laut.de-Kritik

Der Isländer verabschiedet sich vom Schönklang früherer Tage.

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Der isländische Komponist und Multiinstrumentalist Ólafur Arnalds zählt mittlerweile zur Speerspitze der zeitgenössischen Klassik. Er kooperierte in der Vergangenheit unter anderem mit Nils Frahm. Seine Musik hörte man in vielen Hollywood-Filmen wie "Hunger Games", "Looper" oder "Gimme Shelter". Auf "re:member" präsentiert sich der 31-Jährige innovativer denn je.

Gemeinsam mit Halldór Eldjárn programmierte er mit 'Stratus' eine eigene Audio-Software für das Album. Mit dem Programm, das aus zwei selbst spielenden Klavieren besteht, angetrieben durch ein zentrales, von Ólafur eigenhändig angeschlagenes Piano, entstehen Sequenzen, die harmonische und melodische Prinzipien in der Klassik überwinden. Während des Aufnahmeprozesses in den Londoner Air Studios griff der Komponist zusätzlich auf ein Streichquartett, Synthesizer, elektronische Loops, Live-Drums und ein Streichorchester zurück. Dadurch gewinnt die Scheibe eine besondere Eigendynamik.

Das anfängliche Titelstück beginnt zunächst mit wenigen, sparsamen Klavierakkorden und melodramatischen Streichern. Anschließend geht es, bedingt durch das Wechselspiel elektronischer und organischer Komponenten, in eine tänzerische Phase über, um schließlich in einer euphorischen Coda zu münden. Kompositorisch unterscheidet es sich demzufolge nicht grundlegend vom eingängigen Post-Rock-Schema, das man von Arnalds' früheren Nummern zu Genüge kennt.

Mehr Mut zum Experiment beweist er im Anschluss mit "unfold", das sich ständig wiederholende Streicher- und Piano-Sequenzen im Stile der Minimal-Music von Steve Reich durchziehen. Zum Schluss bricht das Stück mit dem entrückten Falsett von Sohn in himmlische Sphären auf. Letztendlich also eine berauschende Zusammenführung von Klassik und Pop. Demgegenüber zeigt sich der Isländer in "saman" an seinem Piano mit dezent angeschlagenen Akkorden von seiner melancholischen, zurückgenommenen Seite. Es folgt mit "brot" eine schwermütiges Streicherthema, das nach einem Drehbuch verlangt.

Im weiteren Verlauf der Platte wechseln sich treibende ("inconsist") und ruhige ("they sink", "momentary") Nummern ab. In der Summe ergibt sich ein mitreißender Klangstrudel verschiedenster Stimmungen. An vielen Stellen erweitert der Komponist seine Musik um gelungene rhythmische Feinheiten. Diese stellen insgesamt den größten Reiz des Albums dar.

Dementsprechend gehen in "partial" technoide Loops und auf- und abebbende Streichercrescendos eine aufregende Symbiose ein. In "undir" umkreisen sich polyrhythmische Beats und repetitive Klavierfiguren gegenseitig, ohne dass man als Hörer eine geordnete musikalische Struktur vermisst.

Trotz seines sprudelnden Einfallsreichtums gestaltet der Isländer seine Kompositionen stets nachvollziehbar und baut sie mit Behutsamkeit auf. Nur die sich nach oben schraubende, kreisende Minimal-Music-Motivik in "ekki hugsa" verdeutlicht die Hektik des modernen Lebens. Die Parallelen zu "The Grid", dem Kernstück von Philip Glass' Meilenstein "Koyaanisqatsi", lassen sich kaum verleugnen.

Im Großen und Ganzen verabschiedet sich Ólafur Arnalds mit "re:member" vom Schönklang früherer Tage und offenbart dadurch eine größere stilistische Bandbreite. Die Grenzen zwischen E- und U-Musik verlaufen auf dem Werk daher nahezu fließend. Sowohl aufgeschlossene Klassik- als auch Pop-Hörer dürften sich auf das Album gleichermaßen einigen können.

Trackliste

  1. 1. re:member
  2. 2. unfold
  3. 3. saman
  4. 4. brot
  5. 5. inconsist
  6. 6. they sink
  7. 7. ypsilon
  8. 8. partial
  9. 9. momentary
  10. 10. undir
  11. 11. ekki hugsa
  12. 12. nyepi

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4 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Uuuhhh, gar nicht mitbekommen, dass der was neues bringt. Klingt interessant - wird reingehört.

  • Vor 6 Jahren

    Ólafur Arnalds schätze ich sehr, bereits seit seiner Zusammenarbeit mit Nils Frahm. Und das, was in den Video Tubes zu hören ist, gefällt schon mal gut …

  • Vor 6 Jahren

    Ich mag ihn auch sehr, aber ich finde es schon etwas schade dass er sich letztendlich immer mehr breiteren Massen öffnet. Mir ist das mittlerweile ne spur zu poppig.

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      Und zeitgenössische Klassik? Doch eher klassisch inspirierter Piano pop

    • Vor 6 Jahren

      Sehe es genau anders herum, dass mir seine früheren Sachen zum Teil zu voraussehbar klangen. Da gestaltet sich doch :re:member: auf der strukturellen und rhythmischen Ebene um Einiges spannender, wobei die Songs an sich immer noch recht nachvollziehbar und sicherlich auch durchaus poppig sind. Aber vielleicht führt das ja gerade ein jüngeres Publikum an Minimal Music usw. heran.

    • Vor 6 Jahren

      Ich finde die neuen Sachen ja auch nicht schlecht, aber ich brauche keine Künstler die mich mich an diese Musik 'heranführen'. Ich finde auf der Strukturellen Ebene hat er seine Songs eher simplifiziert. Ich fand ihn auf der Schwelle zur Klassik oder Kammermusik eigentlich immer sehr spannend, damit hat das mMn nicht mehr so viel zu tun, auch wenn das in der Kritik noch liebend gerne so genannt wird.
      Aber diesen Weg sehe ich leider nicht nur bei ihm, auch lambert geht den Weg leider mittlerweile etwas Weg vom klassichen Piano, obwohl mittlerweile immer noch im mMn interesanteren Gewand; Witzigerweise habe ich den ausgerechnet als Support von Arnalds kennen gelernt, mittlerweile gefällt er mir jedoch eindeutig noch besser.

    • Vor 6 Jahren

      Aber das trifft eigentlich nicht speziell auf dieses Album zu, das fing mit "For Now I Am Winter" an, da gefiel es mir als Stilmittel, aber leider hat er den Pfad seitdem beibehalten, bzw. ausgebaut, Schritt für Schritt näher zum den Pop

  • Vor 6 Jahren

    Mozart war ein Wunderkind. Was hier zu bewundern ist, ist eher die Kaltschnäuzigkeit, mit der Arnalds sein Ding durchzieht. Noch funktioniert es, wenn er aber noch mehr weglässt und und die Handvoll Harmonien, die einen Arnalds draus machen weiter bedient, wirds doch langsam langweilig.