13. Oktober 2016
„Bei dieser Platte war ich high und besoffen“
Interview geführt von Markus BrandstetterNach 33 Jahren Bandgeschichte haben Fat Mike und seine Band NOFX längst verdienten Punk-Legenden Status. Auf den eigenen Lorbeeren ausruhen ist allerdings längst nicht geplant: "First Ditch Effort" heißt der neue Longplayer der Kalifornier, der über das bandeigene Label Fat Wreck Chords erscheint.
Fat Mike ist runter von den Drogen - zumindest temporär. Nachdem er neben einer rustikalen Trinkgewohnheit und gelegentlichem Konsum anderer Substanzen eine unschöne Schmerzmittelsucht entwickelt hatte, ging der 49-Jährige auf Entzug. Die neue Platte hat er aber durchgehend betrunken und high geschrieben und eingespielt, wie er im Interview erzählt.
Hi Mike, gerade erscheint das neue NOFX-Album "First Ditch Effort". Erzähl doch was darüber.
Nun - ich mag es, es ist ein sehr persönliches Album. Mein persönlichstes Album. Es ist das einzige Album, bei dem ich Drogenprobleme hatte. Es ist auch das einzige Album, das ich gänzlich betrunken aufgenommen habe. Ich hatte ziemliche Probleme mit Schmerzmitteln. Es gab da eine Phase von sechs Monaten, in denen ich sie regelmäßig genommen habe. Ich habe auch Kokain konsumiert, habe viel getrunken. Ich ging auf Entzug, und kam von allem runter.
Wie fühlt sich's für dich jetzt an, abstinent zu leben?
Nun, ich werde sicher keine Schmerzmittel mehr nehmen. Ich weiß allerdings nicht, was die Zukunft bringen wird. Ich weiß gar nicht, warum ich von Schmerzmitteln abhängig wurde, ich mag sie nicht einmal besonders. Ich habe Drogen nicht angefasst, bis ich 32 war. Deswegen ist es nicht besonders schwer, keine mehr zu nehmen. Ich habe seitdem ein paar mal getrunken, vor allem vor Shows. Es gab zwei Monate, wo ich gar nichts genommen habe. Auf unserer letzten Tour habe ich dann begonnen, wieder ein bisschen zu trinken. Es fühlt sich aber nicht nach einem großen Problem an.
Und wie war das beim Schreiben?
Ich war sowohl während des Schreibe- und Aufnahmeprozess getrunken. Ber der ganzen Platte war ich total high und besoffen. Nach der Platte kam unser Buch raus, und ich musste unterwegs sein. Sobald ich heimkam, hab ich aufgehört. Ich war nur sechs Tage im Entzug, das war keine Reha. So war das halt. Jetzt bin ich daheim, und trinke Tee (lacht).
Wie ich sehe rauchst du E-Zigaretten ...
Ja. Das ist lustig, weil ich nie eine normale Zigarette versucht habe. Ich bin jetzt so alt, dass ich das Nikotin brauche, dass ich am Abend munter bleibe und in der Früh brauche ich es, um hochzukommen. Nikotin ist ja ein Amphetamin.
Lass uns mal kurz ein paar der Songs durchgehen ... Erzähl mal von "Six Years On Dope".
Der Song handelt von unserem Drummer. Am Anfang der Band war er dauernd auf Heroin, für fünf oder sechs Jahre. Er war ein Dieb, er würde lügen, stehlen, was auch immer es brauchte, um Heroin zu kriegen. Der handelt von ihm.
Nächstes Stück: "Happy Fathers Day"
Das ist ein großes Fuck You an meinen toten Vater. Es scheint, je älter ich werde und je mehr Zeit ich mit meiner Tochter verbringe, um so angepisster werde ich, wie wenig Zeit und Fürsorge er mir gegeben hat. Sogar wenn er nur eine minimale Anstrengung unternommen hätte, wären die Dinge viel besser geworden. Ich glaube nicht an Blut. "Blood before water", nein. Einen Freund zu verlieren ist härter, als ein Familienmitglied zu verlieren.
Und "Sid and Nancy"?
Ich mag den Song sehr, er macht Spaß. Überhaupt die ganze Platte: es ist viel Piano drauf, Violine, viele Gesangsharmonien, viele Experimente.
Woher kam das, dass du diesmal mehr Lust auf Experimente hattest?
