laut.de-Kritik

Doch doch, türlich türlich, sicher Dicker!

Review von

Auf den ersten Eindruck mag es überraschen, dass die in ihren 50ern angekommenen Elder Statesmen des britischen Pop nur drei Jahre nach dem letzten Studioalbum schon wieder ein neues Werk veröffentlichen. Doch für einen Auftritt auf dem Dach des Buckingham Palace zum Thronjubiläum der Queen muss man eben auch als Profi öfter den Proberaum frequentieren, selbst wenn Teile der Vorzeige-Londoner mittlerweile in Brighton, Amsterdam und auf Ibiza leben.

Die Madness-Story ist also trotz des dafür eigentlich perfekt geeigneten 2009er-Konzeptalbums "The Liberty Of Norton Folgate", das die multikulturelle Identität und den Charakter der Heimat London typologisierte, noch nicht zu Ende. Die britische Presse pries das Werk seinerzeit als ihr "Sgt. Pepper's" und man konnte es ihnen nicht verdenken: Mehr als zehn Jahre nach dem Vorgänger "Wonderful" (das Spaßprojekt "The Dangermen Sessions" mal ausgenommen) rechnete niemand mehr damit, dass der Siebener noch einmal alte Albumqualitäten erreichen würde.

Obwohl fast alle Mitglieder betonen, dass ihnen vor allem die Auftritte am Herzen liegen (mit denen ja auch das meiste Geld verdient wird), klingt "Oui Oui, Si Si, Ja Ja, Da Da" zu keiner Minute nach einer lästigen Pflichtübung. Am meisten Diskussionen scheint die Suche nach dem Albumtitel entfacht zu haben, weswegen die sechs weiteren Vorschläge der Einfachheit halber gleich mit aufs Cover genommen wurden.

Schon der augenzwinkernd betitelte Eröffnungstrack "My Girl 2" von Keyboard-Hitmeister Mike Barson fährt alle Sunshine Pop-Register der Gruppe auf und hinkt qualitativ gar nicht meilenweit hinter dem 1979er Klassiker "My Girl" hinterher. "Never Knew Your Name" erschlägt einen förmlich mit Sentimentalität und lässiger Attitüde und fährt gleichzeitig einen ebenso starken Refrain auf. Spätestens hier dürfen sich alle Fans freuen, denn auch wenn Madness längst klingen wie ihre eigene Coverband: Das Ausgangsmaterial bleibt einfach zeitlos gut.

Und tönt eben unzweifelhaft nach Madness, egal ob sie mit ihren Stammproduzenten Langer und Winstanley arbeiten, oder wie dieses Mal mit fünf verschiedenen Leuten (darunter Stephen Street). Da wird Rocksteady mit einem Schuss Mariachi ("La Luna") gewürzt oder schön hängemattentauglich runtergetunet ("Kitchen Floor") und am bandeigenen Ska-Pop-Ansatz in einer Form weitergeschraubt, die keine Fragen offen lässt. Hört man "Misery", denkt man zunächst an "Madness", bei "Leon" dann an "The Sun And The Rain", aber die Originale verblassen schnell hinter den neuen Melodien.

Insgesamt kommt das neue "Oui Oui"-Album mehr aus der Hüfte als "Norton Folgate", was vielleicht daran liegt, dass damals das Konzept im Mittelpunkt stand. Nun sind es wieder die Arrangements und die Hit-Refrains, die auch "So Alive" und "Small World" prägen. Dass die Thematik gelegentlich auch ernstere Formen annimmt, belegt am eindrücklichsten wohl "Death Of A Rude Boy", ein Song aus der Feder des zweiten Sängers Chas Smash.

Niemand wäre für dieses Thema besser geeignet gewesen als der Ex-Vorzeige-Rude Boy der Band, der bei den ersten Madness-Shows nur als Tänzer und Ansager fungierte und auf dessen Konto auch der legendäre Schlachtruf "Hey you, don't watch that, watch this. This is the heavy heavy monster sound!" geht. Nach eigener Aussage erinnert er sich darin an eine Zeit, als er die jamaikanischen Filme "The Harder They Come" und "Rockers" mit Kumpel Barson in Londoner Kinos sah und sich mit dem Ska-Vibe infizierte. Es darf aber auch davon ausgegangen werden, dass er mit 53 Jahren einen Schlussstrich unter die jahrelang Madness-typische Clownerie setzen wollte.

Dem eigentlich finalen folgen dann noch zwei Bonustracks, die diesen Namen kaum verdienen. Gerade die Ballade "Powder Blue" von Sänger Suggs zählt zu den großen Momenten der Platte. "We may appear like circus freaks / juggling with all we have able / But at the end of the day / our cards are upon the table", singt er an anderer Stelle. Es ist wahr, die Karten liegen auf dem Tisch. Aber zum Glück werden sie von den Magnificent Seven immer wieder neu gemischt.

Trackliste

  1. 1. My Girl 2
  2. 2. Never Knew Your Name
  3. 3. La Luna
  4. 4. How Can I Tell You
  5. 5. Kitchen Floor
  6. 6. Misery
  7. 7. Leon
  8. 8. Circus Freaks
  9. 9. So Alive
  10. 10. Small World
  11. 11. Death Of A Rude Boy

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