laut.de-Kritik

Die Münsteraner hauen knüppeldick aufs Fressbrett.

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Ex abrupto verkündeten Neaera im Herbst 2015 das Ende ihrer Bandaktivitäten. Man wolle lieber aufhören, als zu einem Schatten seiner selbst zu verkommen. Der Abschiedstour folgte eine lange Funkstille, die sie erst drei Jahre später mit Reunion-Gigs auf den Impericon-Festivals in Oberhausen und Leipzig lautstark brachen. Angefixt von der Resonanz auf diese Shows, die schlussendlich in eine "wieder richtig Bock"-Haltung mündete, legt der Fünfer mit der schlicht "Neaera" betitelte Platte sieben Jahre nach "Ours Is The Storm" nun ein kraftstrotzendes Comebackalbum vor.

Dass die in Urbesetzung knüppelnden Münsteraner dabei alle archetypischen Trademarks ihres wuchtigen Sounds bündeln, um diese als eine Art Essenz des bisherigen Schaffens auf die siebte Platte im Katalog zu bringen, konnte man im Vorfeld bereits am Albumnamen ableiten. Musikalisch gibt es hier weder Kompromisse noch Experimente, dafür aber fokussieren Neaera die Linsen hundertprozentig auf ihre Stärken.

Dem trägt nicht zuletzt auch die erneute Zusammenarbeit mit alten Weggefährten wie Produzent Tristan Hachmeister, Artwork-Künstler Terje Johnson und Jacob Hansen bei, der bereits das Mixing und Mastering für "Let The Tempost Come" sowie "Armamentarium" besorgte und der aktuellen Platte einen organisch-wuchtigen Sound verpasst.

Nach dem düsteren, als spannungsgeladene Ruhe vor dem nahenden Sturm fungierenden Intro "(Un)drowned" durchbricht "Catalyst" urplötzlich wie ein martialisch stampfendes Inferno mit aller Gewalt die bedrohlich aufgebaute Atmosphäre und steht exemplarisch für die neu gewonnene Bissigkeit des Quintetts. Vom Verkommen zum eigenen Schatten keine Spur. Die Band fühlt sich in ihrem zwischen schnell und schneller peitschenden Amalgam aus melodischem Death- und Black Metal-Elementen sowie Metalcore-Versatzstücken unverkennbar wohl. Besonders bei Frontmann Benjamin Hilleke scheint sich eine gewaltige Menge Groll über den derzeitigen Weltzustand angestaut zu haben. Er keift und spuckt schwarze Galle, als gäbe es kein Morgen.

Dazu hat er momentan allen Grund. In Zeiten, in denen ein gewichtiger Teil der industrialisierten, konsumgesteuerten Menschheit ohne Rücksicht auf Umwelt und Planet aktiv daran arbeitet, die Welt aus den Angeln zu heben, braucht es Statements mit Haltung. Wenig verwunderlich also, dass die Band mit "Rid The Earth Of The Human Virus" auch einen provokanten, bewusst polarisierenden Titel auf die Platte packt und damit sozusagen als Deus ex machina einen äußerst dystopischen (wenn auch pragmatischen) Lösungsansatz für die skrupellose, kapitalistisch gesteuerte 'Nach-mir-die-Sintflut'-Attitüde liefert.

"Resurrection Of Wrath" beginnt zunächst mit einem deutlich an At The Gates angelehnten Riff, wendet sich mit einsetzender Doublebass-Attacke in den Strophen aber zu einem echten Nackenbrecher. Erst in den Refrains nehmen Neaera das Tempo heraus und drehen so nochmals deutlich an der Brutalitätsschraube. Das passt bestens zu den an dieser Stelle gegrowlten Lyrics "The only true response to this world / is wrath and compassion." Mit diesen transportiert die Band erneut eine brachiale Kampfansage gegen zunehmende gesellschaftliche Entfremdung durch vermehrten Konsum digitaler Medien, punktuell herausgefischten 'Wahrheiten' sowie der daraus resultierenden Apathie.

Im rasenden, an "Armamentarium"-Zeiten erinnernden "Carriers" treten die Münsteraner das Gaspedal bis zum Anschlag durch und drücken mit diesem blastbeatlastigen, destruktiven, vor Aggression überschäumenden Brocken ihren Missmut über das Martyrium und den inhumanen Umgang mit im Mittelmeer ankommenden Flüchtlingen aus. Die ungehalten geschrienen Worte "Before our coasts / we let you drown" sagen hier alles.

