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Deutsche "KIDS"

Ich hab' in den letzten Wochen bereits mehrfach über das Involvement zahlreicher deutscher Rapper in Felix Lobrechts Film "Sonne Und Beton" geschrieben, sowohl auf als auch neben der Leinwand. Auch wenn der Inhalt des Films nicht zwingend die Kriterien dieser Kolumne erfüllt, mischen da genug Rapper mit, um euch hier guten Gewissens trotzdem meine zwei Cents dazu zu geben.

Obwohl mich der Trailer ursprünglich ziemlich abschreckte, hab' ich mir den Film nach einer wahren Sintflut positiver Kritiken nämlich doch angeschaut und muss, meiner Voreingenommenheit zum Trotz, sagen, dass mich schon lange kein deutscher Film mehr so positiv überrascht hat. Was in der Vermarktung noch nach seichter Coming-of-Age-Story aussah, kommt in Wahrheit als gelungene Milieu-Studie daher, die die sozialen Ungerechtigkeiten und familiären Verhältnisse in Berliner Brennpunkten ungeschönt darstellt.

Gelacht wird selten. Auf jeden der spärlich gesäten Jokes folgt ein Schlag in die Magengrube. Für die Freundesgruppe im Mittelpunkt des Films gehören Schuleschwänzen und Kiffen im Park genauso zum Alltag wie Kriminalität, Armut und häusliche Gewalt. David Wnendt zeigt diesen Alltag von seinen hässlichsten Seiten, ohne voyeuristisch zu werden oder den Finger zu erheben. Im Gegensatz zu Machwerken wie "Fack Ju Göthe" fühlt sich hier niemand wie eine Karikatur an. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen zwar ohnehin ein wenig, doch selbst die gewalttätigsten Prolls bewahren sich ein Stück ihrer Menschlichkeit, wenn sie am Ende des Tages heim zu ihrer Mutter kommen. Wenn hier jemand die Schuld an den Verhältnissen trägt, das macht der Film überdeutlich, dann ein Staat, der seine Jugend im Stich lässt.

"Sonne Und Beton" ist ein Film, der nie stillsteht. Jieun Yis Kameraarbeit erinnert stellenweise gar an die Intensität von "Victoria". Beinahe minütlich ergeben sich neue Komplikationen, und dass zahlreiche dieser Nebenhandlungen im Sand verlaufen und nicht explizit aufgelöst werden, kommt dem Film sogar ultimativ zugute. So fühlt sich das Finale nicht wirklich nach einer Katharsis an, eher nach einem kurzen Moment der Stille, bevor das Leben die Jungs das nächste Mal in die Mangel nimmt. Dass das Ganze so greifbar wirkt, ist nicht zuletzt auch dem Casting von Laiendarstellern geschuldet, die ihre Charaktere mit größtmöglicher Hingabe und Authentizität porträtieren.

Wnendt und Lobrecht haben hier ein deutsches Vergleichswerk zu Larry Clarks "KIDS" geschaffen, das vielleicht nicht ganz an dessen Realismus und Abgründigkeit heranreicht, aber dennoch den Kanon des jungen deutschen Kinos um einen seiner stärkeren Beiträge bereichert. Filme wie dieser machen Hoffnung auf eine Zukunft ohne Schweiger und Schweighöfer.

Und, achja: Alle beteiligten Rapper, allen voran Luvre und Olexesh, die deutlich mehr Screentime bekommen, als ich erwartet habe, machen ihren Job tatsächlich ziemlich ordentlich. Noch ist es nicht zu spät, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Es muss ja nicht immer Eistee sein.

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