laut.de-Kritik
Ellenlange Soli, die hohe Stimme brüchig, das Material aus den Tiefen des youngschen Archiv-Kellers.
Review von Giuliano Benassi"Lasst uns noch einen für den Weg bauen," lautete die Botschaft kurz vor Mitternacht. Die lange Annäherung zwischen Neil Young und der versammelten Zuschauerschar war endlich vollzogen und hatte einen krönenden Abschluss gefunden.
Dass es ein besonderes Konzert sein würde, war schon vier Stunden zuvor klar gewesen. Die Bühne stand auf dem Marktplatz der Lörracher Altstadt, umzingelt von fröhlich gefüllten Cafes, Eisdielen und Wohnungen. Die Geschicktesten hatten sich ein Hotelzimmer oder einen Restauranttisch bei bester Sicht gesichert. Unter den 5000, die den Platz füllten, waren einige Deadheads mit geblichenem Space Your Face T-Shirts sowie Young-Jünger, die in Puncto Frisur und Verwarztheit ihrem Vorbild in nichts nachstanden.
Als der Kanadier bei Abenddämmerung mit Crazy Horse auf die Bühne trat, wich die Ungläubigkeit bald einer angenehmen Trägheit. Alle wussten, es würde spät werden, und hatten eine entsprechende Ausdauer mitgebracht. Young, mit Strohhut und Sonic Youth T-Shirt bekleidet, wippte wie gewohnt und erzeugte vibrierende Soli auf einer schwarzen Les Paul, die wohl genauso alt war wie er selbst. Poncho Sampedro an der Rhythmusgitarre, Ralph Molina am Schlagzeug und Billy Talbot am Bass bewiesen ihr 30-jähriges Können, ab und an erschienen auch Frau und Schwester Young und steuerten Background Vocals bei.
Auf den Opener "Don't Cry No Tears" folgten weniger bekannte oder gar unveröffentlichte Stücke, nur "Love And Only Love" erzeugte einige überzeugte Jubelrufe. Erst als Young mit einer Sammlung an akustischen Gitarren alleine auf der Bühne stand, setzte sich die sommerliche Abendhitze in Stimmung um. "From Hank To Hendrix" war ein erster Höhepunkt, noch getoppt von einer Mundharmonika- und 12-Saiter-Version von "Pocahontas." Als Abschluss des Zwischenspiels diente eine fast kirchliche Version von "Long May You Run" auf einer wohl aus Disneyland stammenden Holzorgel mit Indianerverzierung.
Die Band kam zurück und rockte. Ihre Eingespieltheit erzeugte das Gefühl, dass man einer Jam-Session beiwohnte. Ellenlange Soli, die hohen Stimmen aller Beteiligten brüchig, das Material aus den Tiefen des Youngschen Archiv-Kellers. Auch den letzten Zuschauern dämmerte es langsam ein, dass Neil Young nicht für das Publikum spielt, sondern dass das Publikum kommt, um ihn zu sehen. Und damit fiel auch die letzte Trennmauer.
Ich genoss gerade die Vorzüge des Austragungsortes und holte mir ein Eis beim Italiener, als der Anfangsriff von "Hey Hey My My" über den Platz schallte. Ich rannte zu einem besseren Aussichtspunkt und ließ mich von der kollektiven Ekstase mitreißen. Dass man das doch noch erleben durfte! Johnny Rotten war in aller Munde, alle wollten verbrennen und nicht mehr vor sich hin siechen.
Eigentlich ein perfektes Ende für das Konzert. Doch war es nur der Abschluss einer fast zweistündigen Einleitung. Jetzt jagte ein Höhepunkt den nächsten. Aus dem Feedback am Ende der Hymne entsprang "Like A Hurricane," im Gitarrengewitter riss Young alle Saiten von seiner Gitarre und klimperte die Melodie auf einer Klavierleiche. Und es fehlten noch die Zugaben: erst "Cinnamon Girl," dann eine 10-minütige Version von "Down By The River." Die Symbiose zwischen Publikum und Band war so gut wie perfekt. Nach einem "Powderfinger" in bester "Rust Never Sleeps"-Manier hatte Poncho Sampedro seine Gitarre schon abgelegt und war mit Crazy Horse und weiblicher Begleitung auf dem Weg in die Umkleideräume, als Young "Keep On Rockin' In The Free World" intonierte, alle zum Umkehren zwang und den gesamten Marktplatz zum Grölen und Mithüpfen brachte.
Für den Heimweg gab es schließlich noch ein versöhnliches "Roll Another Number". Die Band verbeugte sich artig, das Publikum klatschte begeistert. Eine 2 3/4-Stunde lange Darbietung, selbst für Neil Young und sein Crazy Horse eine Meisterleistung. Eine, die bei allen Anwesenden bleibende Spuren hinterlassen haben dürfte.