laut.de-Kritik
Melodic Rock mit Jazz-Präzision und hochwertigen Texten.
Review von Philipp KauseÜberraschend, dass Magnum der Zunder nicht ausgeht. Die Briten entfachen ihre Melodic Riffs zum zehnten Mal auf dem deutschen Label SPV/Steamhammer binnen 18 Jahren. Im 48. Jahr des Tandems Catley/Clarkin bauen sie ihr Album "The Serpent Rings" so stimmungsvoll und dramatisch zusammen, dass es sich gehört, es 'en bloc' zu hören. Einen Neuanfang setzen sie aus Personalnot heraus: Bassist Alan Barrow zog es im Jahr der Trump-Wahl 2016 in die USA, wo er meint, eine Solo-Karriere lancieren zu können.
Nun suchten sich Magnum nicht irgendeinen Ersatz, sondern jemanden mit Handschrift: Dennis Ward (Place Vendome/Pink Cream 69) hat die Größe, sich in dem Harmonic Rock von Magnum wie im Titeltrack zurückzuhalten und dem Keyboard, den Gewitter-Spezialeffekten und dem seinerseits recht neuen Drummer Lee Morris den Vortritt zu lassen.
Letzterer wiederum bringt seine Erfahrung als ehemaliges Paradise Lost-Mitglied mit Klimax-Bögen ein, die er kunstvoll entrollt. Morris hegt und pflegt eine Vorliebe für Thin Lizzy. Hier trommelt er mit Feingefühl und Flexibilität zwischen goth-metallisch dräuenden Explosiönchen, symphonisch zaghaftem Anpirschen, verzierend füllenden Snare-Figuren und, wie in "Not Forgiven", stumpf-stoischer Drauflos-Kopfnicker-Schlagzeug-Wand.
"The Great Unknown" heißt dann das Stück der beiden Neuzugänge: Denn hier treiben Bass Drum, Hi-Hats und Bassgitarre das Geschehen an, bis ein Zeitfenster zum Innehalten entsteht. Im nachdenklichen Text rätselt Sänger Bob Catley, um was für ein Spiel es sich handelt, "when worlds collide" und Streitende völlig aneinander vorbei reden ("no one replied")? Eines Tages werde alles hochgehen und zu Staub. Ohne einen Mucks werde das geschehen, ausgelöst von einem oder von etwas großem Unbekannten.
Derweil seien Politiker "like acting cartoons". Es liegt nahe, hier Anspielungen auf die zähen Brexit-Debatten im britischen Unterhaus und auf Trumps Comicfiguren-Gestik zu lesen. "Lustig, wie sie uns überzeugen / Bilder dabei verstecken / und sich in Widersprüche hinein argumentieren", so die Hookline.
Unter den zehn Songs befinden sich ausnahmslos Höhepunkte. Aktiv zuhören oder sich berieseln lassen - beides führt hier zur Zufriedenheit. Textlich bewegen sich Magnum durchs Reich der Fantasy-Figuren und Szenarien. "The Last One On Earth" überrascht als ProgRocker mit nostalgischem Rückblick aufs Leben, als die Sonne für immer unter- und die Erde zugrunde geht. Das wirkt in der Fridays for Future-Ära wie ein Kommentar. Als eine Art Visual Rock rufen Musik und Texte manche Fantasyfilme mit Weltuntergangs-Szenarien und Dinosaurier-Animationen vor Augen. Das Böse hört auf den Namen "Crimson" ("Crimson On The White Sand").
Im härtesten und zugleich softesten Stück, dem mitreißenden "House Of Kings", zieht die Band, die 'das Große' ("magnum") personifiziert, auf Gipfelpunkte hoher Berge. Abenteuerhungrig reiten die Heavy-Rocker über Grenzen. Auf der Suche nach einem "saviour from the road you travel / (…) caught in a whirlwind", einem Retter oder einem Engel, der den 'bassline rebel' aus dem Wirbelsturm herausholt.
Schöne Bilder entwerfen sie da, wie jemand den Mond aus dem Himmel gestohlen hat und dafür im Königshaus eingekerkert werden soll. Oder wie ein Typ "da sitzt wie eine Meerjungfrau", zusammengekauert, mittellos, ohne Geld. Hat Frontmann Bob Catley seinen Poesie-Sturm erst einmal losgetreten, beruhigt ein unerwarteter Jazz-Break von Minute 2:22 bis 3:00 das Geschehen im "House Of Kings" und öffnet in diesem Königshaus Räume für noch mehr Fantasie. Ein hingebungsvoll passioniertes Saxophon presst sich durch all die aufgestaute Energie und bläst am Ende des Tracks den Höhepunkt.
Der Titelsong baut dagegen mehr auf Synthie-Gebrodel auf und entwickelt sich nach einer langen Aufblende zu opulentem Breitwand-Rock. Der Refrain ähnelt der "Wetten dass ...?"-Titelmelodie. Geht in Ordnung, denn die mittleren Achtziger, als man die Sequencer so programmiert hat, waren nun mal auch die erste große Zeit für diese Band.
Betrachtet man die Charts-Platzierungen von Magnum, kletterte der Vorgänger "Lost On The Road To Eternity" in Deutschland, der Schweiz (jeweils Platz 8) und in Österreich bislang unter allen Magnum-Longplayern am höchsten. Auf "The Serpent Rings" lässt sich die Band nicht im Mindesten lumpen und hätte es verdient, den Erfolg von 2018 noch zu übertreffen. Wir erleben eine exquisit komponierende, erfinderisch spielende und intelligent textende Band in ihrer Blüte.
5 Kommentare mit einer Antwort
Komplett mind blowing. Toppen noch mal die beiden Vorgänger. Hätte ich nicht gedacht.
Super Album Applaus für die tolle Leistung
Immer wieder beeindruckend - ein Band alter Schule! Auf Magnum ist Verlass; alle zwei Jahre wird ein immer hochwertiges Album aufgenommen.
Respekt!
ich kenne keinen einzigen rock-act, der mit fast mitte 70 noch so inspiriert und hungrig lodert, wie clarkin und catley. und die offenheit, sich mit deutlich jüngeren leuten zu erfrischen, die eigene stilistische nuancen addieren, ist sogar richtig weise. wer hätte je gedacht, dass ein gothmetal-drummer, der "draconian times" und "one second" maßgebend mitgestaltete je zu den marion zimmer bradleys des melodic rock passen würde? vor denen kann man echt nur huldigend auf die knie fallen. mehr weltklasse geht kaum.
Da hat jemand aus Versehen eine berechtigte fünf-Sterne-Rezension geschrieben und nur vier gegeben...
Wobei die Leserwertung auch bei 4/5 steht. Aber wenn du dein Votum abgibst, vielleicht erhöht sie sich noch?