laut.de-Kritik

Wenn der Tool-Bassist fast zum Statisten wird.

Review von

Mit "From The Gallery Of Sleep" schossen Night Verses 2018 quasi aus dem Nichts auf die Poleposition ihrer Genrenische. Nachdem ihr Sänger ausgestiegen war, hatten sich die verbliebenen drei Musiker neu erfunden und die Band von Post Hardcore gen instrumentalen Progmetal gewandt – und das in nahezu unvergleichlicher Kombination aus Virtuosität, Groove und kompositorischem Fokus. Das lange Warten auf den Nachfolger hat sich gelohnt: "Every Sound Has A Color In The Valley Of Night" bestätigt die Ausnahmestellung des Trios, ohne den Vorgänger zu kopieren, und mit dem Versprechen auf mehr. Denn bisher gibt es nur "Teil 1". Der zweite folgt im Frühjahr 2024.

Die erste Ladung kommt in für Prog-Verhältnisse ziemlich handlicher Länge daher. Nach 34 Minuten ist Schluss, zu entdecken gibt es trotzdem mehr als genug. Bereits der Opener "8 Gates Of Pleasure" allein dürfte Post Metaller:innen ebenso abholen wie Djentlemen und Polyphia-Fans – und bietet trotz technisch extrem hohem Anspruch sowohl Hooks als auch nachvollziehbare Songstruktur. Leider nicht immer eine Selbstverständlichkeit in diesen Kreisen. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass eben nicht nur die Melodien hängen bleiben, sondern sogar die Drumpatterns. Aric Improta spielt zwar Beats, für die andere Bands zwei (sehr gute) Schlagzeuger brauchen würden, und triggert nebenher noch Soundeffekte, formt diese aber zu derart ausgefeilten Figuren, dass sie sich auch bei Nicht-Trommlern ins Gedächtnis brennen.

Improtas Schlagzeug-Sponsor Meinl produzierte für das Trio ein Full-Band-Playthrough-Video zu besagtem Song, wie um zu beweisen, dass das tatsächlich alles echt ist. Wärmste Empfehlung. Überhaupt greifen Night Verses auf "Every Sound Has A Color In The Valley Of Night: Part One" nur selten auf Overdubs zurück – ein weiteres Alleinstellungsmerkmal. Das meiste könnten sie tatsächlich 1:1 live reproduzieren. Zeigen werden sie das 2024 unter anderem im Vorprogramm von Tool.

Apropos Tool: Deren Bassist Justin Chancellor kollaborierte schon 2021 mit Import für das Experimentalstück "EXU". Jetzt wiederholten sie die Zusammenarbeit für die Aufnahmen zum Albumcloser "Séance". Dieser wabert sphärisch dahin, geprägt von warmen Synthesizer-Wolken, elegant-ruhigen Basslinien und Handpercussion. Statt mit Progmetal klingt die erste Hälfte von "Every Sound ..." aus mit einem Ambient (Rock) Track, an dem wahrscheinlich Devin Townsend ebenso große Freude hätte wie Paul Masvidal von Cynic. Selbst ein bisschen Soulfly blitzt durch.

"Arrival" schließt mit nervösen Gitarrenparts und eruptiven Dynamikwechseln am ehesten an die Art der Standout-Tracks von "From The Gallery Of Sleep" an ("Copper Wasp", "Phoenix IV: Levitation"). "Rose Wire" bildet direkt im Anschluss das entspanntere Gegenstück. Cleane Gitarre und Bass ranken sich liebkosend umeinander. Von hier aus wäre es nicht mehr weit zu Plini. Beide Pole vereinen Night Verses in "Karma Wheel", ein hervorragendes Beispiel für die Fähigkeit der Band, Übergänge zwischen eigentlich grundverschiedenen Songparts so fließend wie irgend möglich wirken zu lassen. Alle halbe Minute ändern die drei Musiker die Richtung und reihen teils konträre Soundbilder aneinander. Gitarrist Nick DePirro switcht nahtlos zwischen filigranen Flageolett-Parts und brutalen, vor Distortion starrenden Heavy-Breakdowns, agitativen Leads und träumerischen Arpeggios. Weil Improta und Bassist Reilly O'Neill Herrera mitziehen, wirkt diese schizophrene Gitarrenarbeit jedoch zu keinem Zeitpunkt erratisch oder ziellos, sondern innerhalb der Komposition absolut stimmig.

Man könnte noch eine Weile so weitermachen, denn auch die bisher noch nicht erwähnten Stücke "Love In A Liminal Space" und "Bound To You" haben ihre Eigenheiten (etwa geschmeidige Bell-Sounds und den brachialsten Drop der Platte). Aber ein bisschen Lobhudelei muss ja noch für "Part Two" übrig bleiben, wenn dieser in wenigen Monaten – voraussichtlich im März 2024 – nachkommt. Halten Night Verses darauf das Niveau des aktuell vorliegenden Materials, verdient "Every Sound Has A Color In The Valley Of Night" als Gesamtwerk wie schon der Vorgänger die Höchstpunktzahl. Besser gehts im Bereich instrumentaler, progressiv-metallischer Liedkunst einfach momentan nicht.

