laut.de-Kritik
Freundschaft, Glaube, Geborgenheit, Mut, Treue, Kraft, Verständnis und Danke.
Review von Philipp Schiedel"Es ist alles sehr witzig hier!", kichert Sandy in ihr Mikrofon. Das lassen sich die anderen vier Engelchen natürlich nicht zweimal sagen, pubertieren sofort fröhlich mit und glucksen im Takt. Was haben wir hier oben für einen Heidenspaß ... .
So prächtig wie den Mädels auf der Bühne geht es den Zuschauern aber nicht. Nach den zahlreichen Schocks bis zum Beginn des Konzertes sind die Eltern und Kinder gut geschlaucht. Schock eins trifft sie gleich an der Kasse: sage und schreibe sechzig Mark dürfen Mama oder Papa für ihre Sprösslinge löhnen. Wenn man bedenkt, dass die meistens Eltern mit zwei Kindern ankommen und dann vielleicht noch eine Tasse mit dem Bild von Lucy für einen Spottpreis von 15 Mark als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk kaufen, so läppert sich der No Angels Konzert Besuch mal kurz auf knappe bzw. unverschämte zweihundert Mark zusammen.
Schock Nummer zwei lässt nicht lange auf sich warten. Die Halle begrüßt mit kaltem Beton. Eine riesige Location für 8000 Leute ist gerade mal zu einem Drittel gefüllt und versprüht mehr tristes Betonbau-Esprit, als für Kindergeburtstagstimmung gut ist. Vorne drängeln sich die kompletten dritten Klassen aller Friedrichshafener Grundschulen bis zum Ende des Bühnensteges, der etwa zehn Meter in die Menge hinein ragt. Danach sichtet man nur noch vereinzelt sorgenvolle Mütter, in der Höhe des Mischpultes herrscht dann schon gähnende Leere. Nur die Wände der Halle sind vollgepackt. Dort lehnen sich die Väter lässig an die Wand, trinken ihr Bier und warten darauf, dass sie endlich wieder ins heimische Fernsehsofa sinken können. Das ist Elternliebe.
Keine Sorge, es kommt noch schlimmer. Der nächste Schock erklimmt in Form von Ben McCosker die Bühne. Fragende Gesichter. Der blonde Schönling übertrifft alle Erwartungen der Peinlichkeit und huscht in bester "Soapstar wants to be a Popstar"-Manier von der einen in die andere Ecke, lässt sich dabei von zwei Girlies tänzelnd begleiten und macht der traurigen Vorstellung nach vier Songs endlich ein verdientes Ende.
Noch immer keine Spur von den Stars des Abends. Zuerst wird etwas für die Kasse gemacht, und da die ideale Zielgruppe schon mal versammelt ist, kann man sie ja gleich mit Werbung (!) über die Videoleinwand vollsülzen. Also schallen Kit-Kat und Bluna durch die leere Halle. Zwischen jeder Werbung wird der Trailer zum neuen Disney Weihnachtsspektakel "Atlantis" eingespielt und sobald eine der No Angels auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen ist, geben die jungen Kehlen alles.
Kurz vor acht Uhr scheint es dann endlich so weit zu sein. Der Fotograben ruft und Kollege Oriwall spielt sofort seine Flirttechniken an den Grundschülerinnen in der ersten Reihe aus. Sichtlich überdreht erzählen sie von der kalten Warterei vor der Halle, die sie seit 15 Uhr belagerten. Nun drücken sie sich schon drei Stunden lang gegen die Absperrung, halten ihre selbstgebastelten "Wir lieben euch"-Schilder stolz in die Kamera und kreischen, so oft es einen noch so kleinen Anlass dazu gibt. Meistens gibt es keinen, geschrieen wird trotzdem.
Zehn Minuten später gehen die Lichter aus und man ist dem Hochfrequenzgekreische aus den ersten Reihen hilflos ausgesetzt. Das Ohr schmerzt und die No Angels betreten durch Showtüren "Rivers Of Joy"-singend die Bühne. Überraschung, Überraschung. Auf der Bühne steht eine Live-Band und auch Lucy, Vanessa und Co lassen nichts aus der Konserve kommen. Wenigstens alles echt, wenn man den Leuten die Kohle schon an allen Ecken und Kanten aus der Tasche zieht. Die Show beginnt mit den obligatorischen Danksagungen: "Wir wollen euch nicht nur für eure Liebe, sondern vor allem für eure Kraft und euer Vertrauen danken." Natürlich "seid ihr die Ersten, die an uns geglaubt haben." Ist klar.
Danach driftet das Konzert in endlose Langeweile ab. Die männlichen Waschbrettbäuche in ausgewaschenen Jeans schmiegen sich um die Grazien, und diese wedeln bei 80% ihrer Songs seltsam verführerisch mit beiden Armen in der Luft umher. Streng durchorganisierte Tanzschritte durchbrechen seltenst das Bild auf der Bühne. Es wird einfach runtergespielt ohne großes Aufsehen zu erregen.
Einzig die fünf Soloauftritte bringen ein bisschen Abwechslung in die Halle, wobei auch da nicht mit Peinlichkeit gespart wird. So covert Sandy einen Song von Aaliyah ("Ich habe sie immer verehrt..."), Vanessa röhrt auf einmal Madonna-Refrains und Nadja muss natürlich zu ihren "heißen" Zeiten Stellung beziehen und bringt dabei die Rolle der besorgten Mutter ("Ich habe mich für mein Kind entschieden") gut eingespielt rüber. Der Gipfel der Lächerlichkeit kommt nur kurz danach, als während ihres Solo-Songs Bilder ihrer kleinen Tochter auf die Leinwand projiziert werden. Die Kids jubeln.
Trotzdem ist die Stimmung nahe dem Gefrierpunkt. Die No Angels versuchen zwar mit "die linke Seite schreit 'No' und die Rechte 'Angels'-Spielchen das Konzert etwas aufzulockern, doch die lieben Kleinen scheinen das System nicht so ganz verstanden zu haben. Statt einem abwechselnden Singsang entsteht nur ein heilloses Kreischchaos.
Noch nicht genug des Irrsinns. Beim nächsten Song erscheinen auf der Videowand die Worte "Freundschaft", "Glaube", "Geborgenheit", "Mut", "Treue", "Kraft", "Verständnis" und "Danke". Danach rockt dann "Daylight In Your Eyes" und Kinder und Mütter singen gleichstark im Chor. Das war es dann immer noch nicht, sondern zu "There Must Be An Angel" holen sie noch die "Ihr seid das beste Publikum das wir je hatten"-Sprüche raus.
Danach kann die Videoleinwand wieder etwas großartiges verraten: "You Guys Rock!" Als dann endlich die riesigen Luftballons mit den Namen der Stars auf die "Menge" hinunter fallen, haben auch die größten Fans keine Lust mehr auf die Zugabe "Rivers Of Joy" und der Haufen Kleinkinder rennt lieber den bunten Ballons hinterher als den No Angels zuzujubeln.
"Habt ihr genug Energie für die Show?" rief anfangs Nadja. Da kann man am Schluss mit einem überzeugtes "Nein" antworten. Selbst für Fans war es schwer, diese aufzubringen und die liebe Sandy hat mit ihrer Aussage, dass hier alles so witzig wäre auch nicht recht gehabt.