laut.de-Kritik

Outlaw-Soundtrack zum literarischen Coming-Out.

Review von

"I will sing you all a sweet straight song of sorrow", klagt Mark Lanegan in "Skeleton Key", dem längsten und zentralen Stück der Platte. Tatsächlich: So viel Schmerz und Kummer waren sogar bei ihm selten. Mit 55 ist der Amerikaner in einem Alter, in dem man vermeintlich elementare Grundsätze der Jugend auch einmal überdenkt. Nach Jahren des Drängens von Vertrauten wie Verlagen sagte er tatsächlich zu, ein Buch über die 90er Jahre zu schreiben. Inhalt: seine Zeit in Seattle, als Sänger der Screaming Trees, im Epizentrum der Grunge-Bombe, die die musikalische Landschaft und die Bankkonten seiner besten Freunde Kurt Cobain und Layne Staley für immer veränderte. Wer von all dem nicht profitierte, dafür heute noch lebt, ist bekannt.

"Sing Backwards And Weep" ist Mark Lanegans literarisches Coming-Out als ewiger Außenseiter, Schläger, Misanthrop und Crackdealer, "Straight Songs Of Sorrow" ist der Soundtrack dazu. So erschreckend schonungslos seine Jugendbeichte, so unkryptisch die neuen Songtexte. Anstatt auf Inspirationssuche mit der Kippe im Mundwinkel in die Ferne zu blicken, saß er nun vor dem Spiegel und ließ einfach los. Die Songs sprudelten während des Schreibens am Buch förmlich aus ihm heraus, Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, haufenweise quälende Anekdoten, die er jahrelang für sich behielt, zum Selbstschutz. Erstmals schien es Lanegan unangebracht, die Texte abgetrennt von seiner Person auszugestalten.

In "I Wouldn't Want To Say" flirren zur Begrüßung Unterwelt-Synthies und pochende Suicide-Beats. Songstrukturen sind aufgehoben, Lanegan bellt seine mit dem Buch wieder zum Leben erweckten Geister der Vergangenheit frontal an, mit der Siegesgewissheit eines überlebenden Kriegsveterans: "No heirs to my disease / no one else to curse with this gene / swinging from death to revival." Befreit von jeglichen Fesseln wirkt sein Vortrag über den apokalyptischen Analog-Soundscapes unruhig und atemlos wie Johnny Cash im Opener auf "The Man Comes Around". Von Cash, für den er in den 90er Jahren einige Konzerte eröffnete, zu Suicide und Joy Division, von verrauchtem Delta Blues über aufwühlenden Folk zu kühlem Post-Punk: Lanegan überraschte auf seinen letzten Alben immer wieder mit neuen Soundfacetten. Auf "Straight Songs Of Sorrow" vereinigt er beide Pole nun harmonisch wie nie. Denn die Zeit drängt: "Who knows how many more years there will be / before the end of this sad machine."

Ob es die Demos selbst verlangten oder die erzwungene Rückbesinnung in Gemeinschaft erträglicher ist: "Ich habe mein Adressbuch aufgeschlagen und jeden angerufen, den ich kenne", verriet er kürzlich über die Auswahl seiner zahlreichen Gäste. Lamb Of God-Gitarrist Mark Morton revanchiert sich für Lanegans Beitrag auf seinem Soloalbum und sorgt mit seinem akustischen Fingerpicking in "Apples From A Tree" für einen kompletten Stimmungsumschwung. Ein feierlich trauriger Song, den Lanegan als Liebeserklärung an entschwundene Freunde formuliert: "We won't meet again / in this life or any more / I'm too far out at sea / and you are on the shore." Eine weitere Zeile legt den Schluss nahe, dass vor allem Layne Staley gemeint ist, den Lanegan im Buch als "Bruder, den ich nie hatte" bezeichnet: "You are the part of me I lacked / The mother I never knew / The love I never had / I came up on the streets
always doing bad.
"

"This Game Of Love" holt ihn zurück ins Jetzt: Gemeinsam mit seiner Frau Shelley Brien singt er einen dieser seit den Duetten mit Isobel Campbell nicht mehr gehörten Torchsongs. "Ketamine" vertont die verlorene Zeit Mitte der 90er Jahre, als er frustriert von zahlreichen Todesfällen im engeren Freundeskreis tagein, tagaus drogenbenebelt in seinem verwahrlosten Apartment in Seattle TV-Soaps konsumierte und einer weiteren Albumaufnahme mit den Screaming Trees ausschließlich in der Hoffnung auf einen finanziellen Label-Vorschuss entgegen blickte.

