laut.de-Kritik
Ein Hörangebot, das niemand abschlagen kann.
Review von Ulf Kubanke"Du hast nie Wert gelegt auf meine Freundschaft. Dein Geschäft geht gut. Die Polizei ist da, um dich zu beschützen. Außerdem gibt es Gerichte. Wozu noch einen Freund wie mich? Aber jetzt kommst du zu mir und sagst: Don Corleone, verschaff mir Gerechtigkeit. Aber du zeigst mir keinen Respekt." Fast jeder kennt Don Vito Corleone mit dem Gesichtsausdruck einer Bulldogge und im bedauernden Tonfall eines geduldigen Vaters, der den Bittsteller zurecht weist.
Die Corleones sind die Buddenbrooks der Unterwelt. Gefangen in einem Netz aus shakespearschem Drama, griechischer Tragödie und hardboiled Thriller erklimmen sie Gipfel aus Geld und Macht. Dabei tanzen sie unaufhörlich an jenem von Gier und echter Familienliebe gespeisten Abgrund, der sie schlussendlich verschlingen wird. Sämtliche Rechnungen des Aufstiegs werden mit Blut beglichen; der Taktgeber ihres Walzers besteht aus Bleikugeln. Nino Rota bringt alles in einem einzigen Lied auf den Punkt: "The Godfather's Waltz".
Das Stück kommt einem Geniestreich gleich. Trotz seines leisen, zurückgenommenen, fast klagenden Charakters transportiert es - je nach Handlungsstrang – einander so widersprechende Gefühle wie Stolz oder Gebrochenheit. Daneben fungiert es als Wegweiser gen Untergang, dessen audiophile Hängeschulter sogar im Moment des Triumphs signalisiert, all dies werde nimmer gut enden.
Rota setzt Bilder und Ensemble in eine mitreißende Klanglandschaft und unterstreicht das Charisma jedes Einzelnen. Da ist Marlon Brando als Don Vito. Daneben die aufstrebenden Diane Keaton und Al Pacino, deren Stern durch den Film ebenso schnell aufsteigen wird wie jener des Michael Corleone. Schlussendlich im Hintergrund der bis dato unbekannte Regisseur Francis Ford Coppola, der sich über den gesamten Dreh hinweg des Misstrauens vom Studio ausgesetzt sah. Obwohl allesamt auf Weltniveau agieren, wäre das Ergebnis ohne Rotas Score nur die Hälfte wert. Vielleicht nicht einmal das.
Die musikalische Stärke Rotas kommt nicht von ungefähr. Hauptsächlich empfindet er sich als Klassik-Komponist, der u.a. zwei Dutzend Opern und mehrere Sinfonien schrieb. Parallel lehrt der Professor Komposition und Harmonielehre. Fast nebenher macht sein zusätzliches Talent, große Melodien zu ersinnen, ihn zu einer der wichtigsten Filmmusik-Ikonen aller Zeiten. Er vertonte alle Fellini-Filme, darunter auch "La Strada", veredelte Visconti-Streifen wie "Der Leopard" oder Denys de La Patellière werkgetreue Mammutverfilmung des "Grafen Von Monte Christo".
Doch obgleich jedes einzelne Werk des Italieners berührt, überstrahlt ein Lied alle anderen. Kein Song steht als Markenzeichen so sehr im Vordergrund wie sein auf allen Kontinenten verehrtes "Love Theme From The Godfather". Tatsächlich spiegelt es echte Liebe, nämlich jene des Michael Corleone. Bezeichnenderweise illustriert Rota im Film damit nicht dessen eher pragmatische Beziehung zu Kay Adams. Note für Note gibt das Thema stattdessen jene unverfälschte Leidenschaft und Innigkeit wieder, die der jüngste Spössling des Padrino für seine sizilianische Frau – Apollonia – empfindet. Dementsprechend taucht die Melodie zusätzlich unter ihrem Namen als folkloristisch angehauchte Variation auf.
Auch skizzenhaftere Momente gelingen Rota vorzüglich. "The Baptism" untermalt simultan Michaels Rolle als Taufpaten beim Gottesdienst wie auch als rachedurstiger Todesengel. Rotas schroffe Blutorgel reißt die Fassade christlicher Reinheit nieder. Sie klingt so unheilvoll und schneidend wie eine dämonische Version Johann Sebastian Bachs.
"Verschwinde und verrecke!" Als Frank Sinatra - abseits der Bühne kein fanatischer Anhänger zartfühlender Artikulation - auf einer Party Mario Puzo trifft, lässt er seinem Zorn freien Lauf. Ein jeder in Hollywood weiß: Sinatra ist Johnny Fontaine, gespielt vom Crooner Al Martino. Der hier vertretene Song "I Have But One Heart" erinnert deutlich an Ol' Blue Eyes' frühe Schmachtfetzen. Obgleich die Schnulze musikalisch kaum der Rede wert scheint, verkörpert sie das brisanteste Stück des Soundtracks.