Woher das kam? Das war einfach ich, wie ich auf Drogen bin. Wir haben zum ersten Mal mit einem anderen Produzenten – Cameron Webb – gearbeitet. Die Produzenten, mit denen wir bisher arbeiteten, wollten, dass wir alles in drei Wochen fertig haben. Sie wollten perfekte Takes. Cameron Webb meinte, lass uns die Wochenenden freinehmen, spiel die Basslinie solange ein, bis du happy bist. Experimentiere. Wir haben eine Menge experimentiert. Ich wollte eine Platte machen, die anders klingt, als alles, was wir bisher taten. Ich glaube, das ist uns gelungen.
Waren die Aufnahmen auch generell anders als sonst?
Ja, es war schon anders. Die meisten unserer Platten passieren so: Die Band trifft sich, wir machen Songs, nehmen Drums auf. Dann gehen wir in mein Studio, und ich mache den Rest. Gitarristen kommen rein, Eric ist viel da. Diesmal war's sehr entspannend. Wir haben es in sechs statt drei Wochen aufgenommen, haben aber viele Tage freigenommen.
Worum gehts im Stück "California"?
Das geht um mich und wie ich von den Drogen wegkam. Das ist komisch, denn damals war ich noch gar nicht von den Drogen runter. Aber ich wusste, dass ich es tun würde. Ich musste nur noch die Platte und die Buchtour erledigen. Viel in dem Song ist interessant: Da gibt es einen Gitarrenrhythmus, der so noch nie verwendet wurde. Eine Menge Sachen, die die Leute sonst nicht kriegen. Ich erzähle von meinem Freund, der bei Bayer arbeitet. Das war die Company, die das ursprüngliche Heroin abgepackt haben. Ich erzähle davon, wie mein Freund sagt: Hey, ich mache ne Party und ich hab das alte Zeugs von 1910. Dazu musst du aber die Geschichte der Bayer-Company kennen.
Ich habe immer auf Tour Drogen genommen und getrunken
"Oxymoronic" dreht sich ja auch um deine Medikamentenabhängigkeit.
Da geht es darum, wie wütend ich auf die pharmazeutische Industrie bin. Ich mache sie dafür verantwortlich, dass ich von Schmerzmittel abhängig wurde. Ich ging zu einem Arzt, und der verschrieb mir einfach ein anderes Schmerzmittel. Auf der Straße nimmst du dieses Mittel für eine Woche, es hilft dir, vom Stoff runterzukommen. Er meinte, das geht nicht, du musst es drei Monate nehmen und einmal pro Woche zu mir kommen. Ich habe ihn 16, 18 Mal besuchen müssen, und er hat 300 Dollar pro Sitzung gemacht. Der Detox-Arzt meinte aber, du musst von dem Zeugs nach einer Woche runterkommen. Der andere Arzt wollte nur dein Geld. Ich war so wütend, dass ein Arzt meine Drogensucht verlängerte. Wie er es gemacht hat, hat mir überhaupt nicht geholfen. Ich wurde einfach süchtig nach dem anderen Zeug. Es gibt eine Company namens "Funny Or Die", sie haben gezahlt, um ein Video für den Song zu machen. Ihnen gefiel der Text so gut. Das Video kommt demnächst raus.
War es für dich schwer, von den Drogen runterzukommen und nüchtern zu werden?
Weißt du, alle die Jahre, die ich getrunken und Drogen genommen habe: Ich habe es immer auf Tour getan. Wenn ich von der Tour heimkam, habe ich immer eine Woche, zehn Tage Pause gemacht. Jetzt von Drogen drunten zu sein, ist wie das, nur eben länger. Die einzige Schwierigkeit, die ich mit clean sein habe, ist, auf Tour zu sein. Ich habe eine ganze Europa-Tour nüchtern gespielt. Ich habe gesagt: Schaut, ich kann das durchaus. Nur ist es halt nicht halb so lustig. Aber daheim, wenn ich mit meinen Kindern bin, Fahrrad fahre, ins Kino gehe: dafür brauche ich nicht besoffen zu sein, das ist das normale Leben. Wenn du 33 Jahre lang in einer Punkrock-Band bist und Clubs spielt: das nüchtern durchzuziehen, ist schwer. Eigentlich ist es nicht einmal wirklich schwer, es ist einfach nicht so spaßig.
Worauf führst du diese Langlebigkeit der Band zurück?
