laut.de-Kritik

Straight out the fuckin' dungeons of rap.

Review von

"I'm new on the rap scene, brothers never heard of me", rappt Nas in "One Time 4 Your Mind". Ganz stimmt das so nicht. Als Nasir Bin Olu Dara Jones im April 1994, noch nicht einmal 20-jährig, sein Debüt-Album vorlegt, gilt er in Eingeweihten-Kreisen längst als kleines Wunderkind.

Wo auch sonst, wenn nicht im New York der ausgehenden 80er Jahre, sollten große Rap-Karrieren Wurzeln schlagen? Nas saugt die Entstehung von Hip Hop quasi mit der Muttermilch auf. Er wächst in den Queensbridge Projects auf, einem der zahlreichen sozialen Brennpunkte des fest im Griff einer üblen Crack-Epidemie befindlichen "rotten apple". Die Stars einer aufkeimenden Bewegung residieren gleich nebenan.

Nas erlebt die Zeit "before the BDP conflict with MC Shan, around the time when Shante dissed the Real Roxxane" hautnah mit - und lernt dabei 1989 Large Professor kennen. Dieser ermöglicht dem jungen Rapper einen Gastauftritt in einem Track seiner Crew Main Source, die wiederum nehmen Nas schon 1991 als Tour-Support ins Gepäck.

Sein unfassbar smoother, gelassener, dennoch stetiger Flow und seine für die herrschende Zeit beispiellos vertrackten Reimstrukturen bescheren Nas rasch einen ordentlichen Hype. Es hagelt bereits vor der Veröffentlichung eines eigenen Albums Vergleiche mit Rakim, Big Daddy Kane oder Kool G Rap. "Brothers never heard of me" - nein, so ganz stimmt das nicht.

Zu der Zeit, da Nas sein Debüt aufnimmt, hat er bereits Einiges hinter sich. Seine Umgebung hinterlässt Spuren. Nas bricht die Schule ab, hält sich mit diversen kleineren Dealereien über Wasser. Die knallharte Realität bricht spätestens dann in sein Leben ein, als sein Bruder angeschossen und sein Freund Ill Will im Rahmen einer gewalttätigen Auseinandersetzung ermordet wird.

Zu erzählen gibt es genug: Nas berichtet "straight out the fuckin' dungeons of rap" von - in seiner Welt - alltäglichen Begebenheiten. Er erzählt - ganz ohne Pathos und Glorifizierung, und vielleicht gerade deswegen so eindrücklich - die kleinen und großen Geschichten der Straße. Dabei beackert er natürlich die Themenfelder, die einen jungen Mann aus der Hood an der Schwelle zum Erwachsenenalter umtreiben: Drogen, Waffen, Gewalt, Sex - und der angestrebte Erfolg, der selbstverständlich mit Geld gleichzusetzen ist.

Was Nas später als üble Kommerzialisierung, als Sell-Out, vorgeworfen wird: im Grunde nur eine konsequente Fortführung des auf "Illmatic" bereits eingeschlagenen Weges. AZ bringt es - im einzigen Gastbeitrag des Albums, in "Life's A Bitch" - auf den Punkt: "My mentality is money orientated / I'm destined to live the dream for all my peeps who never made it."

Doch so weit sind wir noch lange nicht. Mit dem Fluch des großartigen Erstlings muss sich Nas erst später herumschlagen. Dann nämlich, wenn an jede einzelne seiner Veröffentlichungen der übergroße Maßstab "Illmatic" angelegt wird - und sie allesamt dagegen abstinken. Auch eine aktuell auf den Markt geworfene "Greatest Hits"-Sammlung braucht im Grunde niemand: Nas' greatest hits versammelt bereits sein Debüt.

Die großartige Produktion trägt dazu mit Sicherheit ihren Teil bei. Was sich rückblickend wie ein Gipfeltreffen der Reglerschieber-Elite liest, entwickelt sich in Nas' Dunstkreis wie von selbst. Er kennt Large Professor, der mit "Halftime", "One Time 4 Your Mind" und "It Ain't Hard To Tell" für drei Tracks des Albums verantwortlich zeichnet. Außerdem sorgt er für den Kontakt zu Q-Tip ("One Love") und Pete Rock ("The World Is Yours").

