laut.de-Kritik

Die Wiederentdeckung der Kraft des Riffs.

Review von

Wer nach Bands mit einer spannenden musikalischen Historie sucht, stößt früher oder später auf Paradise Lost. Was haben die für stilistische Veränderungen hinter sich! Von den frühen Death-Doom-Songs hin zur Quasi-Erfindung des Genres Gothic Metal über poppige Gefilde und fast zurück an den Anfang: eine bemerkenswerte Reise, und nie drängte sich der Eindruck auf, die Musiker um Gitarrist und Hauptsongwriter Greg Mackintosh machten das nur, um sich kommerziell anzubiedern. Man muss den Hut vor Paradise Lost ziehen, denn trotz all der Veränderungen stellt die Band weiterhin einen verlässlichen Anker in der Metalwelt dar. Wenn jemand sein Ding durchzieht, dann diese fünf Herren.

Diese Selbstsicherheit zeigt sich gleich im ersten Song. Mit "Fearless Sky" tischen die nordenglischen Mannen einen epochalen Brecher auf, achteinhalb Minuten lang und von schleppender Langsamkeit, die seit den Tagen von "Shades Of God" nicht mehr gehört ward. Dazu growlt und röchelt sich Nick Holmes durch wie immer kryptische Texte, dass man glaubt, 1992 sei erst gestern gewesen.

Er kann es auch endlich wieder! Klangen seine Versuche, den alten Vocal-Stil zu entstauben und neu ins Soundgefüge zu integrieren, auf "The Plague Within" noch etwas bemüht, tönt der gute Mann nun deutlich verbessert und so, als habe er einen Mordsspaß bei den Aufnahmen gehabt. Die fanden übrigens mit der klaren Zielvorgabe statt, mehr Songs wie "Beneath Broken Earth" vom Vorgängeralbum zu schreiben.

Solcherlei Vorhaben gehen oftmals in die Hose, aber "Medusa" klingt wie aus einem Guss: metallisch, schwer, düster und meist laaaaangsam. Öfter als früher setzen die Musiker aus der Grafschaft Yorkshire zwar auf Tempowechsel, aber das Album fühlt sich dennoch durchgehend doomig an. "From The Gallows" beispielsweise beschleunigt immer wieder, doch letztlich bleiben wir von der flotten Geschwindigkeit einiger "Symbol Of Life"-Songs anno dazumal meist etliche Lichtjahre entfernt.

Die Texte sorgen ebenfalls für Vergnügen und gute Laune: "Born into life / glory in death / upon the gallows you swing / timeless the end." Darauf ein leckeres Glas Lava! Aber, da schau her: Ganz hinten versteckt sich "Blood And Chaos" und drückt das Gaspedal für Paradise-Lost-Verhältnisse enorm durch.

Melodischer Gesang findet auf "Medusa" zwar auch statt, aber so viel Gegrowle wie auf der neuen Platte liefern die Engländer zum ersten Mal seit 25 Jahren. Als Song mit einem relativ hohen Anteil cleaner Vocals geht "The Longest Winter" ins Rennen, gefolgt von "Medusa". Da Paradise Lost die Kraft des Riffs wiederentdeckt haben, verwenden sie auf dem mittlerweile fünfzehnten Album so wenige Keyboards wie seit den mittleren 90ern nicht mehr.

Ein Beginn wie der des Titelsongs mit einer memorablen Klaviermelodie springt daher sofort ins Ohr, ebenso wie der ohrenschmeichelnde Refrain. Ich vermisse diese poppige Seite bei den letzten Alben etwas. Andererseits kann man aber auch nicht behaupten, dass die erneute Hinwendung der fünf Musiker zu ihren Anfängen eine schlechte Idee sei, wenn das Ergebnis so überzeugend ausfällt.

Über all der neu gewonnen Härte liegt in jedem Song ein Trademark der Band, das sich vermutlich niemals ändern wird: Greg Mackintoshs Gitarre singt wie eh und je, der Mann drückt jedem Stück seinen unverkennbaren Stempel auf. Wer die härtere Seite der Band mag, kann bei "Medusa" bedenkenlos zugreifen. Alle anderen sollten es auch tun. Paradise Lost präsentieren ein trotz doomiger Grundausrichtung abwechslungsreiches und spannendes Album mit einer Menge Feuer im Rohr.

Trackliste

  1. 1. Fearless Sky
  2. 2. Gods Of Ancient
  3. 3. From The Gallows
  4. 4. The Longest Winter
  5. 5. Medusa
  6. 6. No Passage For The Dead
  7. 7. Blood And Chaos
  8. 8. Until The Grave

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Paradise Lost

Als Death Metal Ende der 80er, Anfang der 90er kräftig rollt, geht es den meisten Bands darum, als so schnell und brutal wie möglich dazustehen. Ein …

3 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    ich werde mal reinhören...mache mich aber mental bereit, den PL-tourbus mit steinen zu bewerfen. Gibt es eigentlich auch Frauengesang auf dem Album? Alter, Keyboard und Frauengesang....

    • Vor 6 Jahren

      Ich überlege, wann die zum letzten Mal weiblichen Gesang mit dabei hatten. Auf den letzten paar Alben nicht mehr. Vielleicht so rund um "Host"? Wäre auch dem Bauch mein Tipp.

    • Vor 6 Jahren

      aber ohne female vocals komme ich nicht in gothic stimmung :(

      leider haben CoF auf ihrem, geleakten und bald erscheinendem, neuen teil auch recht wenig frauengesang :( :frapp: :cry:

    • Vor 6 Jahren

      Christendom von der Icon hatte Frauengesang.

    • Vor 6 Jahren

      es ist ein gutes album! Und verglichen mit dem, was PL bereits abgeliefert haben oder wenn jetzt eine völlige n00b band exakt dieses album abgeliefert hätte, wär ich auch näher an eurer euphorie... aber ich WILL frauengesang/gestöhne zu meinem melo BM und zu meinem DOOM/death :mad: :kmapf:

  • Vor 6 Jahren

    Starkes Album und Jaime Gomez Arellano ist der Produzent der Stunde. Was ein unfassbar drückender, erdiger und kantiger Sound - großartig!

  • Vor 6 Jahren

    Wunderbar! Endlich wieder schleppender Doom für alte Säcke wie mich, die mit den Big Three My Dying Bride, Anathema und Paradise Lost vor über 25 Jahren zum Metal fanden... Und Mackintosh's Gitarre ist nach wie vor unverkennbar. Das Songs wie "the longest winter" mich etwas stark an Bands wie A Pale Horse Named Deadh oder sogar Type0negative erinnern, ist da auch nicht zu bemäkeln.
    Zum vollkommenen Glück fehlt jetzt nur noch eine Rückbesinnung der Kollegen von Anathema auf alte Qualitäten...