laut.de-Kritik

Zwischen die beiden passt kein Leerzeichen.

Review von

Max und Joy treten manchmal gemeinsam auf. Verfolgt man das Paar über die letzten 20 Jahre, galt andererseits diese Trennung: Er - sanfter Hip Hop, sie - Soul. In "Skyline" auf "Alles Liebe" gelingt den beiden jetzt feinster Funk-Pop. Der Ohrwurm ködert enorm. Die beiden resümieren jetzt ihr Lebensgefühl "nach über zwei Jahrzehnten Schlafentzug".

Sie umsäuseln einander und kehren ihr Privates nach außen: "Streiten seit Montagmorgen / schweigen bis Freitagabend." Fiktive Figuren lassen sich in den Lyrics kaum erkennen, "Alles Liebe" ist, wie schon vieles im Gesamtwerk der beiden, autobiographisch. "Wünsch mir, wo du bist, bin ich auch", bekennt Joy "Auf Tour". Max Herre förderte und produzierte in vollendeter Work-Work-Balance seine Partnerin, etwa auf ihrem zuletzt erschienen Solo-Album "Willpower".

Andererseits galt es als Tabu, in Interviews anzusprechen, dass zwischen der Person Joy und der Person Max irgendein künstlerischer Zusammenhang bestünde. Wenn die Beziehung so kompliziert ist, wie dieser erste Eindruck, dann ist "Alles Liebe" ein eher unpassender Titel. Alles Neurose könnte man meinen, oder: Alles Marketing?!

Was sehr nach Marketing klingt, ist "Laura's Skit", eine von sieben Interludes. Da lernen wir "halt einfach so" den Unterschied zwischen einer Basis und einer "Grundbasis". Laura nahm in den 2000ern auf Joys und Max' Label Nesola drei Alben auf Spanisch auf.

Nesola gehört zu Four Music, und das Wort bedeutet in der inzwischen vergessenen Sprache Esperanto 'nicht allein'. In den letzten Jahren wechselte Joy von Motown, für dessen Wiederbelebung man sie pries, zu Sony. Auch Max verließ fürs Zweisamkeits-Album die Unternehmensgruppe Universal, so dass sich die zwei nun wieder dort treffen, wo ihr Ausgangspunkt lag, eben bei Four Music. Offiziell hört die Platte nun auf den Duo-Namen Max&Joy, ohne Leerzeichen. Es passt ja kein Blatt zwischen sie.

Ladies First ist in diesem Namen nicht geboten, obschon die Musik zu zirka 69 Prozent Joys Retro-Soul ihrer letzten beiden, englischsprachigen Alben fortsetzt, nun wieder auf Deutsch und in einer Art Joy featuring Max. Ein Prozent gehört Zeilen, die sie selber in "Vor Unserer Tür" hip-hoppt, zu Clap-Beat und Vocoder-Effekt. Zehn Prozent sind besagte Interludes mit naseweisem Gequassel verschiedenster Stimmen, eine Umfrage über Liebe. 20 Prozent Hip Hop-Rest von Herre integrieren dann noch den alten Kumpel Afrob.

Das mit der Liebe versteht man ja schnell. Nach zwei bis drei Tracks dürfte jede:r kapiert haben, dass zwischen Joy und Max "Bisschen Mehr Als Freundschaft" herrscht und eben wirklich "Alles Liebe" ist, sogar dann, wenn eine:r von ihnen "Auf Tour" los zieht. "Unsere Liebe passt in kein'n Bilderrahmen", heißt es in "Blau". Mag sein. Man lernte sich im Job kennen, bekam Kinder und gründete besagte Firma, heiratete, ließ sich scheiden, kam nach vier, fünf Jahren wieder zusammen, ist privat und beim Arbeiten vereint.