Die Brücke zu DJ Premier ("Memory Lane", "Represent" und "N.Y. State Of Mind") schlägt MC Serch, der als Gast auf Nas' voran gegangenem Demotape auftrat. Nicht nur ihm springt die besondere Chemie zwischen den beiden ins Auge: "Primo und Nas, sie hätten bei der Geburt getrennt worden sein können. Es war nicht so, dass sich seine Beats den Reimen anpassten - sie gehörten einfach zueinander." Die jazzig angehauchte, melodiöse Atmosphäre mit ihren Soul-Samples, Loops, staubigen Drumbeats und Scratches geht unverkennbar auf Premiers Konto.

Oft sind es - wie in "N.Y. State Of Mind" eine sich in den Vordergrund groovende Basslinie und einige wie achtlos hingeworfene Klaviernoten - nur wenige Elemente, die in ihren steten Wiederholungen Nas' Reime höllisch effektvoll in Szene setzen. Und was für Reime! Nas geht - rein technisch - mühelos als der erste MC moderner Prägung durch. Die Tage der simplen Endreime scheinen gezählt. Der auf "Illmatic" zur Schau getragene Rap-Stil wirkt - sehr im Gegensatz zu vielen Oldschool-Großtaten - auch nach fast zwanzig Jahren noch kein Stückchen antiquiert. Nas' Beobachtungsgabe, sein Gespür für Geschichten und seine bilderreiche Sprache füttern die schnöde Technik zudem mit Inhalten.

"I don't know, how to start this." Von den Einstiegsschwierigkeiten lassen die Verse von "N.Y. State Of Mind" nichts, aber auch gar nichts mehr spüren. Nas rückt sich selbst genau dahin, wo er hingehört - ins Zentrum des Interesses: "I got so many rhymes / I don't think I'm too sane", verkündet er. "Life is parallel to hell / but I must maintain / and be prosperous though we live dangerous." Und weiter: "It's only right that I was born to use mics / and the stuff that I write is even tougher than dykes / I'm takin rappers to a new plateau through rap slow / My rhymin' is a vitamin, held without a capsule / The smooth criminal on beat breaks / Never put me in your box if your shit eats tapes."

Nas nimmt wie selbstverständlich Platz auf dem hohen Ross der Selbstdarstellung. "I flex like sex in your stereo sets. (...) Check me out y'all, Nasty Nas in your area / About to cause mass hysteria." Kaum einer kam nach ihm, den Nas nicht prägte, führt Q-Tip aus: "Nas ist wie Dylan. Er sagte einmal: 'Nenn mir einen, den ich nicht beeinflusst habe!' Er hat sie alle beeinflusst. Von mir über Jay-Z, Busta Rhymes und Eminem zu 50 Cent: Mit diesem Album hat er jeden beeinflusst."

Tja, es scheint: "The most dangerous mc is comin' outta Queensbridge." Der kommerzielle Erfolg stellte sich für Nas trotzdem nur langsam ein. "Illmatic" brauchte zwei Jahre, um Gold-Status zu erreichen. Platin fährt das Werk erst Ende 2001 ein. Einen Meilenstein der Hip Hop-Geschichte markiert "Illmatic" allerdings bereits 1994.

"'Illmatic' ist, anders als Public Enemys 'It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back' oder 'Let's Get Free' von den Dead Prez, nicht (offensichtlich) politisch", schreibt Matthew Gasteier in seiner im Rahmen der Reihe "33 1/3" erschienenen lesenswerten Abhandlung über das Album. "Anders als Wu-Tangs 'Enter The Wu-Tang (36 Chambers)' oder MF Dooms 'Operation: Doomsday' ist 'Illmatic' nicht mythologisch. Anders als Dr. Dres 'The Chronic' oder 50 Cents 'Get Rich Or Die Tryin'' handelt es sich bei 'Illmatic' nicht um Gangster-Pop. (...) 'Illmatic' ist Hip Hop."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Genesis
  2. 2. N.Y. State Of Mind
  3. 3. Life's A Bitch
  4. 4. The World Is Yours
  5. 5. Halftime
  6. 6. Memory Lane (Sittin' In Da Park)
  7. 7. One Love
  8. 8. One Time 4 Your Mind
  9. 9. Represent
  10. 10. It Ain't Hard To Tell

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