8. Mai 2003

"Auf MTV werden meine Songs nicht laufen"

Interview geführt von

"Wenn ich den Gore mal treffe, dann frage ich ihn ...". Ein Satz, der in unbeschwerten Schülertagen ziemlich häufig fiel und der jeweiligen Laune entsprechend auch gerne mal in "Und wenn ich den Gahan mal treffe ..." umgewandelt wurde.

Eine Jugend voll schwarzer Klamotten und penibler Depeche Mode-Vinyl-Kollektivierung später sitze ich im Foyer des Kölner Hyatt Hotels, Stefan Effenberg gleitet mit Randexistenz verheißenden Cowboystiefeln durch die Lobby und ich warte auf ein Interview mit Martin Gore, dem Songwriter von Depeche Mode. Ziemlich unwirklich alles? Genau. In einer geräumigen Kölner Hotel-Suite empfängt uns ein gut gelaunter Gore, der routiniert Hände schüttelt und auf unsere Fragen wartet. Die Zeit läuft.

Dein neues Album "Counterfeit²" ist wieder randvoll mit Coverversionen. Wie hast du die Auswahl der Songs gestaltet?

Ich war sogar überrascht, dass sich nicht mehr Songs angesammelt hatten. Aus der ganzen Musikgeschichte brachte ich es gerade mal auf zwanzig Songs. Am Anfang dachte ich, es würden Hunderte werden.

Welche Songs hast du nicht mit aufs Album genommen?

Unbedingt wollte ich einen Song namens "The Big Hurt" covern. Ich kann mich nicht an den Namen der Sängerin erinnern, aber die Nummer stammt aus den 50ern. In den 60ern hat es dann Scott Walker gecovert. Es ist ein toller Song. Aber als ich versuchte, ihn zu covern, wollte er einfach nicht funktionieren und er passte auch nicht zur Stimmung auf dem Album. Doch es ist ohnehin nicht möglich, eine Platte aufzunehmen, die meinen Geschmack zu 100% repräsentiert. Dazu fehlt einfach der Platz.

Wie kamst du darauf, mit "Das Lied vom einsamen Mädchen" einen Song in deutscher Sprache aufzunehmen?

Nun, ich liebe einige Platten von Nico, die ihn schon gecovert hat. Sie scheint eine ziemlich traurige Person gewesen zu sein und wirkt auf mich immer ein wenig losgelöst vom Leben. Sie hatte ja auch Schwierigkeiten mit Beziehungen zu anderen Menschen. Als ich diesen Song hörte, mochte ich auf Anhieb die Worte. Ich spreche ja auch ein bisschen deutsch. Ich wollte den Song schon allein deshalb singen, da er ihr offensichtlich sehr viel bedeutet hat.

Zwischen deinen beiden Soloalben liegen 14 Jahre. Wie erklärst du dir das?

Eigentlich denke ich seit der ersten "Counterfeit"-Platte über eine Fortsetzung nach. Ich mochte diese Idee mit dem Titel "Counterfeit" schon immer. So eine Art Fake-Kopie des Originals. Die Leute fragten mich über die Jahre immer mal wieder danach und ich erwiderte stets das Gleiche: "Ja, ich denke drüber nach". Und obwohl zwischen Depeche Mode-Platten immer ziemlich große Pausen sind, hat es nie hingehauen. Ich verbringe die Zeit eben lieber mit meiner Familie und mach andere Sachen. Bevor die "Exciter"-Tour losging, erfuhr ich dann, dass Dave danach ein Soloalbum aufnehmen würde. Da wusste ich, dass der ideale Zeitpunkt gekommen war, endlich das umzusetzen, wovon ich seit Ewigkeiten rede.

Wenn du die Möglichkeit hättest, dein erstes Album noch einmal aufzunehmen, was würdest du verändern?

Ich denke es war ein Fehler, das Album als EP zu veröffentlichen. Die Bandbreite war einfach zu schmal, um einen ausführlichen Einblick in meinen Musikgeschmack zu geben. Mal davon abgesehen, dass sich seit 1989 natürlich auch die Technik sehr viel weiter entwickelt hat, war meine Herangehensweise schon für damalige Verhältnisse sehr schlicht und reduziert. Ich habe alles alleine bei mir zu Hause programmiert und war nur kurz mit dem Produzenten Rico Conning im Studio. Es mag also letztlich etwas zu simpel ausgefallen sein, aber ich bedaure es auch nicht wirklich. Ich denke, es ist schon okay.

