laut.de-Kritik

Parforce-Ritt durch neun Jahrzehnte Musikgeschichte.

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Bublés Produzent sagt: "Ich habe Michael noch nie so fokussiert und inspiriert erlebt." Übersetzt man das gemäß den Sprachcodes von Arbeitszeugnissen, heißt das in etwa: Bisher habe sich der Künstler chaotisch und unkonzentriert verhalten, manchmal habe er aber zum Glück einen guten Tag.

In den letzten Jahren eher zum Familienmenschen geworden, hat man von Michael Bublés Bangen um eines seiner drei Kinder, das an einem Leberkarzinom erkrankte, nichts mehr vernommen. Den Schmerz, die Sorge und Angst, die der 46-Jährige empfunden haben dürfte, drückt sich auf "Higher" nun – womöglich – in den drei eigenen Songs aus, die er selbst komponierte. Rundherum wird wieder fleißig gecovert.

Der Opener "I'll Never Not Love You" ist bereits ein Track aus Michaels Feder, aber ein farbloser. Dem unlockeren Drum-Machine-Stakkato-Gitarren-Schotterbelag mit ein paar behelfsmäßigen Piano-Tupfern unter seiner Stimme hört man sofort die Herkunft an: Markenzeichen des Hauses Warner bei dessen meisten Pop-Releases der letzten Jahre. Kann man skippen. Den Text auch: "I'll never make you cry / I'll treat you right / I’ll stand by you / and no matter whatever happens / I'll never let love you / oooh-hooo". Von Swing keine Spur, von Emotionen auch nicht. Blumige Worte, berufsmäßig serviert.

Angenehm gegensätzlich schaut's an der Stelle aus, an der Bublé "Make You Feel My Love" von Dylan covert. Vielleicht hat Adele ihn auf die Idee gebracht, genau dieses Stück aus Bobs "Time Out Of Mind" raus zu picken - Inspiration kann man Michaels Team auf jeden Fall attestieren. Das entzückend und behände eingespielte Orchester-Intro vergaloppiert sich interessanter Weise nicht im Pomp. Der Crooner singt sich erst mal ein, bis wieder die Streicher hinzutreten und ein bisschen "Walk On By"-Flair zaubern.

Die Bridge bekommt ein süßes Country-Soul-Slide Guitar-Riff aus dem linken Lautsprecher und eine bluesig-verwaschene Antwort der zweiten Gitarre aus dem rechten spendiert. Die faszinierend eingängige Melodie entblättert sich in den wärmsten Tönen. Unwiderstehlich, ob man nun Swing-Fan ist, Dylan gut findet oder beides nicht: Bublé kitzelt aus dem schlichten Liebesgedicht pralle Intensität heraus.

Unendlich langweilig und konventionell plätschert dagegen der Willie Nelson-Tune "Crazy" als Duett mit quietschend überhöhten Geigen-Ergüssen und einem zähen Vortrag, der altbacken und gönnerhaft dahin trudelt; das glatte Gegenteil von "Crazy". Die Texas-Nashville-Legende ist selbst an Bord. Was nur in Nuancen auffällt, weil die beiden Herren die Crazyness wie brave Chor-Knaben anstimmen. Nelson mag Bublé auch auf den Duke Ellington-Classic "Don't Get Around Much Anymore" gebracht haben. Der Bandana-Träger hat den Swing-Tune schon mal mit Booker T. als B-Seite veröffentlicht, derweil die Nummer auch für Bublé keine neue Spielwiese ist, hatte er sie als Duett doch schon vor zehn Jahren mit Tony Bennett geträllert. Komfortzone für Fans. Die aktuelle Orchester-Fassung wummst ordentlich saftig, kann einem derweil schnell zu übertrieben fett aufgetragen vorkommen.

