laut.de-Kritik
Songs der letzten 13 Jahre.
Review von Giuliano BenassiDreizehn Jahre hat sich die ehemalige Frontfrau von 10.000 Maniacs Zeit gelassen, um dieses Album mit neuen eigenen Songs zu veröffentlichen. Auf den ersten Blick eine Ewigkeit, doch kann man ihr keine Untätigkeit vorwerfen. Musikalisch hat sie sich um die liebevoll gestalteten Sammlungen "Campfire Songs" und "Retrospective" gekümmert, dazu noch ein Album mit traditionellen Folk-Songs herausgebracht. 2010 ist mit "Leave Your Sleep" zudem ihr bislang ehrgeizigstes Projekt erschienen, die äußerst aufwändige Vertonung von Gedichten für Kinder.
Eine Tochter hat sie ebenfalls zur Welt gebracht, sie hat geheiratet und sich scheiden lassen, außerdem ist sie an einer Vielzahl an gemeinnützigen und kulturellen Projekten beteiligt.
Nebenbei hat sie immer wieder zur Feder gegriffen und den einen oder anderen Text geschrieben. Der Titel des Albums wäre aussagekräftiger, wenn er "Songs der letzten 13 Jahre" gelautet hätte. Bereits 2009 spielte sie live ein Stück, der " von einem US-Präsidenten aus Texas handelt, der mittlerweile in den Ruhestand getreten ist. Den werde ich wohl streichen müssen, denn er ist hoffnungslos veraltet", erzählte sie damals im Interview.
Nun ist er doch dabei, ohne direkte Anspielungen, aber mit dem aussagekräftigen Titel "Texas". "Go Down, Moses" handelt von den verheerenden Folgen des Hurrikans Katrina in New Orleans (das war 2005), in mehreren Stücken spielt Krieg eine Rolle, was auf die mittlerweile kaum noch diskutierten US-Einsätze in Afghanistan und Irak zurückzuführen ist. Doch Merchants Texte sind, wie es sich für Dichter gehört, zeitlos, weshalb es schade gewesen wäre, sie einfach in Vergessenheit geraten zu lassen.
Musikalisch geht die Reise dort weiter, wo sie mit "Leave Your Sleep" stehen geblieben war. Die Aufnahmen fanden in einem Studio im ländlichen New York statt, Führung und Produktion übernahm Merchant, an den Sessions nahmen Dutzende Musiker teil, unter ihnen ihre Begleiter auf der Bühne Erik Della Penna und Gabriel Gordon sowie John Medeski und eine ganze Reihe an Gospelsängerinnen.
Die gleich im Opener ihren ersten Einsatz feiern dürfen. "Ladybird" knüpft an die eher lichten Momente in Merchants Soloschaffen in den 90er Jahren an und klingt schon fast poppig. Ein Ansatz, den auch "Go Down, Moses" und "It's A-Coming" vorweisen.
Die eindringlicheren Stücke sind jedoch die langsamen, melancholisch bis deprimierten, die den größeren Teil des Albums ausmachen. Angefangen bei "Maggie Said". Wofür habe es sich gelohnt, zu leben, so das Thema des Stücks. " Nothin', nothin', nothin' / Oh, nothin', that's a fact" heißt es im Refrain. Eines der schönsten Stücke des Albums, dank seiner zurückhaltenden Begleitung und Merchants betörender Stimme, die im Laufe der Jahre immer mehr Nuancen dazu gewinnt. Sollte sie sich jemals entscheiden, ein Album ohne Instrumente aufzunehmen, wäre das eher ein Gewinn als ein Verlust.
"Seven Deadly Sins" beschäftigt sich mit den Schmerzen der Trennung von ihrem Mann ("bloody war", meint sie dazu), mit "Lulu" liefert sie, wie schon so oft, ein Künstlerporträt, diesmal der Stummfilmdarstellerin Louise Brooks.
"Ich bin sehr pessimistisch und zynisch. Auf einer individuellen Ebene bin ich aber optimistisch und glaube daran, das man kleinere Probleme auf einer lokalen Eben lösen kann. Auf einer globalen ist das hoffnungslos", erklärt sie in einem Interview zum Album. In "It's A-Coming" prophezeit sie dementsprechend eine düstere Zukunft ("Wild fires, dying lakes, landslides, hurricanes, apocalypse in store like nothing seen before. It's a-coming").
Die "Rettung" besteht einerseits im Engagement auf persönlicher Ebene und andererseits in der Fähigkeit, Verzicht zu üben. "Giving up everything, the master plan, the scheming ... my cursed search for meaning ... the compass and map I was reading", singt Merchant im gleichnamigen Song.
Und zum Schluss, mit gesetzter kammermusikalischer Begleitung, stellt sie sich ihr eigenes Ende und das Ende der Welt vor. "That'll be the end of the road, when my battered, embittered body and soul will go home. That'll be the end of the war, when we finally lay down the barrel and the blade and go home", so ihre ernüchternden, dennoch Trost spendenden Worte.
Wo dieses "zuhause" ist, lässt sie offen. Fest steht, dass sie mit "Nathalie Merchant" wieder ein hochwertiges Album abgeliefert hat. Das war nicht anders zu erwarten. Und einen Freude bringende Nachricht gibt es auch noch: Nachdem sie sich auf der Bühne Jahre lang rar gemacht hat, begibt sie sich im Anschluss an die Veröffentlichung wieder auf Konzertreise.
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