laut.de-Kritik

Reibt Salz in jede offene Wunde.

Review von

"Deutschrap braucht mehr denn je zuvor einen, der reingrätscht, einen, der ihm beisteht." Obwohl ich wenig halte vom ewigen Geschrei, wie schlimm doch alles geworden und wie viel besser früher angeblich alles gewesen sei: Wer wollte dem schon widersprechen? Jemand, der Stolperfallen auslegt, um den reibungslosen Gang der Dinge zu stören, hat selten etwas uninteressanter gemacht, und Beistand hat noch nie geschadet.

Bloß nimmt, wer ihn auch nur flüchtig kennt, Prezident kein Stück ab, dass er tatsächlich gekommen sein könnte, um dem Genre irgendeine Hilfestellung zu leisten. Viel eher passt zu ihm die Rolle als "Ekel Alfred", der beobachtend in seinem Sessel fläzt und so genüsslich wie süffisant Salz in jede offene Wunde reibt, bis auch noch der kleinste Kratzer zu schwären beginnt.

Listen wir kurz auf, womit zu rechnen war: übellaunige Misanthropie, scharfe Beobachtungen und treffende Situationsanalysen, geschliffene Worte, präzise gezeichnete Bilder und Atmosphären, plastisch wie Filmkulissen. Beats, größtenteils von Haus- und Hofbeatbastler Jay Baez. Kaum Featuregäste, und wenn doch, dann kommen sie aus dem innersten Kreis. Können wir alles abhaken, "Gesunder Eskapismus" birgt all das.

"Menschenfeindlichkeit? So ein Klischee. Ich mag sie alle, nur nicht in meiner Nähe", is' klar. Prezident liefert "Musik zum Aus-dem-Fenster-springen", seziert gesellschaftliche wie Szene-interne Mechanismen, zieht Parallelen zwischen Kriminalität, Industrie und Politik und streut dann einen Löffel Zucker drüber, ehe er in "Meta Meta Meta" die duckmäuserische Praxis, Dinge, Musik, Menschen, was auch immer "ironisch" zu feien, grußlos schlachtet.

Einen überfälligen Perspektivenwechsel vollzieht Prezident, wenn er dazu nötigt, die Ergüsse mancher seiner Kollegen "Durch Die Augen Der Mutter Eines Rappers" zu betrachten. Heißen Dank dafür! Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich mir die Frage schon gestellt habe, was sich wohl die Muttis dieser Typen denken, wenn sie zwischen Gangstergehabe, Ghettoglorifizierung und Misogynie den obligatorischen ihnen gewidmeten rührseligen Mama-Song vorfinden.

"Katze Und Handschuh" steckt voller detailgenauer Beschreibungen, es wirkt deswegen so ekelhaft und unangenehm, weil es schlicht krass gut erzählt ist. Letzteres gilt genauso für das 20.000-Meilen-unter-dem-Meer-mäßige Tiefseeszenario in "Sternzeichen Einsiedlerkrebs" mit seiner Flut unverbrauchter Metaphern. "Anglerfische sind mein Nachtlicht für die nächsten tausend Jahre" - wundervoll, zumal der Beat den Eindruck noch verstärkt, irgendwie in ein Retro-Sci-Fi-Hörspiel abgetaucht zu sein. Als "Beifang" geht dazu noch Kamikaze-Bruder Mythos ins Netz, das Instrumental hierzu hat er gleich mitgebracht.

"Schau, heute rapp' ich irgendwas und steck' meine Seele rein. Mach' ich morgen gleich noch mal mit dem genauen Gegenteil." "Flickenteppich", die vermutlich ehrlichste Nummer auf dieser ganzen Platte, zeigt das Dilemma, in dem Prezident festsitzt, recht genau: Der Mann ist gut. So gut, dass er alles behaupten könnte, und das Gegenteil eben auch. Da er aber ohnehin besser als alle anderen weiß, dass er gut ist, ist er auf ergebene Bauchpinselei gar nicht aus. Weshalb er sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, im Zweifel lieber sogar seiner Anhängerschaft in die Weichteile zu treten, als irgendwie handzahm oder absehbar zu wirken.

