laut.de-Kritik

Das perfekte Prince-Album der Achtziger.

Review von

Vier Prozent der Weltbevölkerung können Farben hören. Beziehungsweise sehen sie eine bestimmte Farbe beim Klang eines bestimmten Sounds. Erste Aufzeichnungen dieser "Synästhesie" liegen hunderte Jahre zurück. Seit 1984 jedoch könnten Wissenschaftler wahrscheinlich Rekordanstiege davon verzeichnen. Der Auslöser? "Purple Rain" kommt in den Kinos, der Soundtrack steht monatelang auf Platz 1. Seit damals ist die Farbe Purple untrennbar mit der Musik von Prince verbunden.

Nach den ersten Hits des Vorgängeralbums "1999" stehen alle Vorzeichen auf großen Wurf. Und der landete nicht nur, sondern schlug ein. "Purple Rain" ist bis heute ein unabdingbarer Baustein einer jeder respektablen Musiksammlung. Ein Album, das Genres leichtfüßig ad absurdum führt. All killer, no filler. Nicht umsonst spielte er bei seinem unangetasteten Peak im neuen Jahrtausend – der Superbowl Halftime Show 2007 – drei Songs von "Purple Rain" und nur einen von "1999".

Auf neun Songs in 44 Minuten erschafft Prince ein unglaublich dichtes Werk, das unter dem dicken Popmantel allerlei Extreme auslotet. Das beginnt beim Sound. Bei mehr als der Hälfte der Songs hat seine Backing Band, The Revolution, bei Komposition und Aufnahmen ihre Finger im Spiel, was einen organischen und durchaus rockenden Klangteppich über das Hörerlebnis ausrollt. Der Funk weicht nicht ganz, es ist aber klar sein pop- und rockorientiertestes Album. Die letzten drei Songs der Platte ("I Would Die 4 U", "Baby I'm A Star", "Purple Rain") sind alle live bei einem Konzert im "First Avenue" Club in Minneapolis aufgenommen, später lediglich mit Overdubs bearbeitet. Die ursprüngliche Performance kann man in einer herrlich verpixelten Aufnahme auf YouTube nachsehen, für Sammler großer Momente der Musikgeschichte ein Muss.

Den Anfang macht aber Prediger Prince auf der Kanzel der Lebensweisheit von "Let's Go Crazy". "Dearly beloved, we are gathered here today to get through this thing called life" hat als Opening Line auch vierzig Jahre später nichts an ihrer Relevanz verloren, bevor unverhohlener Uptempo-Spaß einsetzt und die volle Band mit ansteckender Spiellaune und Feuersalven aus Prince' Gitarre ein bombastisches Intro hinlegt. Das allein manifestiert schon ein Kernelement von Purple Rain: Die Gitarre. Stärker dominant als auf seinen restlichen Alben in den Achtzigern, greift er öfter zu verzerrten, verlängerten Soli statt Funk-Geschruppe. Kein Wunder, dass "Let's Go Crazy" nach dem Titeltrack und "Kiss" der dritthäufigste Livesong auf den Prince-Bühnen ist.

Einen Gang runter schaltet "Take Me With U", hat dafür aber Apollonia Kotero auf dem Beifahrersitz, die im Film die Freundin des Hauptcharakters "The Kid" spielt und hier mitsingt. Nach dem perkussiven Intro macht der warme Chorus den Song zum emotionalen Happy Place des Albums. Einprägsame Melodien, klare Grooves und Keyboard-Riffs, purer Prince-Trademark. Aus diesen Zutaten schöpft auch das etwas funkigere und hektischere "Computer Blue" und gönnt sich wieder längere Instrumentals, die passgenau die Aufmerksamkeitsschleife entlang sausen.

Dazwischen bastelt Prince als Multiinstrumentalist komplett im Alleingang an eigenen Soundlandschaften, allen voran das transformative "The Beautiful Ones", das in manischen fünf Minuten wohl die grandioseste Zurschaustellung des Stimmregisters des Sängers ist. Zart säuselnd schmachtet er seine Angebetete an, dass sie sich nun endlich entscheiden müsse. Er oder der Andere. In Ermangelung einer Antwort zieht er im souligen R'n'B-Gewand nach der zweiten Strophe sprichwörtlich andere Gitarrensaiten auf und fleht kreischend über einen harten Kopfnicker-Groove endlich um Klarheit. Ein Meisterstück in explodierender Dynamik, komplett vom Meister selbst eingespielt.

Nicht weniger Extreme lotet das rohe "Darling Nikki" aus, das zwischen polternden funky Drums, Lyrics über ein besonderes sexuelles Treffen und einem simplen wie kraftvollen Duett von sahnigen Synthies mit der Gitarre aus heiterem Himmel eine Doppelbassdrum aus dem Hard Rock ausborgt und zum schrägsten Gospel anhebt. Screamer von Hardcore-Bands jener Zeit warfen wohl besiegt ihr Mikrofon in den Staub, ob der kompletten Hingabe der Vocals im großen Finale des Lieds.

