laut.de-Kritik

Reichlich Textmaterial für die Uni-Toilette.

Review von

Musste man sich nach dem Ausflug zum Major, den Lesetouren und Akustik-Sessions, sowie Nagels ständigem Rumhängen mit Gefühlsdussel Thees Uhlmann ernsthaft Sorgen um Muff Potter machen? Nicht die Spur.

Muff Potter sind im Geiste auch im 16. Jahr ihres Bestehens eine kantige, verquere Punkband - auch wenn man ihren Stil heute lieber "Angry Pop Music" nennt. Die zugehörige Beweisführung verläuft unter dem Titel "Gute Aussicht".

Wie das hier schon losgeht: "Ich Und So" - wie das gesamte Album live eingespielt und nach vorne gemischt – ist ein schroffes Rockbrett der Duftmarke eines Josh Homme und mündet in Nagels keifender Aufzählung der literarischen Helden einer Jugend in Rheine: Huckleberry Finn, Fräulein Smilla, Alfred E. Neumann, Justus Jonas. Sie sind es also, die Nagel zu einem solch beflissenen Geschichtenerzähler gemacht haben.

Der Song ist wie die DIY-Aufmachung des Albums zweifelsohne ein Bekenntnis zu den Anfängen, der Zeit der "Bordsteinkantengeschichten". Überhaupt hat die nach "Steady Fremdkörper" durchaus nicht abwegige Metamorphose zu einer Hamburger Midtempo-Band an der Seite von Tomte und Kettcar nicht stattgefunden. Dafür lieben Muff Potter amerikanischen Indierock einfach viel zu sehr, dessen Gitarrenmörtel die Punk-Rhythmen und Hardcore-Spielereien souverän zusammenhält.

Und Nagel ist durch die hohe Gebrauchsfrequenz seiner scharfsinnigen, abgedrehten Beobachtungen, Wortspiele und popkulturellen Bezüge auch ein ganz anderer Texter als die eher befindlichkeitsfixierten Marcus Wiebusch und Thees Uhlmann. Deshalb müssen Fans auch nicht lange suchen, um Textmaterial für die Uni-Toilette zu finden.
"Ich bin das Benzin im Tank der Geilheit" zum Beispiel.

So ist "Niemand Will Den Hund begraben" ein kleine, wahrhaftige Hymne über die Landflucht und die Hauptstadt-Geilheit einer Generation Praktikum geworden. "Blitzkredit Bop", eine Reminiszenz an den definitiven Ramones-Song, verwurstet Schlagwörter aus dem Nachtleben etwas holprig mit solchen aus der Finanzwelt. Und, passend zur Krise, schreit an anderer Stelle ein Chor aus 1000 Kehlen: "Die Party ist vorbei". Und Nagel fügt süffisant hinzu: "Endlich geht es wieder bergab"

Ob man diese Haltung nun gesellschaftskritisch oder zynisch nennt - entscheidet selbst. Schmunzeln muss man allemal, wenn Muff Potter in "Wir Werden Uns Kümmern" offensichtlich ihre Zeit beim Major aufs Korn nehmen und am Ende unmittelbar von Oma Hans auf Sportfreunde Stiller umschalten.

Da macht es insgesamt auch nichts, wenn nicht jeder Song und jede lyrische Punchline ins Herz treffen. Muff Potter sind auf diesem Album wieder ganz nahe bei sich. Das ist die beste Aussicht, die man einer Band wünschen kann.

Trackliste

  1. 1. Ich Und So
  2. 2. Rave Is Not Rave
  3. 3. Ich Bin Charmant
  4. 4. Niemand Will Den Hund Begraben
  5. 5. Blitzkredit Bop
  6. 6. Die Party Ist Vorbei
  7. 7. Alles War Schön Und Nichts Tat Weh
  8. 8. Wie Spät Ist Es, Und Warum?
  9. 9. Wir Werden Uns Kümmern
  10. 10. Mein Freund, Das Wrack
  11. 11. Eiskunstlauf Ohne Ton
  12. 12. Gute Aussicht

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LAUT.DE-PORTRÄT Muff Potter

"Muff Potter", dieser Name klingt seltsam vertraut. Allerdings liegt die Gründung der Band 9.5.1993 lange vor dem Hype um einen kleinen, bebrillten Kinderschwarm …

16 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Klappt die Borsteinkante runter, denn muff potter sind wieder da. Und wie!

