laut.de-Kritik

Im Goldenen Zeitalter der Groteske.

Review von

Die Leute. In der U-Bahn, auf der Straße, im Geschäft und auf der Arbeit. Menschen sind anstrengend, ohne sie geht es aber auch nicht, und das eigene Überleben ist abhängig von dieser Spezies. Viel wichtiger: Wir gehören ja selbst zu ihnen, auch der Kölner Songschreiber PeterLicht.

"Ich habe mich abgemüht mit Menschen / Ich habe versucht, sie zu verstehen", singt er in "Menschen" und kommt zu der Erkenntnis, dass er bei allen Kontaktversuchen und Beobachtungen in erster Linie sich selbst gesucht hat. "Ich versuchte neue Mützen / Doch eigentlich suchte ich einen neuen Kopf." Was bringt es, die anderen zu verstehen, wenn das eigene Ich ein Rätsel bleibt? Existenzialisten-Pop könnte man so etwas nennen, aber dazu hat der Kölner zu sehr Spaß am Absurden.

Nicht alles auf "Wenn Wir Alle Anders sind" muss man verstehen. Das "Chipslied" birgt überraschende Wahrheiten: "Erst, wenn die letzte Metro abgefahren ist, werdet ihr sehen, dass es Metrosexuelle nicht gibt." Ergibt das Sinn? Vielleicht weiß ja Meinrad Jungbluth, so PeterLichts bürgerlicher Name, die Antwort und lacht aus seiner Meta-Welt über uns. Genauso gut möglich erscheint aber, dass das alles spontaner Nonsense ist.

Das eben nicht genauer zu erklären, trägt zur Spannung und dem Diskurs bei. Es soll ja auch noch Musik geben. Die gerät bei PeterLicht besonders vielfältig: Genauso wenig, wie er sich für DIE Wahrheit oder große Botschaft entscheidet, setzt er klare Genre-Grenzen. Verspulter Fahrstuhl-Sound, Folk und Electronic, Folk ohne Electronic: Kann alles, nichts muss wirklich.

Wie im Electro-Pop-Song "Umentscheidungslied": Die vielen Optionen des Alltags und der Selbstoptimierung können ja nur in Fehlern enden. "Du hast dich vertätowiert / Ich habe mich verfönt / Sie hat sich veroperiert / Er hat sich vertippt." So etwas Dummes aber auch, dabei steht die Chance auf Weltkarriere doch so gut, wenn der Erfolgsmensch sich möglichst weit von sich selbst entfernt. Oder, wie es das Reggae-ähnliche "Liebeslied von Unten" noch einmal präzisiert: "Ich werde so super sein, wenn ich erst einmal anders bin."

Dem Zelebrieren von Glück, Ruhm und Daueroptimierung steht das Nichteingeständnis von Traurigkeit und Scheitern gegenüber. Das traurige "Die Nacht" beschreibt diese Koexistenz anhand eines Glases, das in Scherben fällt, und Tieren, die sich zum Sterben einfach hinlegen. "Wenn ein Glas bricht, verlieren sich die Splitter, sonst bräuchte das Glas keinen Bruch."

Warum fällt es uns so schwer, zu akzeptieren, dass auch Brüche unser Leben ausmachen, nicht nur das Glas? Oder das Tier, das sein Ende einfach akzeptiert: "Wenn ein Tier nicht mehr kann legt es sich in die Prärie / Sonst bräuchte die Prärie kein Tier." Es ist tot, aber hat einmal existiert. Geburt: schön. Leben: leben. Sterben: normal. Es wäre alles einfacher, diese Dinge anzunehmen, statt vor ihnen zu fliehen.

"Die Nacht" zeigt auch, dass die frühen Vergleiche mit Helge Schneider , gerade zu Zeiten von "Sonnendeck", doch nicht so viel Sinn ergeben. Der Mülheimer ist ebenfalls ein Meister des Absurden, aber bildet dabei selten die Realität ab.

Der größte Witz unserer Zeit kommt eh längst nicht mehr von PeterLicht. Das goldene Zeitalter der Groteske ist endgültig angekommen, und Licht nicht einmal mehr ihr Clown. Mit "Wenn Wir Alle Anders Sind" hat er die Chronik der "What A Time To Be Alive"-Ära geschrieben.

Trackliste

  1. 1. Chipslied
  2. 2. Candy Käsemann
  3. 3. Emotionale - Hört Die Signale!
  4. 4. Menschen
  5. 5. Die Nacht
  6. 6. Kontolied
  7. 7. Umentscheidungslied
  8. 8. Liebeslied Von Unten
  9. 9. Letzte Tote Des Großen Krieges
  10. 10. Umentscheidungslied (Zwitscher)

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