17. September 2009

"Lieber albern als einfach nur schön"

Interview geführt von

Sein erstes Album verkaufte sich millionenfach. Deshalb tut Mika beim Zweitling "The Boy Who Knew Too Much" einfach so, als hätte er nichts zu verlieren."Uberall Konfettiiiiiii!", kichert Mika abends bei seinem Konzert ins Mikro. Er hüpft über die Bühne, schmeißt goldene Glitzerpapierchen auf die Zuschauer, schüttelt seinen langen, dünnen Körper und den braunen Lockenkopf. Immer wieder versucht er sich in Deutsch. Scherzt mit dem Publikum. Zappelt herum.

Als wir ihn nur zwei Stunden zuvor im Münchner Hotel Cortina treffen, ist von dem überdrehten Mika zu Beginn noch nicht viel zu spüren. Er sitzt in einem großen Sessel, ein Teller Nudeln thront auf seinen Beinen. Der Popstar ist höflich. Steht zur Begrüßung auf, bittet uns, Platz zu nehmen, stellt sofort sein Essen weg.

Mika ist in Wartestellung, ein wenig distanziert. Die braunen Rehaugen schauen erst einmal schüchtern. Doch sobald er die erste Frage hört, fängt er an zu lachen. Das gesamte Interview über ertönt es, dieses einladende Lachen.

Wie ein kleiner Junge plappert und plappert er manchmal, ohne Punkt und Komma. Fängt neue Sätze an, bevor er die vorigen beendet hat. Er IST "The Boy Who Knows Too Much". Und daran lässt er alle teilhaben.

Mika, im Video zu deiner neuen Single "We Are Golden" tanzt du ziemlich spärlich bekleidet durch die Gegend, nur in Unterwäsche und mit goldenen Sneakers. Sei mal ehrlich, ist einem nach so einem Video noch irgendetwas peinlich?

(Lacht) Nichts (lacht wieder). Absolut gar nichts. Und deswegen wollte ich es. Ich sah mir die zweiten Alben von anderen Künstlern an, besonders die, die richtig scheiße sind. Der größte Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Platte ist, wenn du fühlst, dass diese Person sich versteckt, sich jetzt selbst zu schützen versucht und weniger Risiken eingeht. Da dachte ich mir: Ich muss mich mit diesem schrecklichen Gedanken auseinander setzen, dass ich ein zweites Album produzieren muss und dass ich mit mir selbst im Wettbewerb stehe. Deswegen handle ich jetzt einfach so, als hätte ich nichts zu verlieren. Die Realität sieht nun mal so aus. Damit muss ich klar kommen. Dieses Video spiegelt meine Einstellung zum zweiten Album wider.

Wie viele Leute standen denn um dich herum, während du da so halbnackt getanzt hast?

Oh, gar nicht so viele. Vielleicht um die 16.

16? Also ich glaube, ich hätte ein Problem damit, vor 16 Leuten fast nackt zu sein.

Glaub mir, daran gewöhnst du dich. Die stört das gar nicht. Das ist alles ganz locker. Überrascht mich jetzt, dass jemand aus Deutschland so was sagt (lacht).

Was war denn die komischste Sache, die du als Jugendlicher jemals getan hast?

Ich war 14. Eines morgens fing meine Mutter an zu weinen, als sie mein Schlafzimmer betrat. Ich scheuerte gerade meine Wand mit einem Schwamm ab. Da war ein Fleck, aber ich wollte meine Wände weiß. Weiß. Weiß. Weiß. (lacht)

Warum hast du deine Wände nicht einfach gestrichen?

Oh, das hab ich auch gemacht. Als ich ungefähr 11 war, habe ich beschlossen, dass alles weiß sein soll. Deswegen hab ich unser komplettes Wohnzimmer, jedes kleine Möbelstück darin, weiß gestrichen.

Machst du das immer noch?

In meinem Haus ist eigentlich alles weiß.

Warum?

Keine Ahnung. Ich schätze, alles andere würde mein Denken behindern. Und ich liebe die Vorstellung, einen Raum mit Ideen zu füllen. Mit Perversionen. Mit Fantasien und all solchen Sachen. Und deswegen will ich nichts Störendes an den Wänden.

Das ist schon ein großer Unterschied zu deinen Videos. Da zeigst du dich immer sehr farbenfroh.

Das ist vielleicht so wie bei den Modedesignern, die diese unglaublichen Kleidungsstücke kreieren. Die tragen immer nur schwarz. Schwarzes T-Shirt. Schwarze Jeans. Ist doch irgendwie das Gleiche.

Wünschst du dir manchmal, noch einmal 15 zu sein?

Mach ich das?

Ich weiß nicht, sag du es mir.

Nein. Ich renne davor weg, so schnell ich kann.

Aber wenn du es noch einmal wärst, was würdest du anders machen?