    Selten klang ein Albumtitel so unpassend wie diesmal: "Gute Aussicht" - und das bei einem Album, das sich größtenteils mit düsteren Themen befasst. Es geht um Trauer und Schmerz, um Ödnis und Faulheit. Aber dann schimmert doch wieder der typische muff potter-Optimismus durch: hoppe hoppe easy rider, wenn er fällt dann kriecht er halt weiter.

    Musikalisch und songschreiberisch befinden sich die potters mit Album Nummer 7 auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Das Album wurde live im Studio eingespielt, was man ihm auch durchaus anhört. Nichts klingt perfekt, kleine Fehler wurden einfach dringelassen. Dadurch erhält das Werk jede Menge Authentizität.
    Poppige Melodien, wie sie in den beiden Vorgängeralben vorhanden waren, sucht man zumeist vergeblich. Die erste Gitarre rumpelt hingegen gerne los, vornehmlich roh und reibeisig. Dazu entdeckt Sänger Nagel mal wieder seine "wilde" Seite. Im Opener schreit er die Namen seiner früheren Helden ins Mikro; "Ich bin charmant" und "alles war gut und nichts tat weh" sind rau-charmante Punknummern, die auf den kommenden Konzerten die Meute in den Pogopit ziehen werden, garantiert.

    Doch hinter all dem spröden Charme des Werks versteckt sich stets Schönheit. Die Lieder überraschen mit eigenen Ideen, das Werk zeigt sich äußerst vielseitig und vereint problemlos wilde Rocknummern mit der unter Akkordeonbegleitung gespielten Akustiknummer "mein Freund das Wrack" und einem Dach, nämlich muff potter. Alles an der Platte klingt nach der Band, die ihre Trademarks jederzeit durchschimmern lässt - trotz neuer Ideen wie dem bewusst schief gesungenen Auftakt von "Eiskunstlauf ohne Ton".

    Dennoch: vieles muss man sich erarbeiten. Echte Hits sucht man mit Ausnahme der pessimistischen Hommage an die Generation Praktikum, "Niemand will den Hund begraben", vergeblich. Erst nach und nach entfaltet die Platte ihre ganze Stärke und Titel wie "Wir werden uns kümmern" gehen nach mehreren Anläufen nicht mehr aus dem Ohr.

    Was die Texte angeht, spielen die potters sowieso in der Champions League. Großartige Wortspiele, Literatur- und sonstige Zitate, passende Metaphern...einmal mehr ganz großartig. Wenn Rocco und Rico an der Bushalte "Stadt-Land-Flucht" spielen oder die potters zum Getränk an der "Hypo-theke" bitten, dann weiß man wieder genau, was man an dieser Truppe hat...wobei man die Texte hören muss, um sie wirklich würdigen zu können.

    Insgesamt ein tolles, ein großes Album. Aus Gründen.

    __

    Eure Meinungen?

  • Vor 15 Jahren

    abseits vom musikalischen wert der neuen Muff Potter-produktion: denkt denn dieser tage jeder, er sei ein musikrezensent?

    willkommen im mitmach-internet. :rayed:

  • Vor 15 Jahren

    stimmt. es ist wirklich sehr vermessen, in einem Forum, das sich "CD-Reviews" nennt, eine ebensolche zu verfassen. total crazy. und abwegig.

  • Vor 15 Jahren

    Also ich fand "Von Wegen" und "Steady Fremdkörper" um einiges besser, bin ehrlich gesagt etwas zu enttäuscht vom neuen Album. Für mich ist das ein wenig zu rustikal, fand auch "Bordsteinkantengeschichten" nicht so.
    Mir fehlt im neuen Album einfach ein Song, der so richtig aufweckt oder den man immer wieder hören möchte. Ich finde "Blitzkredit Bop" vom Text her sehr genial und auch "Niemand will den Hund begraben", aber 'nen richtigen Ohrwurm habe ich leider noch nicht entdeckt. Vllt. ändert sich meine Meinung noch etwas, wenn ich das Album desöfteren gehört habe.

    Alles in allem:
    - rustikale Art, die ich nicht so mag
    - einfallsreiche Texte
    - einfach weil's Muff Potter ist ;)

    3/5 Punkte von mir.

  • Vor 15 Jahren

    "steady fremdkörper" hielt sich nur so nen monat, circa.

    die neue hör ich mir vllt mal an, aber mein interesse ist deutlich abgeflaut.

  • Vor 15 Jahren

    Rauh, widerspenstig, intelligent und richtig gut.

    Auf Platten-blog analysiere ich die Platte ausführlich und komme zu diesem Fazit. Damit ist sie viel besser als noch Steady Fremdkörper damals

    Wen es interessiert

    http://platten-blog.de/index.php/muff-pott…