Einen Auftritt wie vor Don Corleones Hausgästen legte Sinatra 1947 bei einem Bankett Lucky Lucianos hin. Drumherum drapiert Coppola eine Story über Fontaine, die der Wahrheit entspricht. Don Corleone verhalf seinen Ziehsohn zum Ausstieg aus einem Vertrag und damit zur Solokarriere. "Mein Vater versicherte ihm, entweder käme seine Unterschrift oder sein Gehirn auf den Vertrag." Im echten Leben war es Sinatras Zechkumpan Guarino Moretti, der Pate von North Jersey, der Bandleader Tommy Dorsey bedrohte. "I have but one heart. This heart I bring you ..."
Trotz aller Superlative versagte die Oscarjury 1972 Rota die verdiente Trophäe. Man könne ihm den Preis nicht verleihen, da er einige Tonfolgen bereits in einem früheren Film nutzte. Rota: "Ich suchte mir ein Thema aus, das ich bereits vor 15 Jahren verwendete. Es war nur ein lustiger, kleiner, ironischer Marsch. Ich legte ihn langsamer, romantischer an und bemerkte, wie perfekt es passte. So entstand das Motiv des Paten." Obgleich diese Musik quasi nichts mit dem Ausgangsmaterial gemein hat, werteten die Preisrichter den Score nicht als Originalkomposition.
Drei Jahre später machte man den Fauxpas gut. Rota gewann einen Oscar für die Musik zu "The Godfather II", obgleich auch hier Auszüge der monierten Passagen hörbar sind. Vielleicht machte er dem Komitee ein Angebot, das es nicht abschlagen konnte.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 13 Antworten
Wer schon einmal durch eine beliebige italienische Fußgängerzone gelaufen ist, kann dieses Hörangebot sehr wohl ausschlagen.
Thema verfehlt, sechs.
Was hat das mit der Musik oder dem Film zu tun?
"Vielleicht machte er dem Komitee ein Angebot, das es nicht abschlagen konnte."
Witzig! Nur sah das Angebot wohl so aus, das "Zitat Wikipedia: Besonders im Bereich der Musik für einen Film gab es im Laufe der Jahre unterschiedliche Bezeichnungen für die einzelnen Kategorien, beispielsweise Music (Scoring), Music (Original Score), Music (Scoring of a Musical Picture), Music (Music Score of a Dramatic or Comedy Picture), Music (Music Score – substantially original) und noch einige andere. Diese Entwicklung resultierte oft auf dem sich wandelnden Geschmack der Kinogänger (beispielsweise die Hochkonjunktur für Musicals in den 1960er-Jahren)."
Das beim Oscar zuallerst der schnöde Mammon über die Preisvergabe entscheidet, tut dem Stein ja keinen Abbruch.
"Einige Tonfolgen" ist milde ausgedrückt, die legendäre Melodie ("Love Theme", "Apollonia", "Sicillian Pastorale", "The Godfather Finale") war schon 15 Jahre vorher in "Fortunella" zu hören. Kurioserweise wird sie im Film gar nicht so oft eingesetzt, weil "The Godfather Waltz" das eigentliche Theme ist. Das Recycling lässt sich bei der Beurteilung leider nicht ausblenden, trotzdem ist Nino Rotas Filmmusik epochal und gehört zu den besten Scores aller Zeiten. Im Segment Gangsterfilm kann nur Morricones "Once Upon a Time in America" mithalten.
ausblenden? dem widmet sich der text im gesamten schluss inkl. originalzitat.
ich komme bei der beurteilung jedoch zu einem anderen urteil als du. lieder entwickeln sich oft über einen langen zeitraum. verglichen mit dem "fortunella"-schnellschuss, der auch eher satirisch klingt, eher nach frühem demo, ist doch erst hier die volle pracht erblüht, das gefühl, die mitreißenden arrangements., die inspiration usw.
insofern ist das alles andere als recycling. es ist die konsequente erkenntnis, sich etwas großes nicht durch unnötige selbstbeschränkung und rechtliche formalitäten versauen zu lassen und es der welt eben nicht vor zu enthalten, nur weil man vorher schon mal ne uninteressantere variante veröffentlichte, die man "hete" doof findet.
denn eines ist doch klar: die fortunella-variante kennt kaum einer und wer sie kennt, ist alles andere als beeindruckt. hätte rota es dabei belassen, der welt wäre etwas gravierendes entgangen nd der film nur halb so ausdrucksstark.
insofern freue zumindest ich mich über jeden künstler, der so ein wagnis eingeht und es für selbstverständlich erachtet, mit seinem werk je nach gusto verändernd und entwickelnd zu verfahren. großartige anarchie von don nino im dienste der ultimativen musik.
"heute" doof findet
meinte ich.
"der welt wäre etwas gravierendes entgangen nd der film nur halb so ausdrucksstark"
Der Score von "Es war einmal in Amerika", wirkt heute noch in wesentlichen Teilen ausdruckstärker als der von "Der Pate". Nun mag das am Geschmack liegen, glaube ich aber nicht.
"Der Pate" ist so Dialoglastig, das man ihn nur schwer ohne ein zu schlafen durch schauen kann. Ist mir glaube ich bis heute nicht gelungen. Wo hingegen "Es war einmal in Amerika", durch seine verworene Geschichte, welche Version, welcher Schnitt und welcher Score wann und wo und das wollen als Filmliebhaber, das zu verstehen, immer wieder neues bietet. Tränen, lachen, schmunzeln, Gänsehaut alles zugleich der Score.
Dem hänge ich direkt dein Zitat an: "großartige anarchie von don nino im dienste der ultimativen musik" Nino ersetzen durch Ennio!
genau das ist der große irrtum.
nino und ennio gegeneinander aus zu spielen ist doch schon im ansatz fragwürdig.
ebenso deine godfather-narkolepsie.
und gerade weil es so viel dialog gibt, ist die leistung rotas doch erst recht unschätzbar hoch ein zu stufen. er stößt brillant mit ltimativ passenden arrangements nd stimmungen in die lücken zwischen den worten. das ist mit so viel sinn für atmosphäre und timing gemacht. zum niederknien.
und das kann onkel ennio (siehe dessen meilenstein) - cool, dass der noch lebt - eben auch. zwei sensible und sensitive perfektionisten.
"genau das ist der große irrtum."
Du tust wissen, wie ich denke und was ich fühle beim Film schauen kannst du dir auch vorstellen. So ungelogen, bei meinem Einwurf lag mir nichts ferner als Ennio gegen Nino aus zu spielen. Das eine Reihe mit Zimmer, Vangelis und noch ein paar mehr.
Wenn ich das Medium Film nehme und dabei den Film "Der Pate" betont betrachte, dann wird durch den hervorragenden Score der Film ansich, nicht weniger langweilig. Das meinte ich, "Der Pate 2" war eine ganz andere Hausnummer, als Gesamtkunstwerk. Und das ist mein Ansatz/Einwurf auf dem ich abhebe, einen Filmscore kann ich nicht getrennt oder explizit vom Film trennen. Ist für mein Verständnis, um sich dem Medium Film wirklich zu nähern, quasi eine Grundregel.
Als Stein hätte ich "Plein soleil" von Nino bevorzugt und dem Paten voran gestellt. Der geht besser ins Ohr, auch fast 60 Jahre nach dem Film.
frage an herrn conzal:
auf wieviel promille muss ich mich hochleveln, um deiner schreibe auch nur ansatzweise folgen zu können?
Letztemal richtig betrunken war ich etwa mit 30. Mag das Zeug nicht und bin Drogenfrei verrückt genug. Also wenn du einen Übersetzer brauchst, würde ich vorschlagen du gehst in eine Ausnüchterungszelle. Handy, Laptop darfste bestimmt mitnehmen, wenn du nett bietest.
Bittest sorry, Fluchtfehler
ich bin beim paten auch mehrfach eingeschlafen, habe dann die titelmelodie die ganze nacht durchgehört, weil sie untermalung vom dvd menu war.
Schon hart. Stephan peilt die Dialoge im Paten aufgrund von Beschränktheit nicht --> Film scheisse!
@speedi
ne ernsthafte frage, du hast eine form von ad(h)s, oder?
Peter Griffin: „Der Film nimmt sich selbst zu wichtig“
an alle:
wenn ich das recht erinnere, hat man den ersten teil vor einigen jahren für ne spezielle edition neu synchronisiert. kennt jemand von euch die neufassung? lohnt sich das?
abgesehen von der tollen originaltonspur mit brando, empfand ich die erste deutsche fassung, die wir alle seit kindheit kennen, immer als echtes kleinod der ohnehin meisterhaften deutschen synchrongeschichte.
das war doch ne unschlagbare besetzung.
gottfried krame - einerseits don vito, andererseits oscar aus der sesamstraße.
lutz mackensy - totale allzweckwaffe; hier pacino, sonst standardstimme von stan tucci oder p.m. thomas alias tubbs in miami vice. oder geoffrey rush. total wandelbar!
jürgen thormann - geht auf die 100 zu und ist immer noch aktiv; u.a. als standardstimme von michael caine; daneben ian mcckellan oder max v. sydow. in "der pate" ist er fredo.
norbert langer - hier tom hagen; sonst im ohr u.a. als magnum (tom selleck)
arnold marquis - john wayne, kirk douglas, robert mitchum - bämm! hier der kurrupte cpt. mccluskey
g.g. hoffman - sean connery (bond) und paul newman (der clou)
und last but not least die wundervolle traudl hass, die so unterschiedliche typen wie mia farrow oder diane keaton (auch hier) perfekt unterstreicht.
das ist so eine nschlagbare zusammenkunft echter stimmen-ikonen in nur einem film. dass jede neufassung doch nur verlieren kann oder?