Sein Standing als Musiker verbildlicht die Präsenz von Led Zeppelin-Bassist John Paul Jones, dessen Mellotron den finsteren Doom-Blues "Ballad Of A Dying Rover" kapert. Queens-Buddy Josh Homme fehlt überraschenderweise auf der Gästeliste, dafür ist Freund und Ex-Heroin-Partner Dylan Carlson (Earth) dabei. Der gemeinsamen durchlittenen Zeit ist "Hanging On (For DRC)" gewidmet, und einmal mehr fragt sich Lanegan, warum ausgerechnet sie beide am Ende durchgekommen sind: "By all rights we should be gone / but you and me still hanging on / a thousand ways we could've died." Die Scham über sein selbstsüchtiges Verhalten wirft im Buch spätestens nach Cobains Tod die Frage auf, die er im rauschhaften Mantra "Skeleton Key" verarbeitet: "Is it my fate to be the last one standing?" Sein Leben, ein einziges Leidens-Kaleidoskop, das jede erdenkliche Schattierung zwischen Schwarz und Dunkelgrau abbildet.

Adrian Utley von Portishead verhilft ihm im zarten Mandolinenstück "Daylight In The Nocturnal House" zu einer neuen Klangfarbe, bevor weinende Synths und Utley'sche Gitarrenattacken am Ende ein furioses Finale im Morricone-Format kredenzen. Die Featuregäste in der ersten Reihe täuschen darüber hinweg, dass an den Aufnahmen auch Leute wie Alain Johannes, Jack Irons, Ed Harcourt oder Pumpkins-Bassist und Peter Hook-Sohn Jack Bates beteiligt waren.

Beruhigend, wie der zackige New Wave in "Bleed All Over" nach vier Songs endlich Lichtstrahlen in die Veranstaltung lässt, bevor Lanegan als "aging hustler" in "Churchbells, Ghosts" um Vergebung bittet. Wie im Falle von Nick Cave scheint seine Musik im Alter immer intensiver zu werden, traumatische Schicksale mussten sie beide ertragen. Caves Wundergeiger Warren Ellis sprang nun zum US-Kollegen über, und es bedarf keiner Beschreibungen, welche Qualität "At Zero Below" dank seines Spiels erlangt, ein Duett mit Greg Dulli.

"Eden Lost And Found", geschrieben mit seiner Frau, vorgetragen mit dem Idol Simon Bonney von Crime & The City Solution, beschreibt das Happy End seines Lebens, ebenfalls analog zum Buch. Es endet mit Lanegans erfolgreichem Drogenentzug, der Trennung der Trees und dem Beginn eines neuen Lebens. "Daylight is coming / Daylight is calling me", triumphiert er, und man spürt das Gewicht dieser Worte nicht nur, wenn man "Sing Backwards And Weep" bereits gelesen hat. Mark Lanegan hat eine emotionale Hürde genommen, die ihn nun mit einigen der schönsten Songs seiner Karriere belohnt. "Everybody got to be free", singt er am Ende gemeinsam mit Bonney und kommt zufällig zum selben Schluss wie kürzlich Iggy Pop. Zwei Überlebende, deren Kunst untrennbar mit den persönlichen Ausschweifungen und Niederlagen ihres Lebens zusammen hängt.

Trackliste

  1. 1. I Wouldn't Want To Say
  2. 2. Apples From A Tree
  3. 3. This Game Of Love
  4. 4. Ketamine
  5. 5. Bleed All Over
  6. 6. Churchbells, Ghosts
  7. 7. Internal Hourglass Discussion
  8. 8. Stockholm City Blues
  9. 9. Skeleton Key
  10. 10. Daylight In The Nocturnal House
  11. 11. Ballad Of A Dying Rover
  12. 12. Hanging On (For DRC)
  13. 13. Burying Ground
  14. 14. At Zero Below
  15. 15. Eden Lost And Found

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