal in "Ruhe In Frieden" als "Feature" anscheinend das Kind des Verstorbenen ins Rampenlicht zerrt. Fraglich, inwieweit dieses beurteilen konnte, wie viele Menschen seine persönlichsten Worte hören werden, und dass die jetzt für immer im Internet stehen.

Das ist bezeichnend für die ganze Art und Weise, wie dieses Album mit dem Holzhammer Emotionen erzeugen will. Neben Bilals permanentem Geschwafel über seine moralisch weiße Weste und seine Familienehre nimmt dieser Holzhammer die Form von allerschmalzigstem Piano und Streichern an, die diese Platte musikalisch dominieren. Gefühlige Deutschrapbeats von vor zwölf Jahren, nur dicker produziert.

MC Bilal, ein urdeutsches Kulturphänomen: Da räumt ein technisch bestenfalls mittelmäßiger Rapper einen Majorvertrag und mehr als ordentliche Verkaufszahlen ab, weil er ja ein ganz Lieber ist. Einer, der ständig betonen muss, wie sehr im alles Exzentrische abgeht, wie wichtig ihm Respekt, Anstand, Ehre und Glauben sind. Schlager- und CDU-Rap von einem, der sich als moralische Autorität nur ganz knapp unter dem Propheten selbst sieht und massiv beleidigt reagiert, wenn man seine geistig-moralischen Plattitüden als solche benennt, für den Rap keine Kunst ist, sondern privates Gelaber.

Blöd nur, dass ich nicht in die Zielgruppe falle, weil ich ein heidnischer, anstands- und ehrenloser Geselle mit einer großen Bewunderung für alles Exzentrische bin. Blöd nur, dass ich da nicht alleine bin, und wir es als übergriffig empfinden, was uns die Kulturindustrie in diesem Land als "so richtig toll, richtig bodenständig" reinwürgt, sei es nun "unsere Helene" oder ihr Deutschrap-Gegenstück MC Bilal. Eine Null, die sich im Titeltrack allen Ernstes in einem Atemzug mit Tupac Amaru Shakur nennt, dem Toten die Melodie von "Changes" abrippt und sie in einem Track namens "LaLaLaLaLa" verwurstet. Dem ist nichts hinzuzufügen. Bitte, hetz' mir jetzt nicht Pietro auf den Hals.

Trackliste

  1. 1. Herzblut
  2. 2. Überall Wo Liebe Ist
  3. 3. Für Die Familia
  4. 4. Deine Liebe Ist Mein Leben
  5. 5. Alhamdullilah
  6. 6. Bruder feat. André Sevn
  7. 7. Ich Bin Nicht Wie Du feat. David Veiga
  8. 8. Für Immer feat. David Veiga
  9. 9. Mama
  10. 10. Oh Habibi
  11. 11. LaLaLaLaLa feat. André Sevn
  12. 12. Du Gehörst Zu Mir
  13. 13. Polo
  14. 14. Wegen Geld
  15. 15. Ruhe In Frieden
  16. 16. Rap Im Blut

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