Alle in der Band sind gute Jungs. Normalerweise brechen Bands daran auseinander, dass jeder Songs schreiben will. Eben weil Songschreiber mehr Geld kriegen. Deswegen möchte jeder einen Teil des Kuchens. Beim Aufnehmen entstehen dann Kämpfe, und Bands trennen sich. Meine Band hatte das Problem nie. Es hieß immer, Mike, du schreibst fantastische Songs, so machen wir weiter. Weil wir Erfolg hatten und nie jemand arbeiten musste: was gibt es da zu streiten, worüber könnte man sich beschweren?
Hat sich in all den Jahren die Dynamik innerhalb der Band verändert?
Nein, nicht wirklich. El Hefe stieg 1991 ein. Es ist witzig, wir haben so eine gute Chemie. Wir haben auf dieser Tour darüber gesprochen: Jemand meinte, dass NOFX eine witzige Band sein, weil es vier Charaktere geben, die alle wichtig für die Band sind. Manche Bands werfen einfach so Leute raus, manche sogar die Sänger. Bei NOFX geht das nicht, wir sind alle vier wichtig. Bad Religion tauscht Mitglieder aus, die Leute merken es zwar, es kümmert sie aber nicht so. Wenn wir aber El Hefe verlieren würden, das wäre ein Riesenunterschied.
Wieso ist das bei euch so?
Als NOFX reden wir eine Menge auf der Bühne. Die Leute fühlen, als würden sie uns kennen, das ist anders als bei Bands, die nur spielen. Bad Religion spielen fünf Stücke nacheinander, danach sagt Greg Graffin etwas, dann gibt's wieder fünf Stücke. Nirvana haben ein ganzes Set durchgespielt, und Kurt würde vielleicht gerade mal "Thank you" sagen. NOFX reden dauernd. Wir haben drei Abende mitgeschnitten und waren schockiert: von einer Stunde und 15 Minuten haben wir pro Abend 30 Minuten gelabert. Das unterscheidet NOFX von anderen Bands. Deshalb geht es bei uns sehr um die Persönlichkeiten.
Magst du den Legendenstatus, den du in der Punkszene hast?
Klar, es ist schön, von deinen Kollegen respektiert zu werden. 30 Jahre lang deine Fans glücklich zu machen und dann noch von anderen Bands respektiert zu werden, das ist etwas ganz Besonderes.
Ihr habt ja auch nie zu einem Major-Label gewechselt, obwohl ihr ja bestimmt Angebote hattet.
Ja, es war unsere Entscheidung, als alle unsere Freunde zu Major Labels gingen. Wir haben darüber nachgedacht, und irgendwann wurde mir klar: Wenn wir das auch tun, riskieren wir alles. Warum also nicht so weitermachen und alles selbst machen. Lieber eine lange Karriere, als eine "große" haben, die aber nicht halb so lang andauert. Wir wollten einfach weitermachen. Ich fragte die Band: "Wir sind doch glücklich, oder?". Die Band meinte einhellig: "Ja, wir sind glücklich, wir können davon leben und wir haben eine Menge Spaß. Wieso machen wir nicht genau so weiter, anstatt immer mehr zu wollen?". Damit versauen sich doch die Leute immer ihr Leben: Sie wollen immer mehr und mehr und mehr. Und du realisierst gar nicht: Hey, mehr brauche ich doch gar nicht. Das ist Glück: Das zu haben, was du wirklich brauchst – nicht das, was du willst. Das war gerade ziemlich gut (lacht).
„Punk in Drublic“ höre ich mir nie wieder an!
Ich würde gerne über kurz über eine konkrete Platte von euch sprechen, "Heavy Petting Zoo". Die war für mich damals sehr wichtig.
Ja, echt? Wieso war sie dir so wichtig?
Schwer zu sagen – es war die erste Platte, die ich mir von euch gekauft habe, ich glaube ich war zwölf oder so. Zählt bestimmt zu den Alben, die ich in meinem Leben am meisten gehört habe, damals hatte ich sie ein Jahr auf durchgehender Heavy Rotation und sie hat mir viel bedeutet. "Freedom Lika Shopping Cart" ist noch heute mein Lieblingssong von euch.
