laut.de-Kritik
Mit geordnetem Wahnwitz einer unbestimmten Düsternis entgegen.
Review von Anne NußbaumHeftige Beats, anziehend strapaziöse Bleeps und Bloops, an- und abschwellende Klangfolgen, schnarrende Bässe und unscharfe Soundfetzen: Schon nach einer Minute befindet man sich mittendrin in der neuen Platte aus dem Hause Modeselektor. Und fühlt sich umgehend wohl zwischen all den bunten Versatzstücken aus Techno, IDM, Dubstep, Dancehall und Hip Hop.
Die Auflösung von Kategorien und Verschmelzung verschiedenster Stilrichtungen treiben Sebastian Szary und Gernot Bronsert ohnehin seit Jahr und Tag voran. Klassischer Berlin Techno war das nie, und ist es auch nicht auf dem dritten Album der beiden.
Emanzipiert von Ellen Alliens BPitch Control erscheint mit "Monkeytown" die erste Produktion auf dem eigenen, gleichnamigen Label. Der Affe als altbekanntes Leitmotiv auch auf dem Cover, designt von der Pfadfinderei: Man befindet sich, trotz Loslösung von BPitch, immer noch in der Gesellschaft von Freunden.
Die sind ohnehin in beachtlicher Zahl auf dem Drittling zu finden: Die illustre Gästeliste umfasst Sascha Ring ebenso wie Miss Platnum, PVT oder Labelgenosse Siriusmo. Der mannigfaltige Kollaborationsreigen sorgt dabei nicht für beliebig zusammengewürfelte Songreihungen, im Gegenteil: Modeselektor fügen eine ausgereifte Kompilation aus Tracks verschiedenster Spielarten zusammen, die nuancierter und konsequenter kaum sein könnte.
Wer dahinter Chaos vermutet, wird geordneten Wahnwitz finden: Spitzbübische Überschwänglichkeit und zerbrechliche Anmut, prahlerische Pose mit Dicke-Hose-Beats und feingliedrige Soundfetzen, drückende Bass-Tiefe und aufgekratztes Schnarren packen die Modeselektoren gleichermaßen in ihre üppig gewebte Produktion.
Das Stil- und Tempusspektrum, aus dem die Berliner schöpfen, speist Asymmetrie und Brüchigkeit. Sounds werden zerschnitten und wieder zusammengesetzt, bis sich die warme Akustik in die Kühle technisierter Klänge einpasst. Ober- und Untertöne, Schönheit und Hässlichkeit, mit ihrer ganz eigenen reizvollen Ästhetik, finden nebeneinander statt.
Letztere verleiht Stücken wie "Evil Twin" eine beunruhigende Boshaftigkeit, die die zackigen Vocals von Otto von Schirach noch potenzieren. Modeselektor stechen mit Paranoia und Tanzdrang zugleich fiesesten 8-Uhr-früh-Techno aus.
"German Clap" erhellt die düstere Stimmung kaum: Bedrohlich trippeln aus der hintersten Ecke hochschraubende Akkordläufe heran, die sich alternierend in Höhen und Tiefen verlieren. Dabei widerstehen die Arrangements stets stumpfem Vierviertel, bleiben aber dennoch dem Beat verpflichtet. Der tropft mal schwer und stampfend, mal prasselnd und gehetzt aus den Boxen.
Radioheads Genie Thom Yorke, den Modeselektor nicht zum ersten Mal für eine Zusammenarbeit gewinnen konnten, wirkt diesmal gleich an zwei Tracks mit. Er infiltriert seine ganz eigene Poesie: Das zittrige Falsett und das beiläufig eingestreute Fiepsen, die eilenden Drums und der hektische Beat geben "Shipwreck" eine aufreibende Melancholie, die auch Yorkes Solostücken innewohnt.
"This" ist gleichsam nervenaufreibend: Die Ruhepunkte zwischen den verstörend eingeflochtene Stimmsamples und den synkopischen Basslines sind bloße Täuschung, treibt der Track doch einer unbestimmten Düsternis entgegen, die sich unter ausklingender Gitarre auf das Schlussstück überträgt.
Stimmengewirr und Kinderecho, aus denen sich leise klackernde Drumsticks schälen: Blechern wächst "War Cry" zu einem wuchtigen letzten Schlag heran, begleitet von sich steigernden Tonfolgen und monotonem Schlachtruf. Widerhall und Türknarzen ist alles, was am Ende übrig bleibt. Ein fulminanter Abschluss, der erneut den international bedeutsamen Status der Marke Modeselektor innerhalb einer innovativen Electronica-Szene unterstreicht.
2 Kommentare
Ich fand' die erste Monkeytownplatte innovativer - es waren schiefere und somit interessantere Beats und Basslines vorhanden. Trotzdem tatsächlich besser als der meiste Einheitsbrei momentan^^
Schönes Album, und Evil Twin ist natürlich ein echter Banger.