laut.de-Kritik
Less Prog, more Rock.
Review von Matthias MantheUnwissenheit ist eine Gnade. Und das erste Mal immer das Schönste. Wenn dich die Musik unerwartet packt und nicht wieder los lässt. Dieser erhabene Moment, in dem fremde, gleichzeitig unmittelbare Melodien aus den Lautsprechern quellen, von dir Besitz ergreifen, sich tief in der Brust einnisten. "Effloresce" berührte mich wie kaum eine Platte zuvor. Die andere Seite der Medaille: Konservatismus und ein Bollwerk aus fast unerfüllbaren Erwartungen an den Nachfolger. Noch einmal unvoreingenommen sein …
Oceansize ging es ähnlich. Die Band litt unter dem selbst auferlegten Druck, ein im Grunde perfektes Album überbieten zu wollen. Irgendwann muss der Kreativknoten aber geplatzt sein. Man fand im Politischen ein übergeordnetes Konzept und schuf unter der Regie von Dan Austin (The Cooper Temple Clause) zehn autarke Progrock-Monolithen. Weckte die groovelastige Vorabsingle "Heaven Alive" noch Konsensbefürchtungen, offenbart "Every Into Position" mit jedem Hördurchgang mehr vor allem eine Veränderung: Oceansize haben an der Dynamikschraube gedreht und verzichten stellenweise komplett auf den Äther.
So schließt das zornig rockende "A Homage To A Shame" nahtlos an das bis dato unerreicht laute "One Out Of None" von der letztjährigen EP "Music For Nurses" an. Analog dazu steht die Ballade "Music For A Nurse", hier trifft streichergestützte Elegie auf schwellende Slidegitarren. Leider misslingt diese Zusammenführung gründlich: Der Track beginnt vielversprechend, mündet jedoch in ein Meer aus ziellosen Resonanzen und bringt die Gewissheit, dass die fünf Briten auch schlechte Songs schreiben können. "Meredith" zählt aber definitiv nicht dazu. Die Schwebenummer kupfert unverhohlen bei A Perfect Circles "Vanishing" ab und gibt sich mächtig entrückt, was nicht zuletzt dem liberalen Umgang mit chemischen Substanzen geschuldet sein dürfte.
Wie schon auf dem Debüt bildet auch diesmal eine Song-Triole den Album-Abschluss. Die "church suite" genannte Mini-Oper hüllt erst in Sample-Samt, bevor "You Can't Keep A Bad Man Down" fatalistische Endzeitszenarien im Stadionformat bastelt. Ein shoegazender Orkan aus Verzerrern, in Sachen Abrissbirne unerreicht. Das dramaturgisch intensivste Stück der Platte ist gleichwohl "Ornament/The Last Wrongs": Minutenlang zelebrieren einsame Gitarrentupfer eschatologische Apathie. Dann drücken Oceansize auf den Drive-Schalter am Verstärker, während ein sakraler Chor Luft holt für den finalen Abgesang. Nur die Kirchenorgel bleibt. Und lässt mich trotz des beeindruckenden Schlusses etwas ratlos zurück.
Denn die berauschende Atmosphäre, die "Effloresce" seinerzeit epochalen Charakter verlieh, ist nicht länger omnipräsent. Die Songs geraten äußerst kurzweilig, enthalten aber insgesamt weniger Ideen und bilden kein organisches Ganzes mehr. Laut und Leise stehen unverwandt nebeneinander, was das Eintauchen in die Musik erschwert. Konservatismus? Vielleicht. Trotzdem scheint "Everyone Into Position" zwischen den Stühlen zu sitzen: Die Prog-Wurzeln schimmern unverkennbar durch das Rock-Dickicht, werden aber zunehmend überwuchert. Eine Übergangsplatte.
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