laut.de-Kritik
Verstörend ehrliches Porträt, das nichts beschönigt.
Review von Toni Hennig"Ich habe vier oder fünf mal die Musik revolutioniert. Und warum sind sie hier?" So stauchte mal Miles Davis eine weiße Bankiersfrau zusammen, die darüber erstaunt war, dass er zum Festessen des US-Präsidenten eingeladen war. In der nun auf DVD und Blu-Ray veröffentlichten filmischen Biographie "Birth Of The Cool", bei der Stanley Nelson Regie führte, feiert ihn die Musikwissenschaftlerin Tammy L. Kernodle sogar als schwarzen "Superheld". Doch es gab auch eine sehr dunkle Seite des Ausnahme-Trompeters, geprägt von Rassismuserfahrungen, Drogen, Alkohol, Gewalt und Schmerz.
Miles Davis hatte des Öfteren versucht, die Grenzen zwischen schwarzer und weißer Musik aufzulösen, etwa als er Ende 1957 in Paris den schwermütigen Soundtrack zu "Ascenseur pour l'échafaud" einspielte, während er die bewegten Bilder zum Film sah. Andererseits wollte er aber auch kein weißes Model auf dem Cover von "Miles Ahead" haben, das er im Sommer zuvor zusammen mit einem 19-köpfigen Orchester unter der Leitung von Gil Evans realisierte.
Das drängte ihm seine damalige Plattenfirma Columbia auf. Jedoch konnte er sie letzten Endes davon überzeugen, dass man sein Gesicht auf dem Cover abdruckte. So viel Einfluss in die Entscheidungen eines von Weißen betriebenen Labels hatte zuvor wohl kein afroamerikanischer Musiker genommen.
Da gibt es in der Doku eine schöne Anekdote über Davis' Schulzeit, die sein Kollege Wayne Shorter erzählt: "Eine Lehrerin meinte, der Blues sei Ausdruck für die Leidensgeschichte der baumwollpflückenden Sklaven. Daraufhin stand Miles auf, fuhr sie an 'Sie sind eine Lügnerin!' und verließ die Klasse." Darin steckte der Wunsch, sich jenseits rassistischer Vorurteile als Musiker zu etablieren.
Später begegnet man noch einer anderen Geschichte, die sich 1959 vor dem berühmtesten Jazz-Club New Yorks, dem Birdland ereignete. Als der Trompeter dort für wenige Minuten frische Luft schnappen wollte, meinte jemand, er solle gefälligst aus dem Weg gehen. Kurz darauf kam ein weißer Polizist an, der zu Miles sagte, dass er abhauen solle. Als Davis darauf pochte, dass er sich in einem freien Land frei bewegen könne, bekam er vom Polizisten blutige Schläge mit dem Gummiknüppel über seinem Schädel verpasst. Da hatte er gerade "Kind Of Blue" veröffentlicht, das als erfolgreichstes Jazz-Album in die Musikgeschichte eingehen sollte. Aber egal, wie viel Erfolg und wie viel Macht man hat: Der Rassismus macht auch vor einem Miles Davis nicht Halt.
Jedoch trugen gerade diese Erfahrungen zu seinem coolen Ruf bei den Afroamerikanern bei. Da war ein Mann, der es mit seinem Talent bis ganz weit nach oben brachte und dies in Form von eleganten Anzügen oder teuren Luxusschlitten auch nach außen hin zeigte. So einer lässt sich doch von einem weißen Polizisten nichts sagen.
Es folgten einige der düstersten Jahre seines Lebens, über die Frances Taylor, seine Ehefrau zwischen 1959 und 1968 berichtet, die den Kinostart der Doku im Januar diesen Jahres aufgrund ihres Todes Ende 2018 nicht mehr erleben konnte. Kurz nach der Hochzeit verwandelte sich Davis jedenfalls zum Monster, das seine Frau aus Eifersucht an den Herd kommandierte, als sie gerade eine Rolle als Tänzerin für West Side Story annahm, die den Gipfel ihrer Karriere bedeutet hätte.
Zudem verprügelte er sie häufig, wenn er unter dem Einfluss von Schnaps, Kokain und rezeptpflichtigen Arzneien stand, um seine Gelenkschmerzen zu betäuben. Miles, das war einerseits ein Sexist, ein Frauenschläger, ein Süchtiger, aber andererseits ein feinfühliger Poet von spielerischer Brillanz.
So stellt Frances die Frage: "Wie kann einer solch wunderschöne Musik spielen, wenn er gleichzeitig diese andere Seite hat?" Zudem habe sie bis zuletzt "Liebe" gespürt. Seine lyrische, verwundbare Seite, das, was er eigentlich zum Ausdruck bringen wollte, das konnte Miles Davis nur mittels seiner unverfälschten, introvertierten Töne transportieren, wobei er immer darauf achtete, was zwischen den einzelnen Noten passierte, dieser leere Raum, der Platz für die Eigenfantasie des Hörers ließ. Das machte seine Musik so mystisch, so vibrierend, so sexy, aber auch so romantisch und so verträumt.