Hattest du diesmal ein Duett in Planung?

Ich habe darüber nachgedacht und es hätte mir sehr gefallen, aber mir ist einfach kein guter Duettpartner eingefallen. Das ist wirklich nicht so einfach. Und die meisten guten Duette sind eben schon aufgenommen worden.

Wie darf man sich die Arbeit an "Counterfeit²" im Studio vorstellen?

Ich arbeitete mit Andrew Philpott zusammen, der schon für die letzten zwei Depeche Mode-Tourneen das ganze Computer-Zeug programmiert hat und mit meinem Freund Paul Freegard, der bei "Exciter" die Produktion überwachte. Wir drei haben auch alle Instrumente gespielt. Paul behauptet zwar, er wisse nicht, was Akkorde sind, aber ich verrate jetzt mal, dass auch er Gitarren eingespielt hat. (grinst)

Könntest du dir vorstellen, mit einem anderen Sänger als Dave zusammen zu arbeiten? Du sollst schonmal mit Morrissey zusammen gesehen worden sein.

Wirklich? (lacht) Ich glaube, ich war mal in einem Club, in dem er auch war. Aber ich kann mich nicht erinnern, mit ihm gesprochen zu haben. Letztes Jahr war ich auf einem Konzert von ihm, er spielte in Santa Barbara, wo ich wohne, und es hat mir gut gefallen. Aber über eine Zusammenarbeit habe ich noch nie nachgedacht. Außerdem bin ich bei Depeche Mode ziemlich glücklich mit Dave.

Dave hat ja auch gerade sein Debutalbum fertig gestellt. Fühlst du dich deswegen in eine Art Wettbewerb versetzt?

Nicht wirklich. Um ehrlich zu sein, habe ich seine Platte noch nicht gehört und kann deshalb nichts über den Sound sagen. Aber das sind sicherlich zwei ganz verschiedene Sachen. Ich weiß nicht wie kommerziell sein Album ist, meins ist es jedenfalls nicht. Ich kann mir nicht vorstellen damit großes Radio Airplay zu bekommen oder auf MTV zu laufen. Vielleicht werde ich ja positiv überrascht, aber ich habe keine großen Erwartungen.

Ist dir Kommerzialität wichtig?

Zunächst mal möchte ich Platten aufnehmen, die mir Spaß bereiten. Natürlich ist es schön, wenn sie sich auch verkaufen, das rechtfertigt sie irgendwie ganz gut. Aber es ist nicht das Wichtigste.

Von "Candy Says" mal abgesehen hast du nicht gerade die großen Welt-Hits für dein Album ausgewählt. Inwieweit war das beabsichtigt?

Irgendwie ist es bei mir wohl so, dass mich die großen Hits nicht so anziehen. Wenn du dir weltbekannte Stücke vornimmst, sind Vorurteile meist schnell bei der Hand, denn die Leute erwarten dann zuviel oder sie kennen schon viele Versionen aus der Vergangenheit. Ich glaube, dass ich mich unterbewusst davon löse. "Candy Says" und "Oh My Love" (John Lennon) waren schon hart an der Grenze, da sie ziemlich bekannt sind. Ich hoffe, sie sind noch auf der richtigen Seite ... (lacht)

Denkst du während des Komponierens daran, dass das Ergebnis im besten Fall Millionen von Menschen erreicht?

Ich versuche das auszublenden, denn wenn du zu sehr an die Erwartungen der Leute denkst, beeinträchtigt dich das nur. Man muss sich einfach hinsetzen und über das schreiben, was einen emotional berührt und sich über nichts anderes Gedanken machen.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Produktion eines Soloalbums und eines DM-Albums?

Puh, ich bin das schon so oft gefragt worden, aber ich glaube nicht, dass es da einen großen Unterschied gibt. Es ist natürlich schon etwas anders als in einer Band mit drei Leuten, die demokratisch Entscheidungen trifft. Auf meiner neuen Platte habe ich allerdings auch mit zwei anderen Musikern gearbeitet, deren Ideen mit eingeflossen sind. Natürlich hatte ich das letzte Wort, weil letztlich mein Name auf dem Cover steht, aber es war ungemein wichtig, auch andere Meinungen einzuholen.