Gegen all die geistigen Brandstifter und Populisten, die hanebüchen einfache Lösungen für gesellschaftlich komplex verwobene Problemlagen propagieren, wenden sich Neaera in "False Shepherds". "In anger towards yourself and the world / a cold violent rush against whatever /.../ you keep shovelling your hate / on your pathetic piles" heißt es dort. Hierzulande beziehen sie damit vor allem Position gegen den von Pediga, AfD und Konsorten unter dem Deckmantel des Konservativismus wieder salonfähig gemachten Rechtsruck.

Nicht weniger angepisst klingen sie in "Sunset Of Mankind", das diese Problematik zum Teil mit kesselnden Black Metal-Salven thematisiert. Passenderweise enthält dieser Song mit "Grace and renown are dead" als Sinnbild für Machtgier und Tyrannei ein an Shakespear angelehntes Zitat aus Macbeth (im Original: "Renown and grace is dead").

Gegen Ende der Platte verlassen Neaera die Bühne der großen politischen Themen und begeben sich auf die Ebene des Individuellen und Persönlichen. Nach "Eruption In Reverse", in dem es um die Geiseln und die Seelenpein von Depressionen, der Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts schlechthin, geht, folgt mit "Torchbearer" das stilistisch vielfältigste, explosive Highlight der Scheibe.

Geschickt weben die Jungs hier das charakteristische Leitmotiv von Clint Mansells "Lux Aeterna" aus dem Soundtrack zu Requiem For A Dream in diese Dampfwalze ein. Entgegen all der Wut im Verlauf von "Neaera" sticht der Track nicht nur mit seiner Empowerment-Aufforderung "Be yourself the torchbearer / and be yourself the path" optimistisch hervor, sondern fasst zusätzlich auch alle Signature-Merkmale des Albums zusammen. Vor allem Sänger Hilleke kehrt hier mit kläffenden Screams und abgrundtiefen Growls sein Innerstes beeindruckend nach außen. Selbstredend, dass die Instrumentalisten tight wie ein Uhrwerk agieren. Mit dem finalen "Deathless" schmettern Neaera dann ein letztes Mal alles ohne jegliche Kompromisse in Grund und Boden.

Im Großen und Ganzen bauen Neaera ihr Album konzeptartig aus zwei inhaltlichen Blöcken auf. Geht es in den ersten beiden Dritteln der Platte vorzugsweise um sozio- und umweltpolitische Themen, so dominieren auf dem letzten Drittel eher starke Emotionen und individuelle Dornenwege. Auch in diesem Sinne also eine gute Wahl, die Platte nach dem Bandnamen zu benennen. Stammt dieser doch aus der griechischen Mythologie und steht für eine Frau, die in Ächtung, Unterdrückung oder Ausbeutung mit erst spät erfolgter Selbstbefreiung lebt. Damit dient er auf eine abstrakte Art als Sinnbild für globale wie glokale Repressionen und Einzelschicksale.

Mit ihrem selbstbetitelten Comeback-Album entfesseln Neaera einen brachialen sonischen Sturm, mit dem sie knüppeldick aufs Fressbrett hauen. Trotz der konstanten, musikalischen Wall of Death verstehen sie es dank ausgeklügelter kleiner Details, Stilvielfalt, dynamisch kickend gesetzten Breakdowns und fein gesponnenen Melodiebögen nicht zu langweiligen. So entsteht eine heterogen knallende Homogenität, die zwar keinen Raum für Experimente bietet, aber nach einem urgewaltigen Neaera-Konzentrat klingt. Genau so eine Abrissbirne will man von den Münsteranern. Das müssen ihnen die Kollegen von Heaven Shall Burn in ein paar Wochen erst einmal nachmachen.

Trackliste

  1. 1. (Un)drowned
  2. 2. Catalyst
  3. 3. False Shepherds
  4. 4. Resurrection Of Wrath
  5. 5. Carriers
  6. 6. Rid The Earth Of The Human Virus
  7. 7. Sunset Of Mankind
  8. 8. Lifeless
  9. 9. Eruption In Reverse
  10. 10. Torchbearer
  11. 11. Deathless

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