Trackliste

  1. 1. 8 Gates Of Pleasure
  2. 2. Arrival
  3. 3. Rose Wire
  4. 4. Karma Wheel
  5. 5. Love In A Liminal Space
  6. 6. Bound To You
  7. 7. Séance

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5 Kommentare mit 24 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Unmenschlich, was die an ihren Instrumenten zaubern. Gespannt, was der zweite Teil bringt, da man sich da dann für zwei Stücke Unterstützung bei Brandon Boyd (Incubus) und Anthony Green (L.S. Dunes, Circa Survive) am Mikro holt.

  • Vor 11 Monaten

    Langweilig. Da flowt nichts ineinander oder bleibt im Ohr. Keinerlei Emotion außer "Guckt-mal-was-wir-können." Kurz: Band leidet an nem schweren Fall von Animals as Leaders-Syndrom.

    Der Vergleich mit Plini leidet da doch. Der hat im kleinen Finger mehr Verve als diese Band. Und, wie immer, The Contortionist lässt was Songwriting angeht, eh alles im Genre alt aussehen.

    • Vor 11 Monaten

      Bin (leider?) wirklich nich mehr im Progzirkus unterwegs, aber sind Animals as Leaders sowas wie die Post-2010er I wrestled a bear once? Ekelhafte Anwandlungen waren das schon damals, für Leute, denen Dream Theater zu boomerhaft sind, aber die halt selbst auch komplett ekelhafte Musiksnobs sind.

    • Vor 11 Monaten

      Ich hab grundsätzlich kein Problem mit jemandem, der dreamtheaterige Mucke feiert, und würde darauf basierend auch nicht schließen, dass diese Personen Snobs sind. Mein Problem liegt hier klar beim vorliegendem Fall - Instagramprog der nichts zu erzählen hat außer seine eigene Geilheit. Keine Ironie, keine Verve, keine Metaebene die ich erkennen würde, kein gar nix.
      Gibt Schrammelbarden die mit ein paar simplen Gitarrenchords und Worten im Gepäck mehr und Besseres zu erzählen haben als diese Dudes auf nem ganzen Album.

    • Vor 11 Monaten

      Nachtrag: Rezensent Berger hängt sich dran auf, dass der gute Improta zusätzlich zum Drumming Samples live triggert. Ja, wow. :D So ziemlich jeder Drumer tut das mittlerweile; das ein SPD-SX neben dem Kit hängt ist heutzutage fast schon zum Klischee geworden.

    • Vor 11 Monaten

      *Drummer und *dass, freilich.

    • Vor 11 Monaten

      AAL bleiben unerreicht - vor drei Wochen wieder live überzeugt worden.

    • Vor 11 Monaten

      Haha, fühle ich, unser Drummer (der wirklich immer nur "übt", wenn wir mal alle zusammen im Proberaum sind [falls du das lesen solltest, Matze - shame on you!), hat sich jetzt auch so ein Pad neben das Kit gestellt, und es ist, gelinde gesagt - bisweilen sehr nervig.

    • Vor 11 Monaten

      @c4i - zu wenig, zu spät. Lösch dich.

    • Vor 11 Monaten

      Komponiert ihr für den nächsten G20-Gipfel? :lol:

    • Vor 11 Monaten

      Salzstangen-"Gaet'ale"-Schwingo mal wieder mit astreinen Kommentaren in der Salzkruste :lol:
      Könnte es vielleicht eventuell möglicherweise daran liegen, dass Aric Improta mit "Blur-Lights in the Videodrome" das vielleicht geilste Drumsolo ever gedropped hat, das nicht nur ein Zurschaustellen von unmenschlichem musikalischem Können ist, sondern das dabei auch ein wirklich hervorragendes Album ist?

    • Vor 11 Monaten

      Und was hat besagtes Drumsolo mit dem vorliegenden Albung zu tun? :confused:

    • Vor 11 Monaten

      Eben, dachte ich auch.

  • Vor 11 Monaten

    Gut, wer Contortionist als Peak Songwriting betitelt, wird hier wohl seine Schwierigkeiten bekommen, sollte klar sein. Das ist Anti-Eingängigkeitsmusik, aber vielleicht gerade darin so gut. Und im Gegensatz zur Mathefraktion (ich h a s s e Animals as Leaders) hat das hier tatsächlich sowas wie Bums und Verve jenseits der Technikshow. Am besten sind die immer, wenn die zwischendurch mal lockerflockig brettern, bevor es mit der Bastelei weitergeht. Ob das auf Headline-Konzertlänge erträglich ist, gute Frage, aber die halbe Stunde ist absolutes Synapsenfick-Pleasure.

