laut.de-Kritik
Chansons für den Club.
Review von Dani FrommEntschuldigen Sie? Haben Sie auf dem Schirm, wer Hedy Lamarr war? Nein? Sollten Sie aber: skandalumwitterte Hollywood-Diva, entschiedene Gegnerin des Nationalsozialismus, Erfinderin ... ihr Leben liefert locker Stoff für eine ganze Romanserie. Malonda hat immerhin einen Song daraus gemacht, um dieser ikonischen Frauengestalt wenigstens ein bisschen von dem Rampenlicht zu bescheren, das sie verdient.
Und was für einen Song! "Hedy Lamarr", zugleich Geschichtsstunde und feministisches Manifest, bespielt ein musikalisches Feld, das es bisher eigentlich gar nicht gab: Der Track - wie das ganze Album - changiert so mühelos zwischen Chanson und satt pumpendem Clubsound, dass man sich wirklich fragt: Warum hat DAS eigentlich vorher noch niemand so gemacht?
Das verträumt-melancholische Klavierintro hängt noch in der Luft, schon findet man sich, geführt von Malondas klar artikuliertem Gesang, unversehens mitten auf dem Dancefloor wieder. Praktisch, denn es folgt genau, was der Titel "Disco Im Kopf" verspricht: ein astreiner Disco-Track mit exaltierten Streichern, Synthieclaps und Juchzern, ein akustisches Wurmloch, das direkt zurück in die Spiegelkugel-beglitzerten 70er führt.
Es bleibt aber der einzige Rücksturz in die Vergangenheit: Der Rest dieses Albums bewegt sich inhaltlich, musikalisch und produktionstechnisch absolut auf der Höhe der Zeit. Ein bisschen verrückt und zugleich massiv beeindruckend, wie natürlich Malonda den Spagat zwischen Genres vollzieht, die (vermeintlich) nichts miteinander zu tun haben. Es fühlt sich an, als säße Udo Jürgens am Flügel und begleite eine wiedergeborene Hilde Knef, die irgendwo versehentlich eine Stimme gefunden hat und jetzt tatsächlich singen kann, und das Ganze steigt in der heißesten Venue der Stadt.
Bei alledem lässt Malonda auch noch wirklich tief in den dunklen Kontinent ihres Herzens blicken: Sie erzählt von ihrer "Scheißangst", teilt Strategien, um den Alltag zu bewältigen ("Disco Im Kopf"), gesteht: "Manchmal Bin Ich Einsam" und lässt auch sonst an ihrem widersprüchlichen, teils durchaus verwirrendem Gefühlsleben teilhaben.
Jeder einzelne Track erzählt eine Geschichte. "Weil Ich Es Kann" etwa birgt die ganze Palette von Emotionen vom Aufkeimen einer neuen Liebe über auf dem Fuß folgende Ernüchterung zum trotzigen Neustart. "Persönlich" behandelt ebenfalls eine Beziehungsthematik. Selbst ein Track, dessen Titel "Sexlied" erhebliches Cringe-Potenzial befürchten lässt, gerät komplett unpeinlich und sensibel und küsst mit dem geflüsterten Text zudem die schlummernde Erinnerung an "Wait" von den Ying Yang Twins wach: gefällt mir.
Malonda präsentiert sich gesanglich überhaupt ausgesprochen abwechslungsreich, als Chansonnière, Disco-Queen, Spoken Word-Künstlerin, zuweilen auch nah an der Schlagersängein. In "Andersblüter" lässt sie die innere Zirkusdirektorin von der Leine. Komplett detoniert sie in "Feuerfrau 2.0", BÄMM!
Die musikalische Ausgestaltung verleiht Malondas Worten überall noch Nachdruck. Die immer etwas zu schrillen Klänge in "Scheißangst" etwa illustrieren ebendiese. Der schwüle Beat von "Deutschungshoheit" bahnt dem kämpferischen Aus-der-Deckung-Treten, dem Sich-Aufrichten aus vormals geduckter Haltung den Weg. Malonda verpackt hier Seite an Seite mit Kollegin Melane und Rap-Veteran Roger Reckless Erfahrungen mit Rassismus und Polizeigewalt, die wohl allen PoC in diesem Land vertraut vorkommen dürften.
Das Entschuldigungs-Telefonat mit der Freundin ("PMS (Skit)") und die Ode an die "Matriarchin" wären im Privaten wahrscheinlich besser aufgehoben gewesen. Ersteres birgt für alle außer die Angerufene doch sehr wenig Mehrwert. Zweiteres wirkt, auch wenn es Einblicke in eine offenbar nicht ganz einfache Mutter-Tochter-Beziehung gestattet, abseits der Familienfeier, für die es geschrieben scheint, seltsam deplatziert. Es mutet merkwürdig indiskret an, dieses Geburtstagsständchen öffentlich auszubreiten, die Verwertung auf einem Album erscheint irgendwie ... unangemessen.
Das bleiben aber auch die beiden einzigen kleinen Abstriche. Malondas abschließende "Neujahrsansprache" - es ist wirklich eine! - gibt am Ende noch mindestens ein halbes Dutzend Denkanstöße mit auf den Weg. Es lohnt sich absolut, dieses Land einmal durch die Augen dieser offenbar mindestens so klarsichtigen wie musikalisch begabten Schwarzen Frau zu sehen. Es tun sich ungeahnte Perspektiven auf.
4 Kommentare
Das ist schon ziemlich gut. Hatte vor dem Hören Angst, dass es so ein Finna-Thesen-Fiminisantirassismusalbum sein könnte, aber die Texte sind spitze und diese Mischung aus Disco und Chanson ist ein ganz eigener Sound. Hut ab!
Feminismus in Musik kann machen, wenn am Ende die Musik im Vordergrund steht und Spaß macht. Das ist hier tatsächlich gelungen. Die kann man wegen mir auch gerne im Radio spielen oder in Talkshows einladen. Verdiente Punktzahl, wird wiedergehört.
Dope.
Jetzt erst entdeckt, fantastisch.