"Lubaya's Skit" umreißt auf 42 Sekunden das Setting: "Ich liebe an dir, dass du mein Zuhause bist. Dass ich irgendwie mit niemand ander'm das so, so ehrlich und so offen und so - so sein kann, wie ich bin, einfach (...) auch wenn wir böse Dinge zueinander sagen, es ist immer noch diese Liebe da, weiß nich', dieses Gefühl von zuhause, was du auch vorhin gesagt hast", und bereits hier wiederholt sich der Text im political correctness-Deutsch. Die Stimmlage, in der das Ganze hier vorgetragen wird, hört sich schon so bedrohlich apodiktisch an, dass keine:r zu widersprechen traut.

Das Paar-Thema wird auf der ganzen Platte penetrant überhöht. Für manche Menschen ist ihr Zuhause ein Verein, die Familie, ihr Chor oder die Lieblings-Kneipe, der entspannte Mädels- respektive Jungs-Abend, ein gutes Team in der Arbeit, eine religiöse Instanz oder schlicht man selbst. Gerade die Soul-Musik ist da traditionell sehr offen, vertont das Konzept der Nächstenliebe und Empfindungen wie Geborgenheit und Zusammenhalt recht flexibel. Wie Joy, Max und ihr Freundeskreis hier ihren Lifestyle definieren, entstammt unreflektierten Klischees einer grün-bürgerlichen Schwaben-Berlin-Kreuzberg-Connection.

Liebe als Freibrief zu benutzen, um "böse Dinge zueinander sagen" zu dürfen, das ist schon recht achtlos. Denn wer so soulful fühlt, wie die Akteure und Interpretinnen, deren Musik Max für sein ambitioniertes DDR-Soul-Projekt 2022 recherchiert hat oder deren Botschaften Joy für ihre Alben 2020 und '23 aufgesogen hat, dürfte "böse Dinge" überhaupt nicht auf der Zunge tragen.

"Anna Dushime's Skit" reiht sich da ein und schwadroniert im Alt-'68er-Stil über Liebe als "politischen Akt", und zwar "in sehr düsteren Zeiten (...) wenn man sich so die politische Lage in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt anschaut, dann, ähm, empfind ich das manchmal als Trotz, ähm, zu sagen, dann entscheid ich mich jederzeit und immer für die Liebe." - Auch wenn man die Musik aller Beteiligten liebt, einschließlich von Ebow, die in "Ebow's Skit" Seltsames formuliert, ist es schwierig, sich von diesem Album nicht vergackeiert zu fühlen.

Außer an der Deutungshoheit bezüglich zwischenmenschlicher Werte hakt es auf "Alles Liebe" an drei weiteren Instanzen: Kluft aus Theorie und Praxis, Sackgasse Sound-Nostalgie und Selbstüberschätzung. Erstens sei anerkannt: Die beiden Musik-Nerds wissen viel von ihrem Haupt-Genre. Das haben sie schon bewiesen, geht okay. Sie setzen es aber kaum um, und wenn, dann verkrampft-gezwungen.

Softpop-Lounge in "Driften", prolliger Urban-Electro in "Blau", weichgespülte Afrobeats in "Réunion", Y2K-Baggypants-Holzfäller-Beats in "35 Missed Calls", stehen gebliebener Neo-Soul in "Day One" mit den Jaguar Wright-State-of-the-art-Beats von 2004 - die Tracks konkurrieren um möglichst arge Geschmacklosigkeit.

Zweitens mag man sich über die Haltung wundern, die sich im Sound ausdrückt. Max möchte, so wirkt es, den Südwest-Hip Hop nicht verlassen, der schon in den 90ern schulmeisterlich klang. Anders lässt sich eine derb scheppernde Produktion wie "Nicht Mehr Lieben" kaum erklären - mit Scratches, die sich so anhören wie Donald Duck beim Wutanfall.