Aus der Jazz-Variété-Ecke flashen vor allem das behutsam dargebotene und relativ rare "Don't Take Your Love From Me" (von Hollywood-Komponist Henry Nemo) und eine schwungvolle, exzellent abgemischte Brillant-Fassung von "A Nightingale Sang In Berkeley Square". Während "Don't Take Your Love From Me" als Breitwand-taugliche Schmonzette tief im Easy Listening gründelt, durchaus schön bei allem Kitsch-Charakter, gibt sich der Italo-Kanadier in "A Nightingale Sang In Berkeley Square" eher treibend und sportlich.

Beide Nummern offenbaren seine gesangliche Palette hinreißend. "Don't Take Your Love From Me" zeigt seine Fähigkeiten zum Mini-Vibrato und zum Sinatra-haften Raunen und die Kompetenz, beides genau dort einzusetzen, wo's passt und die Intimität des Vortrags unterstreicht. "A Nightingale Sang In Berkeley Square" (Glenn Miller, Bing Crosby, Stan Getz, Nat King Cole, ...) lässt die Lust an der Zeitreise heraus und stellt den Charme des üppig-dekadenten '40er-Jahre-Broadway-Schmalzes auf originalgetreue und zugleich klangtechisch restaurierende Weise her. Ein toller Service für Fans, die diese alten Musik ohne Schellack-Knistern erleben wollen.

Teile der "Higher"-Produktion hören sich hochwertig nach quadrophonem Raumklang oder Dolby Surround-Kinosaal an. Dadurch kommt der mittelmäßig originelle Stomper-Titelsong doch gut zur Geltung. Was songwriterisch wie ein etwas erzwungener Power-Soulpop mit Handclapping-Effekt wirkt, besticht andererseits durch überwältigenden Sound. "Higher" dürfte ein Casting-Show-Parade-Stück der Zukunft werden und drängt sich geradezu fürs Covern in einem Rahmen auf, in dem Stimmtalente sich behaupten wollen. Michael selbst macht hier indes einen gehetzt phrasierenden Eindruck.

Sein Cover des Disco-Überhits "You're The First, The Last, My Everything" hat etwas Nettes, Pfiffiges, Frisches, Überraschendes, weil es die dort sowieso schon üblichen Streicher noch mal auf Swing-Style trimmt und vom Trash-poppigen Einstieg bis zum donnernden Ausstieg ein paar Ideen aufbietet. Die McCartney-Produktion "My Valentine" enttäuscht dagegen als vorhersehbare Massenware für Kaufhaus-Lautsprecher. Der Synth-Folktronicer "Mother" reißt die Platte aus ihrer Pflichtschuldigkeit heraus, versucht es recht gelungen mit etwas Understatement und einem durchaus anrührenden Text. Das Familien-Lied, das zu erwarten war.

Ob es eine Chorfassung von Charlie Chaplins "Smile" braucht? Ich finde, für eingefleischte Fans: Ja, da sie nach dem Hören definitiv haften bleibt, "Smile" seit Bublés Durchbruchs-CD "Caught In The Act" zu ihm und seinem Image gehört und die neue Fassung kaum kontrastreicher zu derjenigen von 2005 sein könnte. Dem allgemeinen Pop-Publikum kann man die kirchenhafte Neueinspielung hingegen kaum zumuten. In Summe eine reichlich heterogene Scheibe ohne roten Faden, aber mit vielen gut herausgearbeiteten Facetten und einem witzigen Parforce-Ritt durch neun Jahrzehnte Musikgeschichte.

Trackliste

  1. 1. I'll Never Not Love You
  2. 2. My Valentine
  3. 3. A Nightingale Sang In Berkeley Square
  4. 4. Make You Feel My Love
  5. 5. Baby I'll Wait
  6. 6. Higher
  7. 7. Crazy (with Willie Nelson)
  8. 8. Bring It On Home To Me
  9. 9. Don't Get Around Much Anymore
  10. 10. Mother
  11. 11. Don't Take Your Love From Me
  12. 12. You're The First, The Last, My Everything
  13. 13. Smile

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