laut.de-Kritik
Sex mit Unsichtbaren.
Review von Vicky ButscherNach der langweiligen ersten DVD "Soulmates Never Die", die außer einem zwar beeindruckenden, aber nicht ungewöhnlichen Live-Auftritt der Band nur ein schmales Backstage-Special zu bieten hatte, erwarte ich nicht viel von der neuen Placebo-DVD. Doch ich werde eines anderen belehrt. Die Single-Zusammenstellung ist mehr, als der Name vermuten lässt. Unterhaltung pur ... und noch viel mehr!
Placebo-Videos bewegen sich auf einem sehr hohen Level. Eine einfache Zusammenstellung wäre wohl etwas langweilig. Riesigen Unterhaltungswert haben dagegen die Videos mit Audiokommentaren der Band, die mit der Zeit immer alberner werden. Hier erfährt man nicht nur Insider-Informationen über Band und Aufnahmen, sondern auch über krudes Medienrecht (so dürfen in Musik-Videos zwar geschlossene, nicht aber offene Scheren gezeigt werden ...) und selektive MTV-Politik.
Zunächst bietet die DVD 17 dunkle Videos, die den Stil, die Attitüde und das Image von Placebo visuell auf den Punkt bringen. Unglaublich ästhetische, dabei aber alles andere als geradlinige Kurzfilme. Placebo haben einen Hang zu sarkastischen, künstlerisch verspulten Regisseuren. Schon zu ihrem ersten Video führt Chris Cunningham (später Aphex Twin, Björk) Regie. Ein Video, das fast komplett unter Wasser spielt, sogar die Szenen mit Instrumenten.
Es scheint als hätten sie schon zu ihrem dritten Video "Nancy Boy" ihren endgültigen Stil gefunden. Den Regisseur Howard Greenhalgh engagiert die Band, da ihnen sein zynisches Video zu Soundgardens "Black Hole Sun", in dem er Barbiepuppen auf dem Grillspieß schmelzen lässt, so gut gefällt. Zu Placebos Musik entwickelt der Director einen visuellen Kosmos, der die Musik der Band optimal widerspiegelt: Leicht surreale Bilder wie im Meisterwerk "Bruise Pristine". Die Fahrt in den Schlund einer Plastikpuppe zu Beginn des Videos zeigt, welche Ästhetik vorherrscht: Dunkle Plastikwelten, in denen erschlagend schöne Models ihre Blutergüsse präsentieren. In denen Männer, an deren Körper langsam Milch hinunter läuft, an der Decke hängen. Surreale Farben, die eine Bret Easton Ellis-Stimmung verbreiten. Sex-Orgien werden angedeutet. Die Grundstimmung bleibt kalt.
Ein weiteres Meisterwerk kreiert der Regisseur mit dem Video zu "Slave To The Wage". Ein Video, das - trotzdem es in Farbe gefilmt ist - eine Schwarz-Weiß-Ästhetik besitzt. Es erhält die Optik eines futuristischen 60er-Jahre Films. So entsteht auch hier eine unwirkliche, distanzierte Stimmung, zu der zusätzlich die Story und die unnahbare Hauptdarstellerin beitragen.
Doch nicht nur Greenhalgh schafft es, Placebos Songs 1:1 in visuelle Eindrücke umzusetzen. Auch Nick Gordons "Pure Morning", ein düsterer Kurzfilm über einen Selbstmörder, Barbara McDonoghs "Taste In Men", eine Dreiecks-Liebesgeschichte, in der Brian Molko einfach umwerfend aussieht, und "Special Needs" von Paul Gore, das Sex mit Unsichtbaren zeigt, sind kleine Meisterwerke der Musikvideokunst. Die Stimmung der Songs, der Kulisse und der verwandten Farben ergeben ein vollendetes Ganzes.
Auch "You Don't Care About Us" zeigt ein gutes Bild: Darin gibt es eine Szene, in der Brian Molko exakt so guckt, wie man sich als Placebo-Fan mit 16 fühlt: Aufgeschreckt aus der heilen Welt, ängstlich, vor dem was kommen mag. Etwas Schwäche zeigen nur die Live-Performance-Videos wie "Every You Every Me" und "Without You I'm Nothing" mit einem väterlichen David Bowie.
Vor allem wegen der sehr interessanten und unterhaltsamen Kommentaren der Band zu den Videos, lohnt sich der Kauf der DVD. Wenn ich darüber jetzt mehr erzähle, sind allerdings die Pointen weg, also: selber anschauen.
Das Feature "Care In The Community" gibt dann einen noch tieferen Einblick in die Gedanken und Erlebnisse der einzelnen Mitglieder der Band und den kompletten Placebo-Kosmos. Brian, Steve und Stefan geben zunächst alleine, dann im Gespräch Antworten auf Fragen - über sich und die anderen Band-Mitglieder - die man als DVD-Schauender leider nicht mitbekommt. Kennt man sich mit Placebo und den Geschichten um die Band nicht gut aus, gibt es hier einige Sprünge in den Stories, bei denen man nicht mitkommt. Trotzdem erfährt man so Dinge über die Band, die aus ihren eigenen Mündern kommen und garantiert kein Gossip sind.
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