Max rekurriert auf die Pionier-Jahre des deutschsprachigen Hip Hop, an denen er mit dem Freundeskreis beteiligt war. Als Advanced Chemistry ihre antirassistischen Reime auf Recherchen in der Bücherei aufbauten und die Sons Of Gastarbeita Hip Hop wie das sozialpädagogische Förderprojekt eines Jugendzentrums oder einer Gesamtschule angingen, da herrschte eine Pflicht zu möglichst ungelenken und schwerfälligen Beats. Den G-Funk- und Raggamuffin-durchtränkten Beat-Designs der French Rap-Nachbarn hinkte man "im Schoße der Kolchose" hinterher, Kinderzimmer Productions scheinen noch in den 2020ern stolz auf ihre Klapper-Beats. Die ganze Ästhetik lässt sich wie eine trotzige Forderung auswerten, doch bitte die good old times des knallbunten Viva, des Magnetband-Schnitts und der Maxi-CD wieder herzustellen, und von Röhren-Bildschirmen, auf denen Windows 94 flackert. Als Signal, verstanden zu haben, dass drei Jahrzehnte ins Land gingen, dient der Fehlgriff mit den aufgesetzt klingenden Afrobeats.

Ein weiterer Bremsklotz auf "Alles Liebe" verhakt sich in der Annahme, dass wir alle nur darauf gewartet hätten, ins Liebesleben von Joy und Max eingeweiht zu werden. Ihre Beziehung verlaufe demnach mustergültig, so suggerieren es die Texte, untermauern es die "Skits". Bei Konzertreisen verliere Joy sich an die Welt, zuungunsten der Familie. Sie frage sich dann, ob bei "uns" alles gut sei. Mit ihrem dauernden 'uns' und 'wir' gehen die beiden im Album-Verlauf ordentlich auf den Keks. Zumindest nimmt Max "die Aspirin mit grünem Tee" noch alleine ein.

Endlich, nachdem wir jahrelang eingebläut bekamen, wie emanzipiert Denalane als eigenständige Künstlerin Karriere machte, da schenken sie und ihr Partner, genannt "Baby, Baby", ihren Fans und der Presse einen kleinen Einblick in ihr fast perfektes Privatleben. Fast, denn "wir beide ham uns viel zu verzeih'n", und, oh Wunder wie, ist das davon geprägt, dass die beiden berufstätig sind. Doof, wenn der Kindergeburtstag mit dem Konzerttermin kollidiert. Schlechte Organisation, könnte man sagen.

Max a.k.a. Baby-Baby packt aus: "Soundchecks und Album-Promo, kaltes Garderoben-Catering, der nasse Tourbus, schlaflos in meiner Koje scroll ich alte Fotos." - Hartes Los! Die Mimosen-Texte dienen als Aufhänger für die durchaus hübschen Soul-Hauchgesänge Joys, und die müssen sich die Hörer:innen eben durch hölzerne Hip Hop-Verses verdienen. Ein schlechter Deal.

Trackliste

  1. 1. Alles Liebe
  2. 2. Lubaya's Skit
  3. 3. Auf Tour
  4. 4. Bisschen Mehr Als Freundschaft
  5. 5. Alex' Skit
  6. 6. Skyline
  7. 7. Anna Dushime's Skit
  8. 8. Mmina Tau
  9. 9. Vor Unserer Tür
  10. 10. Isaiah's Skit
  11. 11. Blau
  12. 12. Réunion
  13. 13. Ebow's Skit
  14. 14. 35 Missed Calls
  15. 15. Nicht Mehr Lieben
  16. 16. Laura's Skit
  17. 17. Driften
  18. 18. Lebwohl
  19. 19. Day One
  20. 20. Sékou's Skit
  21. 21. Skyline ft. Summer Cem
  22. 22. Réunion - Herc Cut The Lights Rmx

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2 Kommentare

  • Vor 18 Stunden

    Arg erwartbar, dass dieses Album eine große Packung Ironie in der Rezi und nicht mehr als 2 Sterne bekommt.
    Ich war überrascht, wie gut es produziert ist und wie gut die beiden zusammen harmonieren. Schmerzen bekommt man davon jedenfalls nicht. Locker-flockig groovt es vor sich hin, und es gibt wesentlich schlimmere Paar-Alben, die ihre Beziehung thematisieren, auch englischsprachige…
    Klar, auf sämtliche Skits hätten sie besser verzichtet und die Texte wären teilweise auch auf einem Schlager-Album gut aufgehoben, aber ingesamt passt‘s doch in die Zeit, in der sich alle nach mehr Harmonie und Liebe sehnen.