    • Vor 11 Monaten

      AAL keinen Bums zu unterstellen. Gähn. Abasi spielt Soli wie Gilmour. Wo wir aber gerade bei der Mathematik sind: Meshuggah auch nicht gut? :(

    • Vor 11 Monaten

      Hit & miss. Manche Alben sind schon gut monoton, sowas krankes wie Catch 33 vielleicht ausgenommen. Live scheppert das ganz gut, lebt aber auch davon, dass es Vocals gibt, bzw. Abwechslung. Vllt. sollte Tosin mal anfangen zu singen. Oder eine Hookline schreiben, Arch Echo klingen mit Vocals ja mieser als ohne und das liegt nicht am Vokalisten.

    • Vor 11 Monaten

      Also die Hookline von "Physical Education" "singt" jeder auf den Konzerten mit.^^

    • Vor 11 Monaten

      Häng dich mal lieber wieder in dein Forum für "nicht-misogyne Incels", lel. Und ja, du Opfer, jetzt isses raus. Ich leake hier auch deine Chat-Inhalte, weil du dummes Opfer es einfach nicht besser verdient hast.

    • Vor 11 Monaten

      Dieser Kommentar wurde vor 11 Monaten durch den Autor entfernt.

    • Vor 11 Monaten

      Incels steht für vieles und nicht nur für Frauenhasser. Du predigst doch immer, man soll differenzieren. Dann lass dich jetzt nicht von deinen Emotionen leiten. :D

      Ob du das leakst, ist mir egal.

    • Vor 11 Monaten

      Leaks erscheinen mir sinnvoll, wenn es um Unternehmen, Geheimdienste, sonstige staatliche Stellen o.ä. geht. Oder um krassen braunen oder ähnlich schlimmen Dreck. (Also natürlich nach meiner Definition von krass. Nicht jeder bräunliche Pups.) Ich finde, es bräuchte schon sehr triftige Gründe, um Sachen aus nem halbwegs privaten Chat zu leaken. Und wenn hier bei laut.de einer was misogynes, incelmäßiges bullshittiges schreibt, dann bin ich zugegebenermaßen schnell dabei. Ist ja öffentlich und freiwillig. Aber Sachen aus nem Chat, ehrlich jetzt? Wo c4po vielleicht einfach mal mit nem gewissen Vertrauensvorschuss gegenüber den anderen höchstpersönliche Umstände angesprochen hat? Aus einer Position, die sich eher als schwach liest, heraus? Falls das in etwa zutrifft: das dann zu leaken, wäre das nicht auch schwach? Hört sich für mich nicht nach ner Heldengeschichte an, Tooli.

    • Vor 11 Monaten

      Heldengeschichte hin oder her, hier hat schon noch irgendwer auf anderen Kanälen Kontakt zu ihm und weiß, dass er hinreichend OK ist?

      Oder muss mensch sich Sorgen machen, nun nach 10 Tagen?

    • Vor 11 Monaten

      10 Tage kein laut.de spricht eher für sein Wohlbefinden als dagegen.

    • Vor 11 Monaten

      Auch wahr...

    • Vor 11 Monaten

      tooli geht es gut, si. Das leake ich jetzt mal, hehe.

    • Vor 11 Monaten

      Das freut mich! :kiss:

    • Vor 11 Monaten

      grüsse gehen raus

  • Vor 11 Monaten

    Nachdem ich gerade den TalkTalk-Meilenstein durchlitten habe - wie geil ist das denn? Die heftigeren Stücke sind sicher nicht jedermanns Sache (meine auch nur gelegentlich...), aber durchgängig handwerklich extrem gut gemacht und abwechslungsreich. Und die ruhigeren Stücke sind schlicht der Hammer. Wg. der doch heftigen "Härte"wechsel nix fürs dauernd hören - aber in der Sammlung sollte es schon sein 4/5

  • Vor 11 Monaten

    Riesenplatte, unfassbares Drumming und Bassing und einige der geilsten Gitarreneffektspielereien, die ich seit langer Zeit gehört habe. Trotzdem steht dabei immer die dichte Atmosphäre und der Song im Vordergrund, deswegen kann ich der Rezension nur zustimmen was kompositorische Stimmigkeit angeht und bin von einigen Kommentaren überrascht, in denen von so wenig eingängiger Musik die Rede ist. Ich brauche immer viel Pop in meiner Musik und viel eingängiger als hier wird instrumentaler Progmetal imo nicht und trotzdem bleibt viel Platz für Virtuosentum, Gratwanderung perfekt umgesetzt. Ich freue mich sehr auf Teil 2!