Damit noch nicht genug: Auf "When Doves Cry", dem dritten Alleingang der Platte, unterschlägt uns der Mann aus Minnesota einfach den Bass, erlaubt dafür einer kantigen wie einprägsamen Synthie-Figur, uns den Weg zum Dancefloor zu weisen, während sich rundherum die Gitarre hochgeigt. Natürlich hilft der Poprefrain für die Ewigkeit.
Auf "I Would Die 4 U" lenkt auch die ratternde Hihat-Maschine nicht davon ab, dass es einer von Prince' besten Lovesongs ist. Die leichte Melancholie hat viel Raum, gleichzeitig funktioniert der Song in den Clubs, und schraubt sich mit seiner simplen Melodie drastisch in die Gehörgänge.

Die Tanzschuhe bleiben aber noch an, wenn mit "Baby I'm A Star" das mehr als gesunde Ego von Prince zur Party lädt. Der Uptempo Party-Funk in überaus packender Form auf Platte eingefangen – live streckten The Revolution den Songs teilweise jenseits der 15 Minuten.

Bis dahin wird auf "Purple Rain" gemeinsam gepredigt, geschwärmt, getanzt, gewinselt, gekreischt, gestöhnt, geschmachtet, geschreddert und gegroovt. Und dann erfüllt dieser erste Akkord Zeit und Raum. Ein unverkennbar violetter Sound, der den Titeltrack "Purple Rain" einläutet und bis heute Gänsehaut auslöst. Gitarristen Wendy Melvoin begleitet in perfekter Abgeklärtheit das ikonischste Gitarrenintro des bekanntesten Prince-Songs. "Purple Rain" ist DIE Power Ballade, der Showcloser, der Feuerzeug-Moment. Wiederum passt hier alles zusammen: Sparsame Instrumentierung der Band, die genau weiß, wann sie die Dynamik nach oben oder unten schrauben muss. Der Gesang, der jede Silbe mit jeder Faser seines Körpers ernst meint. Der mehrstimmige Chor im zweiten Chorus, der es immer eine Etage höher gen Himmel trägt.

Dann ist die Zeit gekommen für eines der besten Gitarrensoli der populären Musik. Wie ein Schmerzensschrei und ekstatischer Höhepunkt zugleich steht diese erste jammernde Note in der Luft, mit einem Selbstverständnis, als ob die Zuhörerschaft nicht ohnehin schon schwer schnaufte nach diesem Bravourritt durch alle Genres, durch alle Emotionen. Diese packt der empathische Künstler in ihm wieder am Schopf und dirigiert uns mit seinem Sechssaiter durch alle Aufs und Abs, versöhnt uns mit dem größten kommunalen Erlebnis, dem Singalong.

Mit diesem Solo – und mit dem restlichen Album - zementierte er seinen Guitar Hero-Status, der bis heute noch viele überrascht. Wenn Prince seine purple Gitarre aber Nacht für Nacht zum grandiosen Weinen brachte, konnte nichts diese Einheit aus Menschen und Instrument zerbrechen. "Purple Rain" war der letzte Song, den er vor seinem Tod gespielt hat. Es hätte keinen besseren Schlusspunkt geben können.

Prince Rogers Nelson thront immer noch über uns allen. Mundwinkel und Augenbraue hochgezogen zum Grinser, die Gitarre in seinen Händen, seinem Publikum und der Welt bis zuletzt immer zwei bis drei Schritte voraus. Legt man "Purple Rain" auf, sieht man nicht nur die Farbe, sondern auch ihn. Ein wahrer Triumph des Purple Ones.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Let's Go Crazy
  2. 2. Take Me With U
  3. 3. The Beautiful Ones
  4. 4. Computer Blue
  5. 5. Darling Nikki
  6. 6. When Doves Cry
  7. 7. I Would Die 4 U
  8. 8. Baby I'm A Star
  9. 9. Purple Rain

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LAUT.DE-PORTRÄT Prince

Wenn jemand nach dem Unterschied zwischen Soul und Funk fragt, genügen als Demonstration zwei Songs: "Let's Stay Together" von Al Green - und "Sexy Motherfucker".

7 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Für mich liegt auch hier - wie so häufig bei Prince - Licht und Schatten sehr dicht beisammen. Wobei ich gestehen muss, dass ich Funk vermutlich einfach nicht verstehe und ich deshalb die Rock- und Pop-Songs einfach viel viel lieber höre.

    Mein Lieblings-Prince-Album ist bezeichnenderweise auch eines (fast) ganz ohne Funk, nämlich "Come".

  • Vor 2 Jahren

    Das Album, das das Leben so vieler Teenager in den 80er Jahren hin veränderte - zu absoluten Prince-Fans. Jede, aber jede Zeile kann man hier mitsingen - in Fleisch und Blut übergegangen durch höchste Rotation. Ein Meisterwerk, ohne Frage. Jedes Prince-Album hat seine Höhepunkte, und ob PR nun das beste war - es ist auf jeden Fall das Album, das am meisten Menschen bewegt hat!

  • Vor 2 Jahren

    die poppigen, eingängigen Lieder kann man sich anhören- wenn sie gerade zufällig irgendwo laufen. Aber eigene Motivation diese anzustellen ist nicht da; geschweige denn für die anderen.