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Advanced Chemistry - "Fremd im eigenen Land"

Noch nicht einmal 1992 war die (damals noch sehr übersichtliche) deutsche Sprechgesangsszene derart einfach gestrickt, dass sie sich ohne Verluste auf ein Binärsystem hätte herunterbrechen lassen. Es fällt aber trotzdem echt schwer, "die einen" NICHT "den anderen" gegenüber zu stellen, wenn erstere lustiglustig über spaßiges Anbandeln im Club rappen, und zweitere über Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus und Ausgrenzung, und das Ganze mit Nachrichten-Schnipseln einleiten, die von den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen erzählen.

Von der überzogenen Heilsbringer-Zuluking-Deutschrap-Gründervater-Legende um Torch darf man gerne halten, was man will. Ohne jeden Zweifel hat er aber zusammen mit den anderen Jungs von Advanced Chemistry gesellschafts- und sozialkritischem deutschsprachigen Consciousrap mit "Fremd Im Eigenen Land" einen frühen Meilenstein beschert. Dass der Text heute, dreißig Jahre später, noch immer brandaktuell erscheint, sollte einem eigentlich bittere Tränen in die Augen treiben. Okay, die Pässe sind nicht mehr grün mit 'nem goldenen Adler drauf, aber am ganzen Rest hat sich rein gar nichts geändert:

"Jetzt mal ohne Spass: Ärger hab' ich zuhauf, obwohl ich langsam Auto fahre und niemals sauf'. All das Gerede von europäischem Zusammenschluss - fahr' ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus, frag' ich mich warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss, Identität beweisen muss. Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Afro-Deutscher seine Sprache spricht und nicht so blass ist im Gesicht? Das Problem sind die Ideen im System. Ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen. Blaue Augen, blondes Haar keine Gefahr. Gab's da nicht 'ne Zeit wos schon mal so war? 'Gehst du mal später zurück in deine Heimat?' - 'Wohin? Nach Heidelberg, wo ich ein Heim hab'?' - 'Nein du weißt, was ich mein' ...'"

Ja, leider. Wer nicht mit ausreichend kartoffeliger Optik unterwegs ist, weiß das genau und fühlt diese Zeilen auch 2022 noch.

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