laut.de-Kritik
Trevor Horn zieht seinen Boys die Hosen runter.
Review von Michael SchuhAm Anfang war Kraftwerk. Das wissen natürlich auch die Pet Shop Boys und rufen die Düsseldorfer Pioniere zu Beginn ihres neuen Albums in einem betont reduzierten Electronic-Rocker in Erinnerung, den man in der Form höchstens von ihrem letzten "Disco"-Abenteuer kennt. Ein vakuumverpackter Eisfach-Groove und eine einsam schwebende Synthie-Line der Marke Kling Klang stellen den dunkelsten Opener, den die Briten je austüftelten. Auf den Alter Ego-Remix bin ich jetzt schon gespannt!
Monoton und unnachgiebig rotiert der Bass, passend zu Neil Tennants roboterähnlich ausgeführter Analyse des menschlichen Unterbewusstseins. Eine Reminiszenz an den jüngst gefeierten 150. Geburtstag Sigmund Freuds? Warum nicht, und eventuell auch ein Querverweis auf den zu Freuds Lebzeiten florierenden Terminus "Psychological" als Codewort für Homosexualität ("You've got a problem with the reason why / An asymmetric haircut and a painted eye / it's psychological"). Da ist er wieder, der feinsinnige Texter Neil Tennant, der an späterer Stelle aber auch Manns genug sein wird, erstmals das Wort "erection" in einen Songtext einzubauen.
Doch Moment, "Fundamental" ist doch das erste PSB-Album mit Bombast-Produzent Trevor Horn. Wie passt der "Psychological"-Sound denn bitte mit dem Hohepriester des Orchester-Arrangements zusammen? Die Antwort gibt das folgende "The Sodom And Gomorrah Show", eine Mischung aus "Where The Streets Have No Name" und "Yesterday When I Was Mad": massiv euphorischer Dance-Pop, wie ihn nach wie vor nur die Boys zustande kriegen. Die filigranen Gitarrenspuren eines Johnny Marr vom letzten Album darf man hier gerne mit der Lupe suchen. Willkommen zurück, Mister Horn.
Wobei die Annahme, die Briten hätten ein hoffnungslos rückwärts gewandtes Album aufgenommen, ins Leere zielt. Ähnlich wie kürzlich Depeche Mode, halten Neil Tennant und Chris Lowe auf "Fundamental" inne, gestatten sich einen Blick zurück und lassen alte Trademarks mit lässiger Geste hier und da in neuem Soundgewand aufblitzen. Die Qualität des Songwritings hält dabei das hohe Level vom Vorgänger "Release".
Klar, dass auch das Album-Highlight "Minimal" mit ebendiesem Soundkostüm bekleidet wurde, worüber Tennant übrigens erstmals seit dem "Shopping"-Refrain von 1987 wieder die Buchstaben des Songtitels runterzählt. Die einfachsten Ideen sind schließlich meist die wirkungsvollsten. Die scheppernden Soundvorlieben des Frankie Goes To Hollywood-Produzenten Horn darf man dagegen dem pompösen Orchesterbeginn der Ballade "Numb" entnehmen, der nicht übermäßig begeisternden Single "I'm With Stupid" und "Integral", der neuen Pet Shop Boys-Stadionhymne.
Beide Songs greifen mit ungewohnt deutlichen Worten ins politische Geschehen ein: "I'm With Stupid" handelt vordergründig von einer Liebesbeziehung, funktioniert aber hervorragend als Persiflage auf das Verhältnis der Kriegstreiber George W. Bush und Tony Blair ("It's not about sincerity / everybody knows"). "Integral" richtet sich gegen den autoritären Staat, der zum Beispiel in Gestalt von Großbritannien aus Angst vor terroristischen Übergriffen eine verbindliche Einführung von Personalausweisen durchgesetzt hat. Tennant und Lowe sehen in der Freiheitsberaubung des Bürgers allerdings die falsche Schlussfolgerung in dieser Frage und lassen Blairs heuchlerischen Kommentar in ihrem Refrain weiterleben: "If you've done nothing wrong, you have nothing to fear."
Nach dem eher introvertierten Vorgänger von 2002 lässt "Fundamental" nicht zuletzt dank Trevor Horn wieder die Hosen runter, und dort schimmern bei den Boys eben seit 1985 rosa glitzernde Discoshorts bzw. eine rosafarbene CD. Für die besinnlichen Minuten des Lebens schenkt uns das Duo mit "I Made My Excuses And Left" und "Casanova In Hell" obendrein die vielleicht schönsten Balladen seit "Love Comes Quickly". Hinzu gesellen sich Zeilen, über die es sich durchaus mal bei einer guten Flasche Rotwein in Ruhe nachdenken lässt: "Sometimes the solution is worse than the problem" oder auch "Is stupid really stupid or a different kind of smart?" In dieser Verfassung spielen Tennant und Lowe weiter in einer eigenen Liga und verteidigen den Pop-Pott vor jungen und naseweisen Auftsteigern. "I hope the music plays forever", hieß es mal auf einer anderen PSB/Horn-Single. Hell yeah!
1 Kommentar
Hm.. neee, trevor hat's verkackt!
Es hätte so ein schönes album werden können, hätten die jungs sich auf sich selbst verlassen bzw. den guten alten pete (gleadall) rangelassen.
Trevor ist ein großer name. Aber er ist stehen geblieben in den 80ern.
Was soll der sound bitte 2006? Wenn schon, dann anfang 2000, als die ganz 80s revival dinger "in" waren. Die pet shop boys und das timing - leider nicht immer das beste..
Eigentlich sind fast alle songs recht gut auf "fundamental". Aber die produktion. So eine kacke. total angestaubte 80s sounds. Gerade in dem an sich guten song "i'm with stupid". zum heulen. das beschissene 80er-plastiktrompetengequietsche am anfang und die fürchterlichen drums - noch dünner als neils stimme, wenn sie nicht gedoppelt ist.
dann das geile "sodom.." genau so ein scheiß dünner 80s sound (drums). "minimal" - das selbe.
ABER ganz am schluß auf einmal "integral" im 90er eurodance mr. vain und co. sound??
WAS soll das? 80er, 90er und das beste von heute? oder doch ein balladen album? NEIN danke trevor. schöne kacke.
da kann ich verstehen, daß jüngere leute sowas nich gerade hip finden. zu dem zeitpunkt wär ich wohl auch kein fan mehr geworden.. die pet shop boys waren mal so tonangebend und modern mit very und dann sowas.
und das tracklisting - was ne katastrophe. sie hätten das ursprüngliche behalten sollen (mal googeln). damit hätten sie noch was rausgerissen. aber so.. und die dämlichen 2 einhalb minuten s-bahn geräusche am anfang des recht schönen "excuses..." - dem 3. track! muß man da solche extravaganten experimente machen?
und mal wieder - pet shop boys und die single auswahl. bekloppte prüde (wg. sodom..) plattenfirma. "sodom...", "integral" und als balade "indefinite leave.." DAS wärs gewesen. alles typische pet shop boys songs... aber is ja nich das erste mal, nach granaten wie "before", "home and dry", "did you see.."
schwierig, schwierig. "fundamental" hat sehr schöne songs im sehr häßlichen gewandt.
"fundamental" ist vielleicht ein hübsche junge frau in stinkigen oma-klamotten aus dem miefigen 50er jahre kleiderschrank, falschrum angezogen. ja, so kann man's beschreiben.
gruß!
ernstmosch