"Menschen im Hotel" vs "Modern Times"
Das Buch: Vicki Baum - "Menschen Im Hotel"
Das Album: IU - "Modern Times"
Warum passt es? "Menschen Im Hotel" von Vicki Baum war das Buch, das meine Großmutter vor ein paar Jahren ohne große Bedenken sofort aus dem Regal zog, als ich sie fragte, was von ihrem Kram ich auch einmal gelsen haben sollte. Natürlich hat es allein dafür einen besonderen Platz in meinem Herzen. Die Mode-Autorin aus den späten Zwanzigern kann euch also einfach die Leseprobe unten schmackhaft machen, denn Baums Prosa ist so liebevoll und kurzweilig, das bedarf wohl kaum einer Erklärung. Was einer Erklärung bedarf, ist aber, warum ich dazu ein K-Pop-Album empfehle: "Modern Times" von IU ist ein Seelenzwilling zu "Menschen Im Hotel". Es ist sommerlich, kühl, ruhig und selbstbewusst, aber auch ein bisschen schwermütig, wo es will.
Es plündert Anleihen aus Chanson und Folk für eine imaginative Broadway-Stimmung, die eine der besten koreanischen Stimmen aller Zeiten perfekt bespielt. Vielleicht treffen die Künstlerinnen hier zusammen: Beide vermischen ihre scharfen, launigen Beobachtungen über ihr Hier und Jetzt mit einer sehnsuchtsvollen Verträumtheit, Baum denkt von Berlin nach Paris, IU von Seoul nach New York. Wenn Baum den inneren Monolog eines modernen Hotels kanalisiert, entsteht dieselbe Atmosphäre wie in IUs Imaginationen von durchschnittlicher Schickeria-Liebe. Irgendwo in meinem Hinterkopf kann ich meine Oma in einem imaginären Hotel mit Baum und IU an einem Tisch zum Kaffee sitzen sehen, in einer imaginären Sprache sprechen hören und nicht schlecht darüber staunen, was die drei insgeheim schon immer von der Welt gedacht haben. Ich bin sicher, sie würden sich wunderbar verstehen.
Leseprobe:
Vor ein Uhr nachts stehen nur wenige Schuhe vor den Zimmertüren des "Grand Hotel". Alle Welt ist unterwegs, um den kochenden, tobenden, elektrisch glänzenden Großstadtabend einzuschlucken. Das Nachtstubenmädchen gähnt hinten in dem kleinen Office am Ende des Ganges, in jeder Etage ein todmüdes Mädchen, das tugendhaft und verblüht ist. Die Pagen haben um zehn Uhr Schichtwechsel gehabt, aber auch die neue Garnitur hat unter den schiefgesetzten flotten Käppis die fieberhaft glänzenden Augen von Kindern, die nicht rechtzeitig ins Bett gekommen sind. Der schlechtgelaunte Einarmige beim Lift wurde um Mitternacht von einem anderen schlechtgelaunten Einarmigen abgelöst, auch der Portier Senf hat seinen Platz dem Nachtportier überlassen, er fährt sinnloserweise noch gegen elf Uhr zur Klinik hinaus, und seine Zähne klappern vor Aufregung. Dass er dort von einer unfreundlichen Schwester Pförtnerin nach Hause geschickt wird mit der Weisung, es könne noch vierundzwanzig Stunden dauern, bis das Kind käme, ist seine Privatangelegenheit und betrifft nicht das Hotel.
Das Hotel ist um diese Zeit reichlich vergnügt. Im gelben Pavillon tanzt man, Mattonis kaltes Büfett ist schon sehr geplündert, er lacht mit seinen [N-Wort]-Augen (Anm.: Yikes, die Zwanziger, yikes!), säbelt Roastbeefscheiben ab und mischt Maraschino in eisgekühlte Obstsalate. Die Ventilatoren sausen und spucken schlechte Luft in die Höfe des Hotels, im Kuriersaal des Souterrains sitzen die Chauffeure und reden Übles über ihre Herrschaften, die nicht trinken dürfen, solange sie im Dienst sind.
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