28. Juni 2022

"Ich wäre gern öfter gesellschaftskritisch"

Interview geführt von

Seine Texte wie der von "Herzlich Willkommen" zeigen, wie genial Newcomer Mayberg mit der deutschen Sprache spielt. Kein Wunder, dass der 22-Jährige Gedichtanalysen in der Schule "voll okay" fand.

Wie er auf seine Texte kommt, wer ihn musikalisch inspiriert und wieso seine "Faber-Phase" vorbei ist, was ihm Milky Chance und Kassel bedeuten und weshalb er von dort nicht nach Berlin, sondern Leipzig zog, erzählt Luis "Mayberg" Raue im Interview.

Im Mai hast du deine erste Headliner-Tour gespielt. Was war das für ein Gefühl?

Das ist schwer so komprimiert zusammenzufassen. Wir haben einen Traum gelebt, den wir schon immer hatten und waren in einer eigenen Welt. Es war nur am Tag etwas tricky, weil der Wechsel so krass war zwischen: Man sitzt stumm im Bus und da geht nichts, hin zu abends ist voll viel. Ansonsten war es schön, wir haben uns alle gut verstanden und es war mega intense. Danach bin ich gar nicht so in ein Loch gefallen, wie alle prophezeit hatten. Irgendwie ist es okay, dass es vorbei ist.

Hattest du ein Highlight auf der Tour?

Schwer zu sagen. Ich glaube nicht, ne (lacht).

Das letzte Konzert fand in deiner Heimat Kassel statt. Wie besonders war der Abend für dich?

Kassel war gar nicht im Rahmen der Tour, sondern eine Woche später. Aber das war super schön, weil ich vielen Freund*innen und meiner Familie zeigen konnte, was ich immer nur erzähle. Die kennen das noch auf einem anderen Stand und ich habe ihnen gesagt: "Ey, das ist gewachsen". Man konnte das schwer erklären. Meine Eltern, meine Schwester und mein bester Kumpel waren da. Das war sehr cool und schön die da alle zu sehen.

Ich wäre wahrscheinlich noch aufgeregter, wenn ich wüsste, dass so viele Leute da sind, die ich kenne. Hat dich das auch nervöser gemacht?

Ja, ich war schon ein bisschen nervöser als sonst.

Bleiben wir mal in Kassel – oder auch nicht. Von dort bist du nach Leipzig gezogen. Wieso nicht Berlin?

Das ist immer so die Frage. Ich kann nicht sagen wieso Leipzig, aber ich kann sagen wieso nicht Berlin: Berlin ist mir viel zu groß und zu laut. Ich habe immer voll das Gefühl, dass man da untergeht. Es ist mir zu hektisch und alles ein bisschen too much ehrlich gesagt.

Gibt es sonst eine andere Stadt, in der du dir vorstellen könntest zu leben und zu arbeiten?

Vielleicht ist es Köln. (Lacht) Ich weiß nichts über Köln, doch irgendwie war der Vibe da sehr cool.

Deine Anfänge liegen bei YouTube und SoundCloud. Wie schwierig war es, dort entdeckt zu werden?

Ich hatte den großen Vorteil noch vor Corona angefangen zu haben. Da hatte ich noch eine halbes Jahr, in dem ich live spielen konnte. Wir haben echt alles mitgenommen, jede kleine Bar, Open Stages, Open Mics und darüber einige Leute gewinnen können, die dann schon mal online dabei waren. Dann war es weniger YouTube und SoundCloud, sondern vielmehr TikTok, wodurch die Songs 2020 irgendwie groß wurden. Corona war also so ein Stoß in die Onlinerichtung. Auf einmal musste ich mich voll darauf konzentrieren und hatte dabei auch ein bisschen Glück.

Wie froh bist du dann im heutigen Musikzeitalter zu leben und wünschst du dich auch manchmal zurück in die Zeit, als es noch kein Social Media, Spotify und Co. gab?