Doch gerade dieses Nicht-absehbar-wirken-Wollen macht die Angelegenheit recht absehbar. "Ich pflege meine Alben wenig pflegeleicht zu halten", erklärt Prezident. Was vermutlich erklärt, warum er auch diesmal wieder glaubt, Triggerwörter streuen und auf der "Afterparty Auf Der Montagsdemo" ausgerechnet mit denen schäkern zu müssen, die es für okay oder gar begrüßenswert halten, dem "heute-Show-Gesocks" eine mitzugeben. "Enfant terrible, und sie kriegen mich nicht eingemeindet." Sicher? Ein Versuch, starre Erwartungshaltungen zu durchbrechen, ist halt genau, was ich von Prezident erwartet habe, und die Art und Weise, wie er es (erneut) versucht, die auch.

Trotzdem, und trotz der für meinen Geschmack viel zu zahlreichen Skits und diesem wieder und wieder eingesampleten Comedian (oder was auch immer das für einer ist, wird sich schon um irgendeinen streitbaren Typen handeln, der mit steilen Thesen um sich geschmissen hat): "Gesunder Eskapismus" ist (wenig überraschend) gut gelungen und obendrein (gerade im Vergleich hierzu) irre schön verpackt: Das Artwork rundet das Konzept äußerst stimmig ab.

Im abschließenden "Zonk" macht Prezident, weitaus aggressiver als zuvor, noch einmal extradeutlich, wo seine Qualität liegt: "Hört und staunt, wie er es fertigbringt, ein Mixtape von Pop Smoke zu hören und danach nicht wie er zu klingen auf eigenen Tracks." Ja, stimmt: "Nicht so scheiße wie der Rest auch noch 2021."

Trackliste

  1. 1. Ekel Alfred
  2. 2. Halbseiden
  3. 3. Ein Löffel Zucker (Skit)
  4. 4. Meta Meta Meta
  5. 5. Katze Und Handschuh
  6. 6. Interlude
  7. 7. Perlen
  8. 8. Unter Ferner Liefen
  9. 9. Limitierte Fashion Drops (Skit)
  10. 10. Sternzeichen Einsiedlerkrebs
  11. 11. Therapeutisch (Skit) mit DJ KB
  12. 12. Durch Die Augen Der Mutter Eines Rappers
  13. 13. Afterparty Auf Der Montagsdemo
  14. 14. After Afterparty (Skit)
  15. 15. Beifang mit Mythos
  16. 16. Methanol Und Frostschutzmittel (Skit)
  17. 17. Adrenochrom Ist Alle
  18. 18. Flickenteppich
  19. 19. Zonk

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11 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Ich komme geschmackstechnisch ursprünglich nicht vom HipHop her und hab auch gerade mit deutschem Rap oft ein Problem, weil mir Inhalte wichtig sind. Aber ich muss sagen, Prezi, trotz aller Misathropie, gefällt mir von den deutschen Rappern am allerbesten (neben Marsi). Ich hab da son Gefühl von "Wenn du Prezi nicht hörst, brauchst du auch keine anderen deustchen Rapper hören (was inhaltliche Relevanz und dichterische Fähigkeiten betrifft)"

    Zum Album: Ich finde Katze und Handschuh klingt wie eine Huldigung an MF DOOM, nicht nur die Beats sondern auch inhaltlich ist das wie eine Nacherzählung des Tales, das MF DOOM selber um sich strickte. Auf "Zonk" gibts ja auch ein DOOM Sample wenn ich richtig höre...

  • Vor 3 Jahren

    Die Lockerheit tut ihm gut. Deswegen sind die Songs auf denen er freidreht (Ekel Alfred, Abenochrom...) auch die klaren Highlights. Ich finde auch, dass er sich textlich noch einmal weiterentwickelt hat. Stellen wie die von Dani zitierte mit den Anglerfischen sind abstrakter und lyrischer als die Sachen, die er früher gebracht hat. Und auch, wenn ich Lust drauf hätte, ihn mal wieder über so ein Epic Infantry Brett bolzen zu hören, sind die Beats allesamt dope.
    Für den ganz großen Wurf ist es mir etwas zu zerfasert, die beiden letzten Songs passen z.B. nicht ganz zum Rest des Albums und die Skits werden sich wohl demnächst abnutzen. Kann aber auch sein, dass ich die Vorabsongs zu oft gehört habe und die deswegen immer als Brüche zum Rest wahrnehme.
    Im Deutschrap kommt eh nix an den ran, aber ich hätte gern auch mal wieder eine Prezi-Album, bei dem man das Gefühl hat, dass ihm dass was er rappt nahe geht, wie das bei Alice oder Limbus der Fall war.

  • Vor 2 Jahren

    Der erste Durchgang macht gerade Laune. Bin gespannt, ob es wie die meisten seiner Alben weiter wächst