laut.de-Kritik

Brave Balladen in exotischem Klanggewand.

Review von

Was soll man davon halten, wenn ein Mann, der über dreißig Jahre lang Rock- und Pop-Geschichte geschrieben hat, die erste Single seines ersten Albums seit sechs Jahren "Can't Stop Loving You" nennt? Vielleicht, dass der Mann keine Angst vor Klischees hat. Dass er über ein sehr gesundes Selbstbewusstsein verfügt und etwas vom Geschäft versteht. Ja, Phil Collins weiß, wie der Hase läuft.

Die Singleauskopplung seines neuen Albums "Testify" hält, was ihr Titel verspricht. Mit Vibrato und in hoher Stimmlage stemmt der nunmehr 51-jährige Phil Collins all die großen und einfachen und klaren Gefühle, die sonst eher Teenagern zuzuordnen sind. Doch nicht nur, was die eher simplen Texte angeht, ist "Can't Stop Loving You" durchaus typisch für die restlichen Songs von "Testify", die allesamt blitzsauber nach dem klassischen Strophe/Refrain/Strophe-Muster gestrickt sind.

Phil Collins hält sich also streng an die Spielregeln des Geschäfts, seinen musikalischen Genius versteckt er im Detail. Wie konsequent die Auftaktstrophe von "Can'T Stop Loving You" zum Refrain hinführt, wie Melodie und die bei Collins schon immer farbenfrohe Harmonik dabei andere Tonarten streifen, wie sich der Refrain zum großen Finale hin steigert, das muss man nicht mögen, aber kunstvoll durchgeführt ist es schon.

Vergleichsweise mutig war Phil Collins bei der klanglichen Ausgestaltung seiner sonst so braven Balladen. Mal unterlegt er sphärische Flächen mit geloopten Downbeats ("Swing Low"), mal kontrastieren perlende Keyboards mit blubberndem Bass ("Driving Me Crazy"), mal gibt Collins gar de Kelten ("The Least You Can Do"). Fehlt aber die exotische Klangkomponente wie zum Beispiel im Titelsong "Testify" oder in "You Touch My Heart", bleibt die reine Langeweile und man fragt sich, ob Collins nach dem vor zwei Jahren erlittenen Hörsturz wirklich nur auf einem Ohr ertaubt ist.

So abgenutzt und verbraucht die gängigen Strickmuster auch sein mögen, der kleine Mann mit Glatze fühlt sich in ihnen offenbar pudelwohl. Nicht einmal fällt dem ehemaligen Schlagzeuger und Sänger der ProgRock-Supergroup Genesis eine Masche runter. Schade eigentlich.

Trackliste

  1. 1. Wake Up Call
  2. 2. Come With Me
  3. 3. Testify
  4. 4. Don't Get Me Started
  5. 5. Swing Low
  6. 6. It's Not Too Late
  7. 7. This Love This Heart
  8. 8. Driving Me Crazy
  9. 9. The Least You Can Do
  10. 10. Can't Stop Loving You
  11. 11. Thru My Eyes
  12. 12. You Touch My Heart

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