laut.de-Kritik

In diesen Songs ist kaum mehr Platz zum Atmen ...

Review von

"Always Stays The Same/Nothing Ever Changes"?

Was erwartet man von Placebo? Großes! Aber auch eine große Veränderung? Ist das überhaupt möglich? Wohl nicht, wenn das markanteste der Band die Stimme des Sängers ist. Denn die wird gleich bleiben. Und doch haben Placebo über ihre ersten drei Alben gezeigt, dass sie sich sehr wohl weiterentwickeln. War der Erstling noch laut und direkt, versank "Without You I'm Nothing" in einer Melancholie, die einem den Boden unter den Füßen nahm. Auch "Black Market Music" machte vor der Traurigkeit keinen Halt, doch fächerten Placebo inhaltlich und musikalisch ihr Repertoire breiter.

Wo also sollte das vierte Werk der drei Wahl-Londoner noch hinführen? Allem voran halten Placebo es mit eiserner Stiltreue. Sowohl die Stimme als auch der Gitarrenklang Brian Molkos sind nicht zu verkennen. Brillantes und präzises Spiel der Instrumente sind bei allen drei Stammmitgliedern ohnehin vorauszusetzen. Vom Sound her lehnt es sich trotz der Arbeit mit Elektro-Produzent Jim Abbiss (Björk, U.N.K.L.E.) und Brians eher der Elektronik verschriebenen Nebenprojekten klar an die Vorgänger an. "Sleeping With Ghosts" befindet sich damit eindeutig auf der Gitarrenseite.

Am Anfang des Albums stand jedoch zunächst ein kreatives Loch. 'Burnout-Syndrom' nennt Brian Molko das, was am Beginn der Arbeiten zu "Sleeping With Ghosts" unter den Bandmitgliedern geherrscht hat. Dann kam einem der Drei die zündende Idee. Statt ewig auf einem Haufen zu sitzen und auf die Muse zu warten, kauften sie sich drei identische Mini-Homestudios und einige Instrumente. Damit konnte jeder zu Hause seine kreativen Einfälle festhalten und per Tape an die anderen Bandmember verschicken.

Herausgekommen sind eindeutig Perlen des Gitarrenrock. Intim klingen die Stücke, sie gehen nahe. Vor allem die langsamen Tracks lassen keine Distanz zwischen dem Hörer und der Musik zu. Man wird aufgesogen von der Stimmung der Songs eines Mannes, der sich selbst als 'nachdenklicher, latent schwermütiger Mensch' bezeichnet. Die Texte hat Brian sehr persönlich gehalten, besteht jedoch darauf, dass sie - im Gegensatz zu früheren Alben - nicht mehr ausschließlich autobiographisch sind.

Das beklemmende "Something Rotten" geht von einem fast erdrückend langsamen Eingangspart, in dem jeder Ton sich wie Kaugummi zu ziehen scheint, plötzlich in einen wütenden Ausbruch über. Wenn die Band dazu erklärt, es gehe in dem Song um den Missbrauch von Minderjährigen, kann man sich keine gelungenere musikalische Umsetzung dieses Themas vorstellen.

Der Sound ist dichter als auf den Vorgängern. Das wird schon beim instrumentalen Opener "Bulletproof Cupid" deutlich. Über Typische Placebo-Klänge der härteren Gangart werden für die Band etwas ungewöhnlichere Riffs gesetzt, die dem Ganzen eine große Kompaktheit geben. In den Songs ist kaum mehr Platz zum Atmen. Sound reiht sich an Sound, Eindruck an Eindruck. Dabei beherrscht die melancholische Schwermütigkeit wieder die Spielfläche. Ängste werden verarbeitet, vorherrschend die vorm Älterwerden.

Wie auf den vorherigen Alben schaffen es alle Songs, direkt in die Gefühlswelt des Hörers einzuschlagen und sich über diesen Weg in ihm festzusetzen. Und doch stechen einige besonders hervor. Neben dem oben erwähnten "Something Rotten" ist der Band mit "This Picture" eine geniale Untermischung elektronischer- sowie noisiger Elemente in einen Gitarrenrock/pop-Song gelungen. Nichts hätte besser gepasst, als die Platte mit einer zerbrechlichen, lullaby-artigen Ballade wie "Centrefolds" enden zu lassen. Sie hinterlässt den Hörer in einem Schwebezustand zwischen Beklemmung und unendlich ruhiger Leichtigkeit.

"Don't Forget To Be The Way You Are"!

Trackliste

  1. 1. Bulletproof Cupid
  2. 2. English Summer Rain
  3. 3. This Picture
  4. 4. Sleeping With Ghosts
  5. 5. The Bitter End
  6. 6. Something Rotten
  7. 7. Plasticine
  8. 8. Special Needs
  9. 9. I'll Be Yours
  10. 10. Second Sight
  11. 11. Protect Me From What I Want
  12. 12. Centrefolds

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