laut.de-Kritik

Das bislang beste Live-Album des früheren Genesis-Sängers.

Review von

Peter Gabriel hat eine Reihe von Meilensteinen abgeliefert. Sein kommerziell größter Erfolg "So" (1986) ist hier nun erstmals der Hauptdarsteller von Tour und Gig. Ähnlich wie Bowie, der vor einigen Jahren das komplette "Low" live spielte, zelebriert der ehemalige Genesis-Sänger sein Kleinod auf "Back To Front" im angemessenen Rahmen von Londons O2 Arena. Heraus kommt die möglicherweise beste Live-Platte seiner Karriere.

Gabriels Stärken liegen in seinem Sinn für Überraschungen, dem perfekten Händchen bei der Musikerauswahl und seiner zeitlebens zwischen Euphorie und Depression pendelnden Persönlichkeit. Hier steht kein Rockopa auf der Bühne, der ranzige Popträume der Eighties zum untoten Leben erweckt. Stattdessen sitzt man inmitten von Gabriels mitternächtlichem Garten von Gut und Böse und erliegt der Faszination dieses ganz und gar andersartigen Entertainers.

Ein paar neue Stücke, ein paar frühe Solosachen, Hits und mittenmang das komplette "So"-Album. Doch ist es bei Gabriel mindestens genau so wichtig, wie er die Reihenfolge und Arrangements bestimmt, um Stimmungen zu kreieren. Waren die Solokonzerte bis 1982 noch wahre Depri-Orgien und seine Spätachtzigerphase gelegentlich mit Schnickschnack etwas bunt überladen: Jetzt vereint er endlich beide widerstreitenden Herzen miteinander. Wie ein Januskopf gibt Gabriel abwechselnd den melancholischen Schamanen und den abfeiernden Rockstar. "Back To Front" verbindet alles frühere zu einem großen, komplexen Gefühl.

Ein gutes Stück davon verdankt er Band und Lightshow. Letztere meist im strengen Schwarzweiß-Kontrast, in dessen Gewitter sich einzelne Farben schleichen, die wahlweise Text oder Klang unterstreichen. In den Partylöwenmomenten "Sledgehammer", "Solisbury Hill", "Big Time") erhellt sich das Bild dann punktuell zum farbenfrohen Happening. Die Mitstreiter der "So"-Tour sind allesamt mit an Bord. Besonders auffällig: Manu Katchés Drumming als Nervenkostüm der Lieder und David Rhodes mit schneidend intensiven Gitarren.

So hinterlassen dann auch die heftigsten und zartesten Momente inmitten dieser Popmesse den allergrößten Eindruck. Der neue Song "Show Yourself" glänzt mit Cello und lediglich angedeutetem Rockriff fast kammermusikalisch. Das Juwel "Mercy Street" taucht etwas später die gesamte Halle in eigentümlich finstere Romantik.

Dazwischen diese immer wieder aufflackernden Rock-Eruptionen. "Red Rain" steht wie ein monumentaler Felsen im Zentrum des Gigs. Bei "Digging In The Dirt" und erst recht dem krassen Elektro-Industrial "The Tower That Ate People" serviert Gabriel so ziemlich die härtesten Minuten seiner Karriere. Klopften beide Tracks an die Tür von Nine Inch Nails oder Gary Numan, würden sie dort sicherlich von Herzen geschätzt werden.

Zum Grande Finale gibt es natürlich "Biko" als ewige Sahne auf der Torte. Nach Gabriels empathischem Appell gegen Rassismus und Faschismus jeder Art rockt dieses letzte Lied den Abend dann als totale Katharsis nach Hause. Halb Feiertrack, halb Requiem. Das passende Ende eines perfekten Abends.

Trackliste

  1. 1. Daddy Long Legs
  2. 2. Come Talk To Me
  3. 3. Shock The Monkey
  4. 4. Family Snapshot
  5. 5. Digging In The Dirt
  6. 6. Secret World
  7. 7. The Family And The Fishing Net
  8. 8. No Self Control
  9. 9. Solsbury Hill
  10. 10. Show Yourself
  11. 11. Red Rain
  12. 12. Sledgehammer
  13. 13. Don’t Give Up
  14. 14. That Voice Again
  15. 15. Mercy Street
  16. 16. Big Time
  17. 17. We Do What We’re Told (Milgram’s 37)
  18. 18. This Is The Picture (Excellent Birds
  19. 19. In Your Eyes
  20. 20. The Tower That Ate People
  21. 21. Biko

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LAUT.DE-PORTRÄT Peter Gabriel

Peter Brian Gabriel wird am 13. Februar 1950 in Cobham, Großbritannien geboren. Bereits im Alter von elf Jahren beginnt er, erste Songs zu schreiben.

5 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Splendid !

    Gerade die Band Besetzung wird das Konzert sicherlich zu einem Erlebnis der Sonderklasse machen.

    Insbesondere auf Manu Katchés Drumming bin ich total gespannt ... ich war damals schon von seinen Schlagwerkkünsten auf der "Secret World Live Tour" sehr angetan .. alleine das Drumming zu "Digging in the Dirt" -> Weltklasse !!!!

    Direkt mal die Amazone beauftragen ^^

    Steffusch

  • Vor 9 Jahren

    Ich habe das Konzert im Oktober 2013 live in Hamburg erlebt. Die DVD bringt die Atmosphäre gut rüber und lässt mich die vielen Highlights nochmals in Ruhe und im Detail genießen. Ob es wirklich das beste Live-Album von P.G. ist, darüber kann man trefflich streiten. Die Secret World Tour von '93/94 hält dank einer kürzlich erfolgten Bild- und Ton-Optimierung gut dagegen und hat meiner Meinung nach immer noch das beeindruckendste Gesamtkonzept aus Musik und (für damalige Zeiten revolutionärer) Bühnenshow.

  • Vor 9 Jahren

    Ich war dieses Jahr in Köln und durfte das Konzert erleben. Großes Kino. Ich denke ich werde dann bei der DVD mal zugreifen müssen.

  • Vor 9 Jahren

    Ich fand das Konzert in Hannover dieses Jahr auch Weltklasse. Der beste Sound, den ich je in einer solchen Halle erlebt habe. Und Songtechnisch kann Gabriel ja nicht so viel falsch machen.
    Katché und Rhodes waren klasse, aber m.E. hält Levin mit seinem Bass die Stücke (vor allem der So-Phase) zusammen. War jedenfalls beeindruckend und die DVD istr bei mir auf dem Wunschzettel.

  • Vor 9 Jahren

    So unterschiedlich können die Wahrnehmungen sein. Ich persönlich fand das Konzert (Düsseldorf in meinem Fall) wie auch die DVD seelenlos und komplett uninspirierend. Das mag daran liegen, dass ich die original Tour 1986 besucht habe oder auch daran, dass ich das ganze alte Material nicht mehr hören und sehen kann. Ewig dasselbe! PG hat es einfach verpasst, in den letzten 25 Jahren mal wieder relevante Alben zu machen. Sein bestes Livezeugnis ist und bleibt für mich "Plays Live". Und hätte er von seiner Warming-Up Tour ein Album/DVD herausgebracht, so wäre DAS sicherlich mein Favorit. Die Setlist (Motto "We Do What We're Told - Fanwünsche") war nicht zu toppen!