Disstracks und Stuff
Ich weiß ja, das Ganze ist ein heikles Thema. Ein bisschen verstehe ich auch jeden, der sich wundert, warum wir jetzt auf einmal mit Normen brechen sollten, die so in unser Fleisch und Blut übergegangen sind, dass wir über Jahre den Wortsport vor jedem fremden Einwand damit verteidigt haben, dass man das im Hip Hop halt so macht. Wie sollte man das auch anders sehen, wenn der vielleicht ikonischste Disstrack aller Zeiten mit drei Iterationen von "Ich hatte Beischlaf mit deiner Frau" beginnt? Die Wagenburg muss man jetzt eben auch erst einmal wieder verlassen.
Aber, ja: Disstracks sind dazu da, um einander auf den Zahn zu fühlen, da zuzuschlagen, wo es wehtut und ohne Rücksicht auf Verluste seine Dominanz zu zeigen. Da ist vieles im Modell Disstrack, das normale Grenzen außer Kraft setzt und dabei sehr parallel zu grundsätzlichen Ideen von Männlichkeit steht. Komprommislosigkeit, Direktheit, Aggressivität. So weit, so gut. Das alles ist ja auch nicht das, was man in Frage stellt.
Interessant ist aber, dass wir Disstracks auch ein höheres Maß an Ehrlichkeit und Authentizität unterstellen. Es muss ja einen Grund haben, dass gerade Schießbudenfiguren wie Bushido oder PA Sports es in solchen Momenten für nötig erachten, zu zeigen, was für gute Erzähler und Texter sie sein könnten, wenn es hart auf hart kommt. Aber die Konsequenz daraus ist eben genauso simpel und ein bisschen bitter: In Disstracks sehen wir dann eben ungefiltert, was für einen Blick auf die Welt jemand hat.
Wenn Fler es wirklich für den Gipfel der Absurdität und Peinlichkeit hält, dass Bushido Zeit mit seinen Kindern verbringt, während seine Frau ein eigenes Leben führt, ist da eben Hip Hop als Spiegel der Gesellschaft am Werk. In diesem Fall: als Spiegel einer ziemlich dummen Gesellschaft. Es eröffnet, dass Fler auf einer sehr tiefen Ebene glaubt, Bushido damit vorführen zu können.
Das kann man doch eigentlich nicht ganz ruhigen Gewissens stehen lassen, oder? Gerade in diesem Kontext dürfen wir einmal ganz ungefiltert sehen, wie ein Fler die Welt sieht. Genau, wie wir sehen dürfen, dass Bushido die Vergewaltigung eines Mannes mit einer Karotte super-komisch findet. Wer also allen Ernstes davon überzeugt ist, dass wir uns als Gesellschaft gerade in dieser ganzen Gender-Thematik langsam verbessern und die Dinge weiter benennen und thematisieren, dann darf man so etwas nicht unter dem Framework "Disstrack" aussparen.
Ich rede dabei nicht einmal von Boykott, von Verboten oder sonst irgendetwas. Ich erwarte nur, dass jeder Mensch mit mehr als drei Gehirnzellen solche Lines peinlich findet. Denn "peinlich" trifft den ganzen Quatsch am besten. Mit so etwas zu dissen ist wie damit zu prahlen, sechs Stellen für eine Crocs-Kollektion auszugeben. Ein Selbstdiss par excellence.
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