(Überlegt lange) Ich würde jetzt gerne sagen, dass ich dann unglaublich viele Drogen nehmen würde, jede Nacht Party machen würde und mich für nichts entschuldigen würde. Aber die Wahrheit ist: Wenn ich noch mal 15 wäre... ach egal. Das ist ok. Ich mach das dann einfach alles, wenn ich 58 bin. Dann werd ich auf dem Balkon sitzen, mit einer Wanne voller Ecstasy und die Leute anschreien: (schreit wirklich) "Ich sterb doch sowieso, deswegen scheiß ich drauf!" (lacht)

Wieso nicht jetzt?

Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Nein, ich hab nur Spaß gemacht. Wenn ich noch mal 15 wäre, dann ... dann ... dann würde ich mich nicht mehr fürchten.

Fürchten vor was?

Vor einfach allem. Ich hatte Angst vor anderen Leuten. Angst, was sie über mein Gewicht sagen könnten. Angst, zusammen geschlagen zu werden. Angst, jemanden anzusprechen. Angst davor, was andere von meiner Musik halten könnten. Ich hatte einfach vor allem Angst. Ich war wirklich ein Angsthase.

In einem Interview hast du mal gesagt, dass du früher ein komischer Kauz warst. Heute wirkst du ziemlich selbstsicher. Was ist passiert?

Ich bin jetzt nur selbstsicher, weil ich weiß, was ich tue. Und ganz ehrlich, ich hab auch heute noch Probleme mit meiner Unsicherheit. Steck mich in einen Raum voller Unbekannte und sag mir, ich soll mich amüsieren. Dann weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Deswegen versteck ich mich in der Ecke, trinke zu viel und geh heim. Danach bin ich genervt, weil keiner mit mir geredet hat. Dabei ist das ja eigentlich meine Schuld. Aber weißt du, sobald ich auf der Bühne bin, ist das was ganz anderes. Dort weiß ich, wie ich mich verhalten soll. Dort muss ich keine Angst haben, was irgendjemand über mich denkt. Auf der Bühne habe ich nichts zu verlieren.

Naja, deine Fans vielleicht?

Nein. So ist das nicht. Wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich nicht an meine Fans – dann denke ich an mich selber und mache die Musik für mich. Ich glaube, das ist der Grund, warum meine Fans so hinter mir stehen. Sie wissen, dass ich aus den richtigen Gründen auftrete. Jedenfalls nicht, weil ich will, dass sie in einen Fanclub oder so was eintreten.

"Die Schlafzimmerwände meiner Jugend sollten explodieren"

Sprechen wir über dein neues Album. Was ist für dich das Besondere daran?

Es gibt niemanden sonst, der solche Musik macht wie ich. Wirklich keinen. Meine Musik entsteht nicht aus einer Mode oder einem Trend heraus. Sie entsteht, weil sie mich glücklich macht. Wenn du sie anhörst, erinnert dich das, was da aus deinen Lautsprechern schallt, an eine Mischung aus den durchgeknallten Tim-Burton-Filmen und den Disney-Sachen. Von Song zu Song entwickeln sich all diese verrückten Farben und Formen und Wirbel und Emotionen und ich liebe es. Ich wollte, dass die Schlafzimmerwände meiner Jugend explodieren und bis in den Weltraum fliegen. Deswegen sieht auch mein Cover so aus.

Wieso hast du dich für den Albumtitel "The Boy Who Knew To Much" entschieden?

Weil es wie ein Film klang.

Der von Alfred Hitchcock?

Ja, genau der. Ich liebe diesen Film und ich liebe Hitchcock. Deswegen wollte ich, dass auch mein Album sich wie ein Film anfühlt. Wenn du Hitchcock siehst, hast du immer das Gefühl, mit dem besten Stalker der Welt unterwegs zu sein. Und ich war ein Stalker, als ich jung war (lacht). Ich habe mich jedenfalls so gefühlt.

Wie meinst du das jetzt?

Ich war ein Stalker, weil ich nicht mutig genug war, ein Handelnder zu sein. Mein Song "I See You" handelt genau davon.

Du wirst häufig mit den Scissor Sisters verglichen und als nächster Robbie Williams gehandelt. Stört dich das?

Nö, ist mir egal.

Mit wem würdest du nicht gerne verglichen werden?

Oh, das ist jetzt interessant (überlegt lange). Ich weiß nicht. Vielleicht ... (überlegt wieder). Ach nein, dazu sag ich jetzt nichts. Sonst müsste ich ja was Schlechtes über einen anderen Künstler sagen. Nein, nein, da mach ich nicht mit! (Lacht)

Der 80er-Jahre Sound ist im Moment in der Popmusik ziemlich angesagt. Es gibt La Roux, es gibt Little Boots, MGMT und wie sie alle heißen. Du machst ja auch solche Musik. Hast du Angst vor den anderen Künstlern?

Oh, ich mag ihre Musik. Ich finde sie gut.

Keine Panik, dass sie dir deine Poleposition wegnehmen und du weniger Platten verkaufst?