Zudem hatte er ein außerordentliches Händchen für frische und hungrige Talente, die an seiner Seite völlig losgelöst von Jazz-Konventionen einfach drauflos improvisierten, so dass er bis Ende der 80er-Jahre noch musikalisch von höchster Relevanz war. Egal, ob nun Wayne Shorter, Herbie Hancock oder Ron Carter aus seinem berühmten Quintett in den 60ern zu Wort kommen oder spätere Kollegen wie Carlos Santana, Quincy Jones oder Marcus Miller: Jeder Musiker verbindet mit dem Trompeter seine ganz eigene Geschichte. Weiterhin plaudern noch engste Freunde, Nachbarn, Nachkommen und Ex-Freundinnen aus dem Nähkästchen.
Nur besteht das Problem der Doku darin, dass es im Grunde unmöglich ist, die gesamte Karriere von Miles Davis auf gut zwei Stunden chronologisch herunterzubrechen. Da folgt oftmals Dia an Dia, so dass für eine genaue Einordnung seiner Leistungen im gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang nur wenig Zeit bleibt. Im Grunde rast der Film von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt, von Interviewschnipsel zu Interviewschnipsel. So manch grundlegende Station seiner Karriere fällt deswegen weg.
Man hätte beispielsweise gerne etwas über den Entstehungsprozess von "In A Silent Way" erfahren, das viele Hörer und Kritiker als Ausgangspunkt der Fusion-Musik ansehen, als der Trompeter Anfang 1969 von einer neuartigen Schnitt-Technik Gebrauch machte.
Dabei bekamen die Stücke durch das Zusammenschneiden mehrerer verschiedener Aufnahmen ihre für damalige Verhältnisse wegweisende Form. Zudem legte Davis auf der Platte erstmalig nicht mehr Wert auf das Solistische, sondern auf ein stimmiges atmosphärisches Gesamtbild. Ambient-Jazz nannte man das später häufig, obwohl Ende der 60er-Jahre der Begriff Ambient noch nicht existierte. In der Doku hört man kein einziges Wort über das Werk.
Die größte Stärke der Doku liegt aber darin, dass sie trotz aller berechtigter Lobhudeleien über Miles Davis' Wirken als Musiker nichts an seiner wiedersprüchlichen Persönlichkeit beschönigt. Dadurch entwickelt sich ein verstörend ehrliches Porträt über einem Jazz-Revolutionär, der sich stets auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn hin- und herbewegte.
5 Kommentare mit 31 Antworten
Ungehört 1/5.
Sollte klar sein!
Müsste es nicht Ungesehen 1/5 heißen?
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Wir wollen uns hier doch nicht mit solchen Kleinigkeiten aufhalten, hm?
biste kein Fan von Miles Davis?
Ich mag, bis auf ganz wenige Ausnahmen, Jazz halt überhaupt nicht. ich finde das klingt in der Regel, wie 13 Instrumente gleichzeitig von der Treppe gestoßen.
Mir ist die musikgeschichtliche Bedeutung aber natürlich bewusst.
Bleibt aber Drecksmusik in meinen Ohren!
Und deswegen gilt, und hier ganz besonders: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten.
Ich äussere mich ja auch nicht zu (Deutsch)Rap.
(Durch die Bank 1/5, sollte klar sein)
Ehrenmann Para! :-*
John lenon lösch Dich!
lenon seit Ionen am stisen, Kuschelpartner von lauti @ any given Britpop-Thread!
argi 2 da rescue, plz! :^)
Paras pauschales Unvermögen, sich in Jazz einzufühlen, bei gleichzeitig so riesiger Empathie für so viele andere Genres großartiger Musik bleibt eines der letzten großen Rätsel der Menschheitsgeschichte!
Ehrenmann, weil er Jazz nicht mag? oder einfach so Ehrenmann?
"Paras pauschales Unvermögen,"
Ich habe es versucht. Mehrfach!
13 Instrumente!
Treppe!
Gleichzeitig!
Man hat subjektiv das Gefühl, da spielt jedes Instrument einen anderen Song. Wer's mag, dem sei es aus vollem Herzen gegönnt.
Gönnt mir, dass ich es abgrundtief beschissen finde, ich den ejakulationsgleichen Anfall von Hingabe an einen Musiker, der sich selbst als "Ich habe vier oder fünf mal die Musik revolutioniert." beschreibt, als albern empfinde.
Ihr dürft das Gleiche von mir denken.
"Und deswegen gilt, und hier ganz besonders: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten."
Und jetzt definierst Du mir mal bitte "Ahnung von Musik haben"!
Ich bin gespannt!
Ich glaube ich fehle hier..........nicht! Deutscher Rap ist keine Musik und Para ist natürlich ein Ehrenmann ausschließlich deshalb weil er seit Pablo Honey in Creep den Jazz sucht.
Nein, Du fehlst definitiv nicht. Dein debiles Gesabbel vermisst wirklich kein Mensch. Wieso kommst du denn hier jetzt mit Deutschrap um die Ecke, du Meeressäuger?
