laut.de-Kritik
90-Feeling satt. Und trotzdem musikalisch relevant.
Review von Franz MauererEin schönes, sehr britisches Cover! Es lässt erahnen, was sich schon beim Opener "Losing My Sense Of Taste" bestätigt: Pretenders sind immer noch richtig cool. Wie schon auf "Hate For Sale" vor drei Jahren funktioniert die Zusammenarbeit im Songwriting zwischen der mittlerweile 71-jährigen Chrissie Hynde und dem Gitarristen James Walbourne geradezu unverschämt gut.
"Losing My Sense Of Taste" beginnt den Reigen souverän und schmissig, "A Love" setzt noch einen drauf und ist aus keiner Pretenders-Best Of mehr wegzudenken. Mehr 90-Feeling geht kaum, und beide Songs erwischen den Sweet spot zwischen Melancholie, Coolness und Dynamik, für den Hynde zu Recht ein Superstar wurde. Walbourne, seit 2008 im Boot, lässt sein Muckertum nur selten wie auf "Merry Widow" aufblitzen. Es gelingt ihm durchgehend, trotz seiner dominanten Position songdienlich zu agieren.
Das neben Hynde einzig verbliebene Originalmitglied, Martin Chambers am Schlagzeug, legt zunehmend lange Pausen ein und wird bei der Tour (und wohl auch bei den Aufnahmen) größtenteils von Kris Sonne ersetzt. Hynde beweist ihr ungebrochen glückliches Händchen bei der Personalauswahl nicht nur beim Stammpersonal, sondern auch mit der Kooperation mit Jonny Greenwood, die im Schlusssong "I Think About You Daily" deutlich vernehmbar ausfällt.
Mit David Wrench produziert einer der wichtigsten britischen Produzenten der Gegenwart, der "Relentless" ein grungiges, aber nicht zu erdiges Gewand verpasst. Hyndes Stimme lässt es in manchen Songs - etwa der zu braven Single "Let The Sun Come In", im missratenen Refrain von "Domestic Silence" und dem ideenlosen "Vainglorious" - an Dynamik und Schärfe vermissen. Sie vermeidet die ganz dramatischen Akte, scheint das eigene stimmliche Limit zu akzeptieren und wird an vielen Stellen von Walbourne unterstützt. Davon profitiert der Sound insgesamt, das Ergebnis kommt rund und authentisch, denn Wrench verzichtet darauf, einen starken Kontrast zwischen Stimme und Instrumenten herzustellen.
Das nur vordergründig ruhige "Look Away", das ebenfalls angenehm unstete "The Copa" und "I Think About You Daily" verlangen dennoch nach einer gewissen stimmlichen Reife, über die Hynde zweifelsohne locker verfügt. Sie klammert sich nicht an eine punkige Auslegung von Rock, sondern erweitert die Palette, ohne zu bemüht zu wirken und ohne Pop zu injizieren. Hynde lässt es zwischendurch einfach nur langsamer angehen.
Dabei entdeckt sie auf "The Promise Of Love" gar eine Gravitas, die ihr früher völlig fremd gewesen wäre. Die unterschwellige Gefahr von "Your House Is On Fire" passt ganz ausgezeichnet zu Hynde, die bis auf wenige Ausnahmen ("Just Let It Go") auch textlich überzeugt. Man kauft ihr die unaufdringlichen Altersweisheiten ab. Die Pretenders waren nicht nur selten besser als auf "Relentless" - sie ziehen ihr Ding auf eine Art und Weise durch, die sie tatsächlich wieder musikalisch relevant macht.
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