Elvis gilt als eines deiner größten Idole. Warum hast du dich nicht an eine Coverversion von ihm herangewagt?

Ja, Elvis war auch in meiner Auswahlliste. Hmm, wie erkläre ich das jetzt am besten? Ich wollte auf keinen Fall eine 1:1-Elvis-Coverversion machen. Ich finde es sehr wichtig, den Songs eine neue Identität zu verpassen. Und ein Elvis-Song in elektronischer Umsetzung hätte am Ende vielleicht wie etwas vom neuen Erasure-Album geklungen. (grinst) In diese Richtung wollte ich nicht gehen.

Ich mag besonders deine Kurt Weill-Interpretation von "Lost In The Stars". Fühlst du dich zu Musik aus den 30ern besonders hingezogen?

Also, es ist kein Hobby von mir, Musik der 30er Jahre anzuhören. Aber da ich nunmal musikverrückt bin, komme ich auch mit Sachen in Kontakt, die ziemlich alt sind. Durch Nico habe ich wie gesagt "Das Lied vom einsamen Mädchen" kennen gelernt, das auch aus dieser Zeit stammt, glaube ich.

Ja, Marlene Dietrich hat es auch gesungen.

Ach ja? Ich habe zu Hause noch eine andere Version auf der deutschen Compilation "Das gibts nur einmal". (grinst) Da sind ne Menge alte 30er Jahre-Sachen drauf.

Die DM-Singles von "Exciter" habt ihr von einigen deutschen DJs remixen lassen, beispielsweise von Console. Verfolgst du deren Veröffentlichungen?

Oh ja. Davon spiele ich eine Menge, wenn ich ab und an als DJ auflege. Ich mag eine Menge dieser abstrakten, elektronischen Musik und lege viel Minimal-Zeug auf. Ich mag die Atmosphäre, die erzeugt wird, auch wenn sie mal ohne Beats auskommt.

Hast du die neue Console-Platte schon gehört?

Welches war nochmal die letzte?

Reset The Preset.

Nein, die kenne ich noch nicht.

Kriegst du sie denn in Santa Barbara?

Oh nein, ich muss das ganze Zeug übers Internet bestellen. (grinst)

Wie sehen deine Pläne für den Rest des Jahres aus?

Nach der Interview-Promotion gehe ich nach Amerika zurück und bereite mich auf meine Solo-Shows vor. Was die Band angeht, treffen wir uns Ende des Jahres, um über die Zukunft zu sprechen und einen groben Zeitplan zu erstellen.

"Letzte Frage", fährt uns die Promoterin ins Wort. Zum Glück darf ich sie stellen.

Fletch verriet kürzlich, dass du das lange als verloren geglaubte "Toast Hawaii"-Tape zu Hause gefunden hast. Darauf befinden sich Cover-Songs, die du mit Dave (Drums), Alan (Piano) und Fletch (Gesang) Mitte der 80er zum Zeitvertreib im Studio aufgenommen hast. Fletch fürchtet nun, du könntest sie als Download ins Internet stellen ...

(lacht) Nein ... aber ich bin sicher, eines Tages wird dieses Tape das Licht der Welt erblicken. Ich habe es eben nur auf Kassette und, ähm ...ich musste wirklich erstmal in meinem ganzen Haus nach einem Tapedeck suchen. Zum Glück hat meine Tochter so einen "Hello Kittie"-Kassettenrecorder, aber der hat natürlich keinen Ausgang. Aber sobald ich ein Tapedeck mit einem Ausgang gefunden habe, nehme ich das Ding auf CD auf und je mehr Leuten ich es dann kopiere, desto eher kommt es ins Internet ... (lacht)

Das Interview führte Michael Schuh

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Depeche Mode

"To go from nothing to that in seven years was amazing". Bis heute denkt Labelboss Daniel Miller gerne an den Tag zurück, an dem Depeche Mode, die er …

LAUT.DE-PORTRÄT Martin L. Gore

Als Martin Gore 1979 sein Abschlusszeugnis in die Hand gedrückt bekommt, hält die Welt nicht gerade große Überraschungen für ihn bereit. Am 23. Juli …

Noch keine Kommentare