Para ist natürlich grundsätzlich ein absoluter Ehrenmann, auch wenn er sehr genrefremd ist, was ich ihm ausnahmsweise vergeben kann.
Jazz ist durch seine mehr als 100 Jährige Geschichte halt ungefähr so umfangreich wie Rock wenn man da jegliche Musikrichtung mit verzerrten Gitarren dazuzählt.
Wenn für dich Jazz nur so klingt wie 12 Instrumente gleichzeitig, dann hast du zumindest keine "Ahnung" von Jazz.
Gibt ja auch genügend eingängige und aufgeräumte Sachen.
Die ruhigen aufgeräumten Sachen gehen dann aber oft Richtung Fahrstuhlmusik. Ich mag an Jazz, was Para offenbar gerade nicht mag - das Wilde, Schnelle, manchmal vordergründig chaotische Zeug.
Irgendwelche Empfehlungen, btw?
Hm? Mein Brit-Pop-Buddy hier ist doch Liam Lennon, nicht John Lennon.
My bad, in dem Fall selbstredend:
Lösch dich, Johnn lenin!
@Schwinger: Ornette Coleman, falls noch nicht bekannt?
Fiel mir erstmals im Zuge seiner Zusammenarbeit mit Howard Shore für den Score der Cronenberg-Adaption von William S. Burroughs' Naked Lunch auf und war jetzt das griffigste (wen auch von der Person her naheliegendste) Beispiel, was mir bereits zu Paras Beschreibung in den Kopf kam...
Mal Butter bei die Fische! Rock inklusive sämtlicher Subgenres ist der größere Musikmarkt. Es gibt eindeutig mehr Platten/CD Spieler auf denen in Dauerrotation Rock läuft, wie Fahrstühle wo Jazz läuft.
Jazz logisch betrachtet ist Chaos vordergründig, wenn man erstmal den Dreh raus hat ordnet Jazz das Chaos. Gerade Spitzen Instrumentalisten wie Miles Davis spielen über jede Grenze hinweg ihre Instrumente mit äusserster Präzesion.
Hier bei Laut gibt es den Stein dazu, der auch Para klar machen kann was Jazz kann: https://www.laut.de/Keith-Jarrett/Alben/Th…
Ich weiß nicht, wie du Hänger ernsthaft auf die Idee kommst, dass Rock der größte Musikmarkt ist. Das war vllt 1987 noch so, als du grade den Teenagejahren entwachsen bist.
Weltweit 2018: https://de.statista.com/statistik/daten/st…
Deutschland 2019:
https://de.statista.com/statistik/daten/st…
Aber in den Umfragen ging es um Beliebtheit generell. Ggf. müsste man das nochmal in Alterssegmente unterteilen, oder nach dem Umsatz pro Genre fragen. Das HipHop/Rap nicht ganz oben rangiert, verwundert mich. Man kann aber sicher davon ausgehen, dass im Pop heute vieles sehr hiphopesk ist, schwammig alles.
ich versuche es einfach mal:
Jazz für Para?
Art Pepper und sein wundervolles „The Prisoner“.
Sein Titel stammt nicht von ungefähr. Der Saxophonist büßte für das „Verbrechen“ der Sucht und seinen Hang zu Beruhigungsmitteln, die seine Kunst nicht hinderten mit insgesamt 12 Jahren Knast, diversen Zwangseinweisungen usw.
Man hört die Verbitterung zu Beginn deutlich in seinem Spiel. Zusammen mit der großartigen Akustikgitarre und dem rahmenden Piano groovt er sich im Verlauf aus aller Pein heraus und wandelt Schmerz in stürmischen Fukk-You-Blues. Ein Lied wie ein gestreckter Mittelfinger. Wer all dem ein offenes Ohr leiht, wird im Verlauf schier raubtierhaft angefallen ob der Wucht Peppers und seiner zur Schau gestellten Gefühle.
https://youtu.be/5utT5yiQAOo
Hab ich bereits im Kino gesehen und für unverzichtbar befunden. 5/5
1. hancock
2. davis
3. mingus
4. coltrane
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Apropos Hancock. Der ist auf dem neuen Bill Laswell-Album zu hören neben Pharoah Sanders. Ist recht gut geworden.
Dass der seit 10 Jahren nix Solomäßiges rausgebracht hat grenzt auch an ein Verbrechen. Andererseits scheint seine Diskographie unerschöpflich.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Dazu habe ich Hancock im Gegensatz zu den anderen genannten Musikern bisher nur sporadisch gehört, muss ich gestehen.
Ich dachte die Frauenklopper würden hier bei laut.de mittlerweile alle abgestraft...
#confused
aber nicht wenn man Mitleid mit ihnen hat, weil sie ja kloppen mussten- nicht anders konnten. Wegen Leidenschaft & Kunst und so....
"Ich schlage Dich nur, WEIL ich Dich so liebe..."
1. Coltrane
2. Monk
3. Davis
4. Mingus
5. Hancock
6. Doldinger