Nein. Ich finde nicht, dass ich wie sie klinge. Meinetwegen lassen sie sich von den 80er-Jahren inspirieren. Von mir sagen auch manche Leute, dass meine Musik nach 80ern klingt. Aber ich finde nicht, dass sich unser Sound ähnelt. Ich glaube, es geht langsam einfach dahin zurück, dass es nicht mehr schlimm ist, Popmusiker zu sein. Früher musste ich mir manchmal Sachen anhören: "Oh, du machst Popmusik. Das ist ja ekelhaft." Damals waren Indiebands in. Dann kam ich, vor mir ein paar wie die Scissor Sisters und jetzt schau mal an. Da ist Gaga, La Roux, Florence and the Machine und all die. Heutzutage wird die Popmusik von immer mehr Künstlern immer weiter nach vorne gebracht. Das ist doch toll.

Dein erstes Album "Life in Cartoon Motion" war mit sechs Millionen verkauften Tonträgern ein riesiger Erfolg. Hat dich das beim Nachfolger unter Druck gesetzt?

Sagen wir es mal so: Wenn sich mein erstes Album eine halbe Millionen Mal verkauft hätte, wäre das auch ein riesengroßer Erfolg gewesen. Von null auf eine halbe Million. Richtig? Also war es damals völlig egal, wie viele Platten ich verkaufen würde. Ich war zuvor ein Niemand. Aber egal, was früher war. Ich werde mich immer dazu zwingen, etwas zu machen, auf das ich persönlich stolz bin. Ich habe sonst nichts. Das ist kein Witz für mich. Ich mach das nicht, weil ich berühmt sein will. Wenn ich daran denke, dass ich ein Star sein muss, um mein Album zu promoten, würde ich mir am liebsten etwas antun. Aber ich bringe CDs raus, von denen ich denke, dass sie gut sind und dementsprechend gut laufen. Sie müssen. Ich bin ein Popmusiker, kein Indieartist. Das ist nun einmal das Laster der Popmusik. Meine Platten müssen gut ankommen. Wie gut, das liegt in Gottes Hand, aber gut.

"Ich bin lieber albern als einfach nur schön"

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass es dir scheißegal ist, was andere von dir denken. Also. Wie ist denn Mika? Nicht der Mika aus dem Fernsehen oder auf der Bühne, sondern du.

Mika ist noch immer das gleiche, komische Kind, das Spaß daran hat, Leute aus der Ferne zu beobachten.

Du hast auch mal gesagt, du wärst ziemlich hässlich gewesen. Wie siehst du dich denn jetzt? Ich meine, immerhin arbeitest du als Model.

Albern! Ich bin lieber albern als einfach nur schön. Das ist besser. Ich denke heute auch nicht mehr darüber nach - muss ich nicht mehr. Ich kann einfach nur sein.

Dein neues Album handelt von der Jugend. Du wurdest in deiner gehänselt und gemobbt. Warum singst du denn dann immer wieder über diese schwere Zeit? Willst du das nicht lieber vergessen?

Gute Frage. Ich schreibe ja nicht über die Leute, die mich gehänselt haben. Ich schreibe über ganz normale Sachen. Liebe, Identität, vor allem Identität. Und eigentlich eher über die Auswirkungen von Liebe und wie du Liebe bekommst. Darüber schreib ich lieber als über Verliebt-Sein, das ist langweilig.

Du findest Verliebt-Sein langweilig?

Ja. Liegt vielleicht daran, dass ich noch nie richtig verliebt war. Aber ich bin ja auch erst 26. Ich meine, mir wurde mein Herz schon gebrochen, aber richtig verliebt war ich nicht. Das ist ein Unterschied.

Den Unterschied verstehe ich grad nicht.

Wenn dir dein Herz gebrochen wird, ist das ein ganz anderer Vorgang. Das kann so schnell gehen, selbst wenn du die Person nicht liebst.

Willst du was darüber erzählen?

Es geschah, als ich gerade mein erstes Album herausbrachte. Weißt du, was ich dann gemacht habe? (Grinst) Ich hab 2000 Pfund von dem Vorschuss genommen, den mir die Plattenfirma gegeben hatte. Davon habe ich zusätzliche Poster meines Albums drucken lassen. Diese Poster hab ich dann auf jede mögliche Oberfläche rund um das Haus dieser Person geklebt (lacht). Solche Sachen mache ich immer. Ein Song meines neuen Albums heißt "Rain". Der Text war eigentlich ein Abschiedsbrief. Dann dachte ich, dass es eigentlich ganz witzig wäre, wenn ich einen Dancebeat dahinter lege und in einem Popsong verwandle. Der wird dann im Radio gespielt und verstärkt meine Nachricht um das Zehnfache.(lacht)

Hast du von der Person irgendeine Reaktion bekommen?

Nee nee. Werde ich hoffentlich auch niemals kriegen.

Ok. Noch eine letzte Frage: Wie wird ein Leben "golden"?

Wenn du aufhörst, nach Gold zu suchen.

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