Ich glaube ich muss dafür super dankbar sein, dass alles so ist (lacht). Das hat echt viel möglich gemacht und war gerade während der Pandemie eine der einzigen Optionen überhaupt irgendwie weiterzumachen. Deswegen bin ich dafür sehr, sehr dankbar.

Was wärst du geworden, hätte es mit der Musik nicht geklappt?

Vermutlich wäre ich in eine fotografische Richtung gegangen oder in Design. Ich finde beides spannend.

Für mich bist du gerade einer der besten deutschen Texter. Woher kommt es, dass du so genial mit der deutschen Sprache spielen kannst?

Erstmal danke, aber ich kann nicht einschätzen, ob das so gut ist und dann kann ich nicht erklären, warum. Vielleicht kann ich erklären, wie ich da herangehe. Ich versuche immer einen Grat zu gehen zwischen stumpf und komplex, aber habe gleichzeitig große Angst davor zu simpel zu werden, die zu nahe liegenden Reime zu verwenden. Letzteres versuche ich zu vermeiden.

Warst du in der Schule in Deutsch und Musik besonders gut, vielleicht sogar Klassenbester?

Ich glaube ich war nirgends Klassenbester, aber ich mochte Deutsch gerne. So etwas wie Gedichte analysieren fanden viele immer blöd. Für mich war das voll okay (lacht).

Besonders dein Song "Herzlich Willkommen" fällt auf. Wie kamst du auf den Text?

In "Herzlich Willkommen" gehe ich bewusst in eine Rolle, die ich eigentlich blöd finde und versuche das durch zu viele Wortwitze zu karikieren. Ich finde den Text auch witzig und hoffe, dass man checkt, dass dies alles nicht wörtlich gemeint ist. Aber ich denke das tut man.

"Nur Ein Bisschen" klingt authentischer als viele andere Liebeslieder. Was bedeutet dir dieses?

"Nur Ein Bisschen" ist einer der wenigen positiven Songs, die ich über Liebe habe. Das finde ich schön. Manchmal bin ich unsicher, wie ich den Pop-Einschlag darin finde, weil das sehr Dancepop-mäßig ist. Ich finde das schon geil, kann aber nicht genau sagen, ob das auch eine Richtung ist, in die ich zukünftig gehen will. Es ist bescheuert zu sagen, dass man seine eigenen Songs mag, aber ich finde den schon okay (lacht).

Du hast eben schon angesprochen, dass deine neueren Songs (gefühlt) elektronischer klingen und einen anderen Vibe haben. Hast du das neu für dich entdeckt oder wolltest du schon immer mal in die Richtung gehen?

Beides. Ich habe das neu für mich entdeckt, wobei "Anomalie" auch schon in die Richtung ging. Aber ich finde das spannend und habe Lust da noch mehr auszuprobieren, irgendwie toucht mich das gerade.

Die elektronischen Tracks haben auch bei dem Konzert voll gevibet, also die kamen echt gut an beim Publikum.

Danke! Das macht uns auch mega Spaß, die zu spielen.

"Ich hatte eine sehr intensive Faber-Phase"

Wer inspiriert dich in deiner Musik?

Momentan bin ich großer Fan von Edwin Rosen, Milky Chance mag ich schon seit Jahren.

Hast du Milky Chance schon getroffen, sie kommen schließlich auch aus Kassel?

Ich habe sie schon mal gesehen, aber noch nie mit ihnen gesprochen.

Wie wäre das, so ein Song mit Milky Chance?

(Lacht) Das wäre natürlich schon sehr geil, wobei die auf Englisch unterwegs sind. Es gibt echt viele, mit denen ich gern arbeiten würde. Aber ich habe jetzt nicht direkt eine Person, mit der ich super gerne einen Song machen würde. Ich bin da eigentlich offen für ganz viele Sachen.

