laut.de-Kritik
Hier wurden die Väter von Blur und Coldplay erwachsen.
Review von Michael SchuhDie Welt ist gemein: Millionen Bands wünschen sich einen Hit und kriegen ihn nicht. Andere haben einen Hit und wünschen diesen (irgendwann) zur Hölle. Obwohl Madness streng genommen zur letzteren Kategorie zählen, sind sie nicht die Sorte Bands, die sich jemals öffentlich über "Our House" beschweren würde.
Sie können schließlich eh nichts daran ändern, dass der weltweite Chartserfolg dieses Songs vom vorliegenden Album ihren Ruf der netten 80s-Popper außerhalb Englands maßgeblich prägte. Auf der Insel kniet man dagegen nieder vor einer wahrhaft großen Albumband und deren Wandlung von einer Turbo Ska-Band zu großen Britpop-Melancholikern, als deren Erbverwalter man ruhig Blur und Coldplay nennen darf.
Nachdem letztes Jahr zum 30-jährigen Bandjubiläum der Re-Issue-Startschuss mit "One Step Beyond" startete, erscheint "The Rise & Fall" nun als Doppelschlag mit dem nicht annähernd so spektakulären 1984er-Nachfolger "Keep Moving".
Es ist das Album, auf dem Madness ohne Vorankündigung ihre Clownsnasen abnahmen, was den Anhänger in einer Welt ohne Blogs und Album-Leaks noch ziemlich unvermittelt traf. Prägte den '81er Vorgänger "7" immerhin noch ein halbwegs positiver Grundton, dominierte plötzlich waidwunde Melancholie, die sich kaum mehr tanzflächenkompatibel gab.
Verwirrenderweise nur wenige Monate nach der umjubelten Nummer Eins-Partysingle "House Of Fun" veröffentlicht, wagten die Londoner einen Blick zurück auf ihre Kindheit und schrieben nachdenkliche Songs über die eigenen Kindheitserinnerungen.
Der Opener über Sänger Suggs' Kindheit in Liverpool sowie das aufwendig arrangierte "Primrose Hill", beides keine Singles, können exemplarisch für den in der Heimat rasch erlangten Status des Albums als "Klassiker" genannt werden.
Die Platte dokumentiert den gleichwohl irrationalen Reifeprozess einer Band, die auf ihren Studioalben plötzlich immer ernster wurde, während die Singles weiterhin ein chartsnahes Eigenleben führten ("Driving In My Car", "It Must Be Love", "Wings Of A Dove" - alles Non-Album-Tracks).
Vom Erfolg der "Our House"-Single überschattet wurde auch das elegische Meisterstück "Tomorrow's Just Another Day", das hier in der Deluxe-Version noch als Steh-Blues-Duett mit Elvis Costello Charme verbreitet (seinerzeit auf der 12" erhältlich). Die übrigen Bonustracks auf der zweiten CD besitzen jedoch auch mit viel Wohlwollen lediglich Sammlerwert, nur die vier Songs der Kid Jensen BBC Session zeigen das "Rise & Fall"-Material noch einmal in interessantem Licht.
Es bleibt ein musikhistorisch wichtiges und elementar britisches Werk, das seine Schöpfer in den Rang eines nationalen Kultur-Heiligtums katapultierte. Es sollten zwei Alben und weitere 27 Jahre vergehen, bevor die Band sich imstande fühlte, diesem Opus Magnum mit "The Liberty Of Norton Folgate" einen adäquaten Nachfolger angedeihen zu lassen.
Noch keine Kommentare