laut.de-Kritik
Die Briten bleiben trotz aller Nostalgie am Puls der Zeit.
Review von Toni HennigOrbital, bestehend aus den beiden Brüdern Paul und Phil Hartnoll, haben mit Hits wie "Chime" oder "Satan" die erste Techno-Welle zu Beginn der 90er-Jahre maßgeblich geprägt und mit konzeptionellen Alben wie "The Brown Album" oder "In Sides" in der Mitte des selben Jahrzehnts ihren kreativen Höhepunkt erreicht. Seitdem hat sich das Duo mehrfach getrennt und wieder für Livekonzerte und Studioalben zusammengerauft.
2018 erschien mit "Monsters Exist" der letzte Longplayer der Briten. Vor einem Jahr holten die Brüder mit der Compilation "30 Something", die Überarbeitungen, Remakes, Remixe und Neuinterpretationen der wichtigsten Orbital-Tracks sowie ein neues Stück enthielt, ihr 30-jähriges Jubiläum nach, das sie aufgrund der Corona-Pandemie verpasst hatten. Nun folgt mit "Optical Delusion" Studioalbum Nummer zehn mit vielen bekannten Gästen.
"Ringa Ringa (The Old Pandemic Folk Song)", das um den Refrain von "Ring O'Roses", dem ursprünglichen Pandemiesong aus dem Mittelalter, herum gebaut ist, leitet mit treibenden Dancefloor-Klängen, Breakbeats und engelsgleichen Vocals der Mediæval Bæbes die Scheibe so ein, wie man das Duo am besten kennt. "Day One" macht mit treibenden Rhythmen, verspielten Melodien und der ätherischen Stimme Dina Ipavics unmissverständlich klar, wohin die Richtung dieses Mal gehen soll: Nämlich geradeaus.
In "Are You Alive?" mischt sich durch die melodischen Gesangslinien von Lily Wolter von der Brightoner Band Penelope Isles noch ein wenig Pop in den Sound. Dabei sorgen die Gebrüder Hartnoll mit einer stetig ansteigenden Spannungskurve und abwechslungsreichen Arrangements dafür, dass im Laufe der rund acht Minuten Langeweile ein Fremdwort bleibt.
"You Are The Frequency", das zusammen mit The Little Pest entstand, besitzt dagegen mehr Experimentierfreude, wenn wuchtige Bässe, Vocoderspielereien, housige Pianolines und Electroeinflüsse aufeinanderprallen. Jedoch bremsen diese ambitionierten und basslastigen Momente den musikalischen Fluss unnötig aus, wie man gegen Ende hin auch in "What A Surprise" feststellen muss, auf dem man ebenfalls The Little Pest hört. Dafür laden die vergnügten Rhythmen und nostalgischen Breakbeats in "The New Abnormal" dazu ein, sich den Pandemiefrust von der Seele zu tanzen.
Dass die Briten trotz aller Nostalgie am Puls der Zeit bleiben, hört man vor allem in der Mitte am deutlichsten heraus. Dabei schafft Anna B Savage in "Home" mit ihrem wehmütigen Gesang einen schönen Bruch zur eher technoiden Ausrichtung des Tracks, und Jason Williamson von Sleaford Mods bekundet in "Dirty Rat" lautstark seinen Unmut über den idiotischen Zeitgeist, der die Briten fest im Griff zu haben scheint. Was übrigens aufgrund des mitreißenden Refrains hervorragend funktioniert.
Danach nimmt das Duo in "Requiem For The Pre-Apocalypse" eine Abfahrt in düstere Drum'n'Bass-Gefilde, spielt aber gegen Mitte auch seine ruhigen Qualitäten aus. "Moon Princess" sorgt mit schiebenden Bässen und mystischen Vocals Coppes für einen muskulösen Abschluss.
Letzten Endes gelingt den Briten ein Album, das wie ein Querschnitt aus sämtlichen Schaffensperioden anmutet, dabei aber keineswegs vorgestrig klingt. So darf es gerne weitergehen.
3 Kommentare
Dirty Rat ist ein richtig geiler Song
Brighton im Winter ist scheiße. Musik aus Brighton im Winter natürlich auch.
British House Music, wie ich sie mag!