Du wirst oder wurdest oft mit Henning May und Faber verglichen. Schmeicheln oder nerven so Vergleiche?

Erstmal sind das natürlich riesige Vergleiche, die mich krass ehren. Ich finde das im ersten Moment sehr cool, weil die eben gut sind in dem was sie machen. Ich würde mir trotzdem in Zukunft wünschen - und das passiert mittlerweile auch - mehr als eigenständiger Künstler wahrgenommen zu werden.

Ich muss zugeben, als ich deine Texte gesehen habe, musste ich anfangs auch an Faber denken und meine auch mal gelesen zu haben, dass du ihn genannt hast. Also ist er auch so etwas wie ein Vorbild oder eine Inspirationsquelle?

Ich glaube er war es mal mehr, als er momentan ist. Ich hatte eine sehr intensive Faber-Phase, habe ihn viel gehört und mich dementsprechend vor allem am Anfang von ihm inspirieren lassen. Ich fand das mega geil und dachte so "Ey, ich mach auch sowas". Ich höre seine Musik immer weniger - nicht, weil ich das weniger mag – einfach, weil das so passiert. Deswegen würde ich jetzt nicht mehr sagen, dass ich mich von ihm inspirieren lasse.

In einem deiner Songs hast du die Line "Und ich bin ein Egoist". Ist das von Falco inspiriert?

Das weiß ich nicht, ich kann das nicht beantworten. Es ist zumindest nicht bewusst angelehnt, aber ich finde auch Falco sehr geil. Deswegen vielleicht unterbewusst schon, es ist nur keine bewusste Referenz (lacht).

Hast du auch schriftstellerische Vorbilder, also jemanden von dem du besonders viel gelesen hast?

Leider nein. Ich habe früher viel gelesen, dann aber irgendwann aufgehört. Total blöd.

Ich schätze das ist so ein Ding unserer Generation. Doch ausnahmsweise lese ich gerade mal ein Buch, bei dem es eben um die Generation Z geht. Da schreibt die Autorin: "Wir sind orientierungslos, einsam und überfordert. Aber wir sind auch frei, selbstbewusst und wir haben alle Möglichkeiten. Im Widerspruch liegt unsere Kraft, denn was uns immer bleibt, in jedem Augenblick, ist das endlose Streben nach einer besseren Welt". Du bist selbst Anfang 20, für was steht aus deiner Sicht die Generation Z?

Boah, das ist eine riesige Frage. Also erstmal hätte ich gar nicht gewusst, dass wir Generation Z sind. Aber ich tue mich auch schwer damit unsere Generation zu klassifizieren. Es gibt verschiedene Gruppen und jede dieser Gruppe würde was anderes sagen. Man selbst ist ja auch in seiner eigenen Bubble. Ich würde das wahrscheinlich unterstreichen, was in dem Auszug gesagt wurde, aber ich glaube, dass auch viele das anders klassifizieren würden. Deswegen kann ich das gar nicht so pauschal sagen.

Mit deinen Texten über Herzschmerz, Unsicherheiten und Gefühlschaos triffst du natürlich direkt den Nerv junger Menschen. Verstehst du dich daher auch als Sprachrohr dieser?

Das ist schön, wenn ich es bin, aber ich würde es mir nicht zutrauen und zuschreiben. Ich glaube ich mache das grundsätzlich schon mehr für mich. Natürlich freue ich mich darüber, wenn ich ein eigenes Gefühl so verpacken kann, als wäre das in einer anderen Person. Sprachrohr einer Generation ist ein großer Titel, aber es ist natürlich cool, wenn sich viele darin wiederfinden. Das freut mich, weil man auch so Live connecten kann.

Über was schreibst du am liebsten?

Schon so über Gefühlskram, also die Liebe und all das was da mitschwingt. Da bin ich sehr verhaftet drin (lacht).

Tust du dir eigentlich leicht zu texten? Also steht der innerhalb von paar Stunden, Tagen, Wochen?

