laut.de-Kritik

Eine Ausnahme-Band erreicht ihr volles Potenzial.

Review von

"Punk-Rock tried to kill the metal, but they failed, as they were smite to the ground." Jack Blacks musikhistorische Aufarbeitung des Metal-Genres im Tenacious-D-Song "The Metal" bleibt bis heute korrekt. Dass Metