laut.de-Kritik

Rau und retro: eine der guten Scheiben im Backkatalog.

Review von

Melissa Etheridge hat in den Achtzigern und Neunzigern viel Musik nie herausgebracht, die eigentlich fertig komponiert war. Die Story kennt man mittlerweile von Saxon, Los Lobos, Barbra Streisand, Portugal The Man und zig anderen: Im Lockdown war endlich Zeit für Resteverwertung und Besinnung auf die eigenen Wurzeln, was je nachdem in Archivmaterial, Session-Mitschnitten oder Cover-Alben mündete. Auffallend, wie viele miese Artwork-Grafiken uns dieser Tage begegnen. Lässt man dies beiseite: Melissas Platte "One Way Out" kommt vom Sound her recht gehoben, ein klassisches Vinyl-Thema. Solche Momente wie die schräge Harmonika in "For The Last Time" genießt man am besten 'lossless' mit Dolby Surround-Raumklang.

Es trifft sich gut, dass zeitgleich ein neues und mitunter experimentelles Album von Samantha Fish in die Läden purzelt, denn beide Platten ergänzen sich super. Hört man etwa "So Called Lover" von Samantha, stellt sie sich sehr überzeugend als Erbin Etheridges auf. Fiel Melissas letzte neue Scheibe überraschend ruhig und weitgehend getragen aus, zeigt sich die aktuelle nun sehr ausgewogen und facettenreich.

Es gibt die Starkstrom-Lady von Hits wie "Bring Me Some Water": vorsichtiger Einstieg, straighte Steigerung, massive Entladung im Refrain. So schöpft die Rockerin ihre dramaturgischen Ressourcen in "For The Last Time" aus und gipfelt in theatralisch ausgeführter Verzweiflung, aber auch der Reinwaschung der eigenen
"Ich warte auf keinen Retter / keinen Prinzen" shoutet sie unverwechselbar rau, bisweilen krächzend und spröde. Das ist Gitarrengewitter zielsicher platziert, mit Fragilität hält sie sich erst gar nicht auf und erzählt, wie sie sich mit Männern schwertat und vor ihrem Outing auf die maskuline Person wartete, die sie im Park spazieren führt. Cool, wie sie diese Rückblende auf Momente wagt, die sich grundsätzlich falsch anfühlten. In "Save Myself" präsentiert die Gitarrengöttin auch ihre eindeutig bluesige Präferenz.

Härtere Kanten offenbart die 60-Jährige in der Konzertaufnahme "Life Goes On (Live)". Hier schwingt eine dezente Grunge-Note mit, in den Riffs auch Heavy Folk im Stile der Counting Crows. Der Titeltrack "One Way Out" kombiniert Soundfiguren, die wie Stromstöße und Kojotengeheul klingen. Behutsame Drums halten den Rhythmus auch in retardierenden Momenten am Laufen. Melissa murmelt wie bei einer Sprachnachricht mit schlechter App, umrahmt von total spannendem instrumentalen Gewirr.

Nicht aus jedem Song erwächst dann tatsächlich eine krachende Kraftnummer. So leise, vorsichtig, aber ekstatisch "I'm No Angel Myself" in den ersten Minuten in Melissas Selbstbekenntnisse hineinzieht, so verhalten, gleichmäßig und gebremst läuft die Nummer dann doch bis zum Ende durch. "Wild Wild Wild" gerät auch nicht wild, sondern präsentiert ein sehr zurückhaltendes und bisweilen unplugged anmutendes Stück.

Darüber hinaus unterbreitet die Lehrerstochter aus Kansas eine gelungene Americana-Traditionspflege, so den Fiddle-unterstützten Jauler "That Would Be Me" und den steady gespielten verr(a)uchten Bar-Rock "As Cool As You Try". Für Live-Tracks auf regulären Studioalben wäre ich grundsätzlich zu haben: Ein Stück wie "You Have No Idea (Live)" bietet mehr Intensität, als wenn noch fünf weitere Studioaufnahmen folgen würden. Die beiden Live-Recordings am Schluss werten so eine Scheibe weiter auf, die sich sowieso als eine der besseren im durchwachsenen Katalog der Künstlerin einsortiert.

Trackliste

  1. 1. One Way Out
  2. 2. As Cool As You Try
  3. 3. I'm No Angel Myself
  4. 4. For The Last Time
  5. 5. Save Myself
  6. 6. That Would Be Me
  7. 7. Wild Wild Wild
  8. 8. You Have No Idea (Live)
  9. 9. Life Goes On (Live)

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