Lass es mal ein paar Monate sein. Ne es ist eher, ich schreibe voll langsam. Ich sammle immer so Bruchstücke, mal zwei, mal vier Zeilen, mal nur ein Wort echt über eine lange Zeit. Ich habe eine Notiz-App, wo alles steht und dann füge ich einen Song irgendwie daraus zusammen. Gerade bei einen Song wie "Herzlich Willkommen" – so viele Sachen würde mir gar nicht einfallen in kürzester Zeit. Da habe ich voll lange zusammengetragen und dann irgendwann mal gebündelt. Und so ist das echt bei vielen Texten.

"Ich wünschte, ich würde öfters gesellschaftskritisch werden"

In dem eben genannten Buch ist von "Insta-Einsamkeit" die Rede. In deinem Lied "Timeline" setzt du dich sarkastisch mit dem heutigen "Insta-Lifestyle" auseinander. Was stört dich daran und wie wichtig ist dir derart Gesellschaftskritik in deinen Texten?

Ich wünschte, ich würde öfters gesellschaftskritisch werden, aber habe dann das Gefühl gar nichts beitragen zu können zur Diskussion. Und ich glaube Insta und Co. sind halt alle zweischneidig. Es ist schwer, weil ich als Content-kreierender Mensch oft Teil des Problems bin. Da rede ich gegen mich selbst quasi. Aber natürlich kennen das auch alle, wenn man sich vergleicht und das Gefühl hat, andere erleben viel mehr. Und das ist ja noch die harmlosere Seite. Gleichzeitig ist es für mich so wichtig. Ich finde das eigentlich schwer sich da so poliert zu zeigen und das ist eher schlecht als gut. Aber es gibt natürlich auch gute Sachen und Aktionen an Insta.

Was müsste sich ändern und denkst du da kann sich überhaupt etwas ändern, dass es bei Social Media nicht mehr diese zwei Seiten gibt?

Es ist schwierig und ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich da demnächst groß etwas dran ändern wird. Ich glaube es wäre hilfreich, wenn man dieses polierte verlieren würde und alle für sich selbst merken, dass das nicht so geil ist, wie es da aussieht.

Du meintest eben, dass du manchmal etwas gesellschaftskritischer schreiben würdest. Welches Thema liegt dir da noch auf dem Herzen?

Ich habe politisch so wenig gesagt und würde mich da manchmal klarer positionieren, aber habe gleichzeitig das Gefühl so wenig zu wissen und Sinnvolles beitragen zu können. Dann überlasse ich das lieber Leuten, die richtig in dem Thema sind.

Im Sommer stehen einige Festivalgigs an. Worauf freust du dich besonders?

Das ist schwer zu sagen, weil alle können voll geil werden. Aber vom Namen am größten ist natürlich das Dockville. Da sind wir gespannt, spielen zu dürfen.

Jetzt mal groß gedacht. Wo spielst du diesen Sommer (noch) nicht, aber würdest mal unbedingt?

(Lacht) Das ist gar nicht so groß gedacht, aber ich würde mal gerne bei Rocken am Brocken spielen, weil das das einzige Festival ist, wo ich bisher war. Das habe ich in toller Erinnerung, also da würde ich gerne mal spielen.

Apropos freuen, erscheint dein erstes Album noch in diesem Jahr?

Nein, es ist noch kein Album in Sicht. Weder in Arbeit noch in Sicht. Momentan denken wir kurzfristig, machen einen Song und bringen den raus. So ein Album ist ehrlich gesagt nicht richtig in Arbeit.

Welche Frage wolltest du schon immer mal gestellt bekommen, aber bisher bekamst du sie noch nicht gestellt?

Welche Gitarre ich spiele. Aber das ist auch voll egal eigentlich. Das hat zurecht noch niemand gefragt (lacht).

Danke für deine Zeit und alles Gute!

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