laut.de-Kritik

Chelsea Wolfe und Jess Gowrie wühlen im Dreck.

Review von

Es schwelte schon seit "Hiss Spun". Kurz nachdem Chelsea Wolfe dieses monumentale Album mit Jess Gowrie am Schlagzeug eingehämmert hatte, sammelten die beiden Ideen für ihr nächstes gemeinsames Projekt. Jetzt siecht das Ergebnis – Mrs. Piss – im verdreckten Entbindungssaal und konfrontiert auf "Self-Surgery" mit Wut, Schmerz, Frustration und schamloser Direktheit.

Die gemeinsame musikalische Vergangenheit von Wolfe und Gowrie reicht zurück bis Mitte der 00er-Jahre. Damals gründeten die beiden in Sacramento die kurzlebige, zwischen Grunge und Post Hardcore pendelnde Band Red Host. Erst danach begann Wolfe ihre bis heute andauernde Solokarriere. Gowrie spielte seitdem in verschiedenen härteren Formationen, etwa I'm Dirty Too, Happy Fangs und Horseneck. 2017 fanden sie für "Hiss Spun" erneut zusammen und bündelten ihre unterschiedlichen Fähigkeiten. Geschah das allerdings noch unter Wolfes Federführung, agieren sie nun bei Mrs. Piss als gleichberechtigte Projektpartner.

Sieht man "Hiss Spun" als Startpunkt der kreativen Reise, liegt "Self-Surgary" in genau entgegengesetzter Richtung zum jüngsten, wieder dezenter instrumentierten Wolfe-Album "Birth Of Violence". Wolfe opfert ihre sonst fest zum Repertoire gehörende Folkiness gnadenlos Gowries Hardcore- und Sludge-Erfahrung und präsentiert sich so angriffslustig wie nie zuvor. Aus gutem Grund klingt das vierzigsekündige Intro "To Crawl Inside" wie eine Drohung. "I'm bathing in the filth of the world", keucht die Sängerin vor viszeraler Noise-Kulisse, die Gowrie in groben Strichen mit dröhnendem Bass, Störgeräuschen und bedrohlichen War Drums zeichnet.

Mrs. Piss' Stücke sind kurz, kompromisslos auf den Punkt gespielt. "Wir versuchten, die Songs beim Schreiben nicht zu überdenken, arbeiteten aber gleichzeitig sehr bewusst und mit Nachdruck an einer eigenen, weirden sonischen Vision", erklärt das Duo. Man hört der Musik die unverkrampfte Herangehensweise an. Rohe, spontane Energie speist die Punkriffs von "Downer Surrounded By Uppers", "Nobody Wants To Party With Us" und "M.B.O.T.W.O.". Übersteuerte Screams, in Distortion erstickende Gitarren und chaotisches Schlagzeug stilisieren "You Took Everything" zum Höllenritt. Die Eruptionen des Titeltracks erinnern leicht an Brutus, der harsche Sound dagegen eher an Mantar. Mit den Bremern eint Mrs. Piss auch die Vorliebe für schleppende Doom-Einschübe ("Knelt").

Zu etwas Besonderem macht Mrs. Piss vor allem die Kombination aus dem beschriebenen, räudigen Unterbau und Chelsea Wolfes Stimme. Natürlich passt die Amerikanerin ihre Vocals dem für sie ungewohnten Setting an, performt direkter, aggressiver. Doch sie behält dabei ihre typische Mystik und melancholische, vokalreiche Melodiösität. So gewinnen die schroffen Abrisse eine zusätzliche, irgendwie anmutige Ebene.

Nach etwa 20 Minuten beenden Wolfe und Gowrie "Self-Surgery" mit einem Mission Statement: "Yeah, in the shit / I'm sacrosanct / I'm Mrs. Piss". Mrs. Piss' Erstling ist ein klaffender, finsterer Abgrund und wird wohl so schnell nicht mehr geschlossen – weder von angefixten Hörern noch von seinen beiden Schöpfern. Die planen nämlich bereits, das Duo zum Kollektiv auszubauen und für künftige Alben weitere Musikerinnen einzubinden. Labelkolleginnen wie Kristin Hayter (Lingua Ignota) und Emma Ruth Rundle könnten Mrs. Piss sicher spannende Facetten hinzufügen ...

Trackliste

  1. 1. To Crawl Inside
  2. 2. Downer Surrounded By Uppers
  3. 3. Knelt
  4. 4. Nobody Wants To Party With Us
  5. 5. M.B.O.T.W.O.
  6. 6. You Took Everything
  7. 7. Self Surgery
  8. 8. Mrs. Piss

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