Das ist lustig. Es ist die Platte, die am schlechtesten angekommen ist - aber manche Leute hat sie wirklich berührt. Sie ist so verschieden zu dem, was wir sonst machen. Sie ist so traurig. "Freedom Lika Shopping Cart" ist auch einer meiner Lieblingssongs. Wir hatten ein paar Obdachlose, die vor dem Fat Wreck Chords-Büro lebten. Es war nicht so, dass sie verrückt waren oder keinen Ort zum Leben gefunden hätten: Sie wollten einfach nicht so leben, wie das die meisten Leute tun. Einer las die ganze Zeit und hatte dauernd ein anderes Buch in der Hand. Er hat sich nur fürs Lesen und fürs high sein interessiert, er wollte gar nicht arbeiten. Da ist schon eine Menge Freiheit dabei, der Gesellschaft "fuck you" zu sagen.
Wieso magst du die Platte nicht?
Sie klingt irgendwie schräg. Was die Leute nicht wissen und ich damals auch nicht wusste: die Songs waren einfach in einer tieferen Tonart, meine Stimme war viel tiefer, sie klang unaufgeregter. Damals habe ich realisiert, in welchen Tonarten ich schreiben sollte. Ich kann nicht in tiefen Tonarten schreiben, wie zum Beispiel in G. Das wusste ich damals aber nicht. Deswegen klingt diese Platte irgendwie lethargisch.
Was waren denn deiner Meinung nach die besten NOFX-Alben?
"Ribbed" war das Album, bei dem wir unseren Sound fanden. Damals wurden wir bekannt. Bei der "The Longest Line"-EP sang ich zum ersten Mal okay. "Punk In Drublic" war das erste Album, das wirklich groß wurde, unser erster Millionen-Seller. "I Heard They Suck Live!!" war das erste Album, das in die US-Charts kam. Und unsere besten Alben sind "So Long And Thanks For All The Shoes", "The War On Errorism" and "Wolves in Wolves' Clothing". Ich glaube also, unsere besten Platten kamen ein wenig später.
Und das Album, das du am wenigsten magst?
Nun, mit "Heavy Petting Zoo" bin ich am wenigsten glücklich. "S&M Airlines" und "Liberal Animation" höre ich mir auch nie mehr an. Wir waren damals gerade Kids.
Was hältst du heute von "Punk In Drublic"?
Die höre ich mir auch nie im Leben nochmal an (lacht). Jeder möchte die Songs von dem Album hören, und vor Festivals heißt es immer, könnt ihr nicht die ganze "Punk in Drublic"-Platte spielen? Wir mussten die ganzen Songs wieder lernen, und ich kann sie nicht mehr hören.
Und "White Trash, Two Heebs and a Bean"?
Das ist eine nette Platte. Sehr experimentell. "I Wanna Be Your Baby", das ist ein verdammt komischer Song. Was die Leute nie realisieren: Songs wie "Bob" und "Linoleum", Klassiker, haben keine Refrains. Die meisten NOFX-Songs haben keinen Chorus. Das unterscheidet uns von allen Bands. Die Leute merken das gar nicht, vielleicht hast du das auch nie realisiert. Ich glaube, Leute gefällt das so besser. Wenn du einen Song hörst, bei dem der selbe Chorus vier oder fünf mal kommt, hast du den Song vier oder fünf mal schneller satt. Bei "Linoleum" gibt es genau eine Linie (singt). Und jeder wartet auf diesen Part. Du hörst dir Alben länger an. Daran habe ich früher nie gedacht, ich habe das nie absichtlich gemacht. Ich dachte, dass Refrains einfach der einfachste Ausweg sind. Ich wollte immer die ganze Geschichte erzählen. Aber wir haben ja bei manchen Stücken Refrains - aber sogar dann kommen die nur zwei mal.
Letzte Frage: Was ist dann da bei euch in den USA mit Trump los, Alter.
Es ist ein Witz. Der schlimmste, schlechteste Witz, den es jemals gab. Er ist der faschistischste, rassistischste Kandidat, den wir je hatten. Sogar seine eigene Partei wünscht, sie wäre ihn los. Wenn nicht etwas wirklich gehörig schief geht, kann Hillary nicht verlieren. Sie ist ein 80-Prozent-Favorit. Er ist schlimmer als George Bush, und das ist eigentlich unmöglich. Ich bin aber optimistisch.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Ist Korinthenkackerei aber: "wie immer auf Fat Wreck"? NoFX waren jahrelang bei Epitaph und sind erst relativ spät - mit The War on Errorism - zu Fat Wreck rüber gewechselt
Oh und das Album heißt "Ribbed", nicht Ripped
Autsch, sorry – du hast in beiden Belangen natürlich völlig recht. Danke für den Hinweis.
Dafür nicht, das Interview ist klasse!