laut.de-Kritik
Aberwitz und Medizin von Chicagos größtem Talent seit Kanye.
Review von Yannik GölzFatimah Warner ist der zum Leben erweckte Sommernachtstraum der amerikanischen Musikpresse. Sie äußert sich politisch, ohne auf Phrasen und Slogans zurück zu fallen, lyrisch schwingt sie die Rückhand einer erfahrenen Poetry-Slammerin, musikalisch schöpft sie aus den Vollen ihrer musikalischen Vordenker aus Jazz, Blues und Gospel und bewahrt dabei das Kantige moderner Musik.
Als wäre das nicht genug, um sie zu einem goldummantelten, Thinkpiece-provozierenden Angelhaken des Kritiker-Baits zu machen, haut sie dann auf dem Opener "Self" auch noch Sachen wie "My pussy teaching ninth-grade English / My pussy wrote a thesis on colonialism" raus. "Room 25" klingt wie Musik, die im Labor designt wurde, um auf einem intellektuellen Level zu gefallen.
All das sind eigentlich Indikatoren für ein Album, das einen Hördurchgang lang beeindruckt, bevor es dann für immer im Regal Staub ansetzt. "Room 25" wird das sicherlich nicht. Noname wird Erwartung und Vorschusslorbeeren auf dieser Platte eindrucksvoll gerecht, aber nicht, indem sie "das Album liefert, das Hip Hop gerade braucht". Wahrscheinlich führt der Versuch, sie in irgendeine Oldschool-Newschool-Debatte einzuordnen, am ehesten dazu, den Punkt dieses Tapes frontal zu verfehlen.
"Room 25" überzeugt nicht nur, weil es auf Throwback-Jazz-Produktion setzt, nicht einmal nur, weil die Texte intellektuell vielschichtig und facettenreich aufgebaut sind. Die faszinierendste Stärke dieses Albums ist der Raum, den es öffnet. Ein Raum, der zwischen Melancholie und einem zynischen Humor die Lebensrealität von verlorenen Mittzwanzigern in ein so aufrichtig warmes und lebensbejahendes Menschenbild einbettet, so dass sich die Erfahrung der Welt durch ihre Linse erholsam, fast heilend anfühlt.
Dabei thematisiert sie auf Nummern wie "Don't Forget About Me" oder "With You" bleischwere Inhalte wie die Chemotherapie ihrer Mutter, Neokolonialismus, Kulturpessimismus oder eine immer schwelende Einsamkeit. Die Magie von "Room 25" liegt in der Positivität, die sich über die Verdrängung hinweggesetzt hat. In einem Fader-Interview berichtete Noname kürzlich, große Teile der Platte seien im Hinterzimmer eines Comedy-Clubs in Los Angeles entstanden. Die Präsenz des Humors kristallisiert sich als Keimzelle ihres Umgangs mit ihrer Lebenserfahrung heraus, und das zeigt sich schon in den kleinsten Momenten.
Wenn sie zum Beispiel auf dem Intro veraltete Frauenbilder ihrer Berufskollegen mit einem einzelnen "Y'all really thought a bitch can't rap?" abfertigt, ist es nicht der Inhalt oder die Formulierung der Zeile, sondern allein die federleichte Delivery, die sie über die Realität des Problems ermächtigt. Leichtigkeit ist ihrs, zum Beispiel auch in der sehr persönlichen Auseinandersetzung mit Liebe und Sexualität auf Songs wie "Window".
Dieser Raum entsteht aber nicht nur inhaltlich und stimmlich, sondern wird auch musikalisch perfekt getroffen. Von den cineastischen String-Arrangements auf "Window" über den frei fließenden Piano-Jazz auf "Montego Bae", der fast ein bisschen nach "Birth Of Cool"-Ära Miles Davis klingt, bis hin zum psychedelischen Key- und Synth-Treiben auf "Regal".
Produzent Phoelix und ein independent gestemmtes Orchester mit zwölf Köpfen haben ganze Arbeit geleistet, Noname eine Kulisse zu liefern, die gleichzeitig reich, lebhaft und opulent klingt, aber doch galant und zurückhaltend genug agiert, um mit dem sanften Ton der Protagonisten angemessen Schritt zu halten.
Die zeigt hier auch flowlich, was es heißt, zur goldenen Generation Chicagos zu gehören. Auch wenn er immer noch als großer Einfluss durchschimmert, sind ihre Vocal-Performances technisch nun emanzipierter von einem Chance The Rapper und weichen öfter in einen beschwingten Zynismus und agile Up-Tempo-Passagen aus. Pattern wie auf "Blaxploitation" überzeugen nicht nur mit ihrer technischen Finesse, sondern allen voran mit Nonames beeindruckender Intuition, musikalische Entscheidungen passend zum Songkontext zu treffen.
Apropos Chicago: Ein bisschen Pfeffer für die Tracklist gibt es dazu in Form der Feature-Auswahl. Statt inzwischen zweifelsohne verfügbaren A-Listern greift sie auf ihre Untergrund-Kumpels aus Chicago zurück, die auch prompt beweisen, warum die Stadt derzeit eine der vielversprechendsten Newcomer-Pools der Welt besitzt. Saba verdreht auf "Ace" Köpfe (hört übrigens "Care For Me" von ihm an!), Benjamin Earl Turner ergänzt die Textur von "Part Of Me" durch virtuosen Stimmeinsatz, Smino, Adam Ness und Ravyn Lenae ergänzen Soul- und Gospelgesang.
Da steckt Wortwitz und Aberwitz in diesem Projekt, das sich im aktuellen politischen Klima wie ein Balsam anfühlt. Die Unterschwelligkeit, die Lebhaftigkeit, das positive Menschenbild im Anbetracht der Katastrophe sind Eigenschaften, die das Fehlen von Bombast oder Megalomanie mehr als sinnvoll rechtfertigen. "Room 25" knüpft nicht nur an das fabelhafte "Telephone" an, sondern fügt dem in Sachen Intimität und Detail sogar noch mal etwas hinzu. Die konzeptuelle Dichte und handwerkliche Durchschlagskraft sind zusätzlich zu Nonames Humor und Charisma mehr als genug Gründe, diesem Juwel von einem Album auch als Nicht-Fan von Jazz-Rap eine Chance zu geben.
5 Kommentare
Hammer 6/5
endlich mal wieder ein richtig gutes hiphop album.
Von der Rezension angefixt habe ich mir das Mal gegeben. Leider, denn musikalisch ist super und auch der Gesang überzeugt mich, werden die rap parts ihrer Bezeichnung nicht gerecht. Klingt für mich eher wie poetry slam (Hab's nur nebenbei und zur Hälfte gehört, vielleicht gibt's ne zweite Chance, bei der ich mich damit anfreunden kann).
Gibt es „schönen“ Hiphop? Hier ist er: Kein Trap, kein Gangsta Rap, sondern Oldschool, mit Samples, coolen Beats, Jazz-Attitude – retro und doch ganz aktuell (https://www.peter-hamburger.de/blog/2018/0…)
Selten einen so fortgeschrittenen Flow gehört, der trotzdem derart behindert klingt.