laut.de-Kritik

Stilvoller kann man Sido nicht dissen ...

Review von

Selig sind die Porno-Fans. Statt mit der vierten Veröffentlichung auf Albenlänge in zwei Jahren seinen Ruf als arbeitswütiges Genie zu zementieren, bastelt uns der Prinz ein monströses Paket aus Album und Hörspiel. Inclusive Bonus-CD in der Limited Edition. Nebenher gab es dieses Jahr die EP "Instinkt" und die Best Of "Geschriebene Geschichte". Und da soll noch mal jemand bestreiten, Studenten hätten zu viel Zeit.

Obwohl Berliner, hat der Rapper auch auf diesem Album nicht im geringsten Lust, seinen Intellekt zu verstecken. So nutzt er die traditionelle Einführung nicht nur zur ebenso traditionellen Selbstbeweihräucherung, sondern zu einem äußerst frechen Versprechen: "Ich reduzier mich auf das Minimum, / das ist das Intro zu dem größten deutschen Liedwerk seit den Nibelungen." Allerdings ist der Berliner wohl derzeit auch der deutsche MC, der sich dieses Vergleiches am wenigsten schämen müsste. Der Beat mit hektischen Geigen und verträumter E-Gitarre unterstreicht den bombastischen Opener jedenfalls ordentlich.

"Instinkt" mag zwar einen ziemlich gewöhnungsbedürftigen Beat haben, technisch jedoch gehört es zu den anspruchvollsten Titeln der Scheibe. Vom grenzgenialen Text abgesehen: "Doch ich kann euch rausbringen, das hier ist kein Pseudobrei, / das Ziel ist klar: Durchgeladen und Feuer frei! / Eichel sagt: "Steuer frei", Fischer sagt: "Visa frei", / deutscher Rap ist wie die Politik: alles Krieg und Schießerei!" Der Berliner verkörpert den vermutlich interessantesten Trieb der Rapszene: den intellektuellen Anarchisten, den Punk der Neuzeit.

Letztes Jahr schenkte er Berlin mit "Würfel" eine Hymne, die den kriminellen Moloch der Hauptstadt aus einem neutraleren Licht schilderte, als es die Kollegen von Aggro und Konsorten zu tun pflegen. "Kette" ist sowohl musikalisch als auch textlich der legitime Nachfolger auf Bundesebene. Obwohl er das Original gewissermaßen noch toppt, zählt der Track nicht zu meinen engeren Favoriten. Der schlichte Grund: Dieses Album wartet mit ganz anderen Bomben auf.

"Bonnies Ranch III" ist definitiv eine davon. Für die Sicht des Wahnsinns auf die Welt, erzählt aus der Perspektive dreier Egos, bastelt Biztram einen Kopfnickmonster vor dem Herren. Wer sich dieses Stückchen öfter als dreimal am Stück anhören kann, braucht entweder eine gute Selbstmassagetechnik oder Stallones Stiernacken. Der wird jedoch zunächst wieder geschont: Für "Die Bomben schlafen" beweist der Labelproduzent eindrucksvoll, dass man mit Chorsamples und Violine auch Klassiker schaffen kann, ohne viel Wert auf einen dicken Bass zu legen. "Wie in einem Film liegt das Schicksal der Welt am / Ende dann unter dem Finger eines zweiten Dr. Seltsam".

Nach diesem zynischen Meisterwerk im Disney-Filmmusik-Gewand darf sich der Prinz in den harten Ecken der Hauptstadt wohl nicht mehr blicken lassen, aber es ist eh fraglich, ob er da hin will. Taktlo$$, erster Featuregast der Platte, ist da schon eher gern gesehen, obwohl er in seinem Part zu "Von & Zu" kaum einen Reim hinbekommt. Das ist weder was Neues, noch erwähnenswert, da sein Part trotzdem beinahe so gut ist wie der Refrain: "Von Kleinlichkeit und Recht und Freiheit / zu Wettskandalen, und Geiz und Geilheit. / Von Dichern und Denkern / zu Richtern und Henkern / zu Kiffern und Bankern / zu Strichern und Gangstern."

Etwas ruhiger geht es da bei dem besinnlichen "Meine Roots" zu. Wer außer dem Freundeskreis traut sich schon sonst noch, lediglich auf eine Akustikgitarre und eine Frauenstimme zu rappen? Vielleicht ist der Beat eine kleine Spur zu glatt für die schmunzelnden Erinnerungen des Rappers: "Dann kam Tschernobyl und Angst vor verseuchten Nüssen. / Ich hatte mehr Angst vor Omas feuchten Küssen." Kaum zu glauben, dass jemand mit einer relativ unspektakulären Jugend heute Tracks wie "Peng Peng Peng" macht. Außer vom Blumentopf kam aus der deutschen Musikszene wohl noch keine derart treffende Kritik an US-Präsident Bush. Nicht übertrieben demagogisch, aber zynisch bis in die Knochen. Und äußerst intelligent: "Das ist Schach, die weißen Türme geschlagen. / Die schwarze Dame raucht man heute als den schwarzen Afghanen." Alleine für diese Zeile sollte man dem Mann eigentlich permanent den Hintern küssen.

Und seinem Produzenten gleich dazu: "Berlin, Meine Große Liebe" baut eine unwahrscheinlich süßsaure Stimmung auf. Nach dieser hymnenhaften Liebeserklärung fällt es schwer, die Hauptstadt noch wegen überzogenem Metropolismus und vollgepisster U-Bahnhöfen zu kritisieren. "Das ist nicht der Nabel der Welt, aber auch nicht ihr Arsch", fasst der Rapper seine Sicht der Heimat treffend zusammen, nachdem er vorher vier Minuten lang ein paradoxes Bild der Millionenstadt gezeichnet hat. Dieser Track stellt jeden einzelnen Track der Konkurrenz mit gleicher Thematik in den Schatten. Leider hält selbst Biztram dieses Niveau nicht auf Albenlänge durch: der recht eintönige Beat zu "So Viele Fragen" schmälert die Wirkung der Lyrics doch beträchtlich. Verschwörungstheorien sind ja gewissermaßen ein ständig wiederkehrendes Muster auf den Alben des Berliners; hier ballert er eine beachtliche Anzahl Mysterien auf den Leser los. Wenn jemand Dan Brown sein Leben lang auf Trab halten will, muss er ihm eigentlich bloß diesen Text übersetzen.

Battleerfahrung hat Prinz Pi nach der ausgedehnten "Wir Batteln Jeden-Tour" zu Genüge, und mit Crews hat er nach Promolle, 333SDK und der Beatfabrik auch keine Berührungsängste. Was liegt also näher, als das eigene Labelanthem wie einen Boxkampf aufzuziehen? Während Biztram mit einem unfassbar ironischen Part eigentlich den gesamten Sektor der Crewhymnen ad absurdum führt und der Russe Bobidze ordentlich in Doubletime spittet, sammelt der Kopf von No Peanuts mit ansehnlicher Technik und abgeklärter Coolness Sympathiepunkte. Dafür sieht man dem Duo auch "Herr Claßen" nach. Der musikalisierte Werdegang eines Kannibalen bleibt weitgehend unauffällig, auch wegen des faden Beats. Diesen Ausrutscher kann nicht mal die großartige Zeile "Herr Claßen machte Peter hacke, dann aus Peter Hackepeter" mehr retten.

Muss sie auch nicht: Es folgt die nächste Bombe. Hieß der erste wütende Aufschrei des Berliners noch "Keine Liebe", serviert er jetzt "Keine Idole" deutlich zeitgemäßer. Statt Dre'schem Headbanger gibt es orientalische Flöten, der Satan spricht (unter anderem) aus Handyklingeltönen. Und stilvoller als mit der Zeile "Keine Liebe, keine Arbeit, keine Zukunft, kein Job, / keine Freunde, keine Kohle, kein Bock!" kann man Sido kaum dissen. Der Prinz beherrscht sein Handwerk nach wie vor, und das auf jeder Ebene. Dazu gehört traditionell auch die Kritik am Bonzentum und Konsumorientierung der Zehlendorfer Bevölkerung. Der Rapper kommt nicht aus dem Ghetto, aber sollte das Bild, das er in "Wie Die Zeit Vergeht" zeichnet, zutreffen, erscheint Neukölln auf einmal erstaunlich wohnlich. Musikalisch bewegt sich der Track hart an der R'n'B-Grenze, was jedoch nicht negativ ins Gewicht fällt. Auch "Schreibmaschine" mit seiner stakkatierten Mexikotrompete und konträrem Keyboardsound hat nicht viel mit herkömmlichen Hip Hop-Beats zu tun, und dennoch ist der Track trotz seines eher nichtssagenden Textes viel mehr als nur ein Lückenfüller.

Wie Pi ausgerechnet Frank Zander überreden konnte, für das amüsante "Meene Stadt" den Refrain einzusingen, bleibt mir ein Rätsel - ebenso wie ein Teil des Textes nach dem ersten Durchgang. Berliner Mundart wird häufig als primitiv beschimpft, in dieser swingenden Reminiszenz an das Berlin der Goldenen Zwanziger beweisen die drei Akteure nachdrücklich, dass der Dialekt Kultcharakter hat. Wurde bis jetzt vorsichtig experimentiert, schmeißen Beatbastler und Rapper nun sämtliche Konventionen über Bord. Mit dem Aka "The Artist Formerly Known As Prinz Porno" misst er sich nicht grundlos mit einem anderen musikalischen Grenzgänger. "Zünd Die Welt An" stampft mit Elektronikbeats und Stimmverzerrung alle bisherige Atmosphäre nieder. Es dauert eine Weile, bis diese kranke Hymne seinen vollen Charakter offenbart, aber wenn sie es tut, schlägt sie ordentlich ein. Die Forderung mag von Filmen wie Fight Club geprägt sein, so prägnant wie Prinz Pi brachte es bisher jedoch niemand auf den Punkt. Vielleicht braucht der Nachfolger "Schwarz Ist Das Neue Schwarz" noch eine Weile, bis ihm das gleiche Schicksal zuteil wird; neben Herr Claßen bildet der Track für mich den einzigen Wermutstropfen der Scheibe, dieses Mal jedoch in textlicher Hinsicht.

Da macht "Der Rand" einiges wieder wett: Ob das Lied sein offensichtliches Vorbild "Schöne Neue Welt" von "TMHS" toppt, ist schwerlich zu entscheiden - es spielt aber definitiv in der selben Liga. "Ich will zu Tupac und Elvis, / das Ende der Welt ist / nicht mehr weit weg, und nichts hält mich." Es steht zu hoffen, dass er diese Zeile ebenso wenig ernst meint wie den Titel des Outros. "Wenn ich gehe, machst du weiter wie jetzt / diese Zeile sind nur Worte in einem weiteren Text / und ich will, dass du weißt, dass dich keiner ersetzt / das ist ein Schwur, dass keiner den anderen verlässt, und der gilt ab jetzt." Mit dieser Gänsehautstimmung entlässt der Prinz eine verstörte Hörerschaft wieder in den Alltag, mit der Gewissheit, dass viele die Welt fortan ein klitzekleines bisschen anders betrachten.

Bei einer so hervorragenden ersten CD muss man sich schon beinahe überwinden, auch dem zweiten Teil der Platte eine Chance zu geben. Nur: Was soll man dazu noch sagen? Ein gerapptes Hörspiel im Fantasygewand, Beats im Stil des Herr Der Ringe-Soundtracks. War Torch mit "Der flammende Ring" mutig, ist Prinz Pi mit "Der Herr Der Dinge" ein Kamikazebomber. Die Story des Epos soll nicht verraten werden, nur so viel: Neben dem Prinzen mit der eisernen Maske tritt auch der König auf, der seinen rebellischen Sohn in einer winterlichen Vision begräbt. Eine kreative Höchstleistung, wie der Deutschrap sie wohl noch nie gehört hat.

Um mich nicht weiterhin mit Superlativen überschlagen zu müssen: Das Album gehört zum Größten, was dieses Genre bislang hervorgebracht hat. Und jetzt: Kaufen, Marsch Marsch, solange die Limited Edition noch nicht vergriffen ist.

Trackliste

Donnerwetter

  1. 1. Donnerwetter
  2. 2. Instinkt
  3. 3. Kette
  4. 4. Der Plan (Skit)
  5. 5. Bonnys Ranch 3
  6. 6. Pssst (Skit)
  7. 7. Die Bomben Schlafen
  8. 8. Von & Zu ft. Taktlo$$
  9. 9. Meine Roots
  10. 10. Peng! Peng! Peng!
  11. 11. Berlin, Grosse Liebe
  12. 12. So Viele Fragen
  13. 13. Singt Die Lieder ft. Biztram, Bobidze
  14. 14. Herr Claasen
  15. 15. Keine Idole
  16. 16. Wie Die Zeit Vergeht ft. Biztram
  17. 17. Schreib- maschine
  18. 18. Meene Stadt ft. Frank Zander, Biztram
  19. 19. Zünd Die Welt An
  20. 20. Schwarz Ist Das Neue Schwarz
  21. 21. Der Rand
  22. 22. Ich Gehe

Der Herr Der Dinge

  1. 1. Das Weite Land
  2. 2. Der Bote
  3. 3. Im Thronsaal
  4. 4. Zur Altstadt
  5. 5. Die Spelunke
  6. 6. In Das Dorf
  7. 7. Das Prinzendorf
  8. 8. Der Aufbruch
  9. 9. Der Dunkle Wald
  10. 10. Räuberhaupt- mann
  11. 11. Über Die Berge
  12. 12. Die Prophezeiung
  13. 13. Angriff Der Orks
  14. 14. Die Vogelreiter
  15. 15. Der Ritt
  16. 16. Dorffest
  17. 17. Orks Im Morgengrauen
  18. 18. Das Singende Schwert
  19. 19. Der Winterwald
  20. 20. Lagerfeuer
  21. 21. Die Gefährten
  22. 22. Der See
  23. 23. Das Geisterschiff
  24. 24. Die Flotte
  25. 25. Auf Dem Hügelkamm
  26. 26. Der Prinz Eröffnet Die Schlacht
  27. 27. Die Schlacht
  28. 28. Mit Letzter Kraft
  29. 29. Entscheidung
  30. 30. Der Herr Der Dinge

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Pi,Prinz – Donnerwetter! €4,73 €3,00 €7,73

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Prinz Porno

Prinz Porno stammt wie beinahe jeder Berliner Rapper, der etwas auf sich hält, aus dem Royalbunker Freestylecafé-Umfeld. Dort feilen schon früh spätere …

LAUT.DE-PORTRÄT Prinz Pi

Prinz Pi, ehedem Prinz Porno, stammt wie beinahe jeder Berliner Rapper, der etwas auf sich hält, aus dem Royalbunker-Freestylecafé-Umfeld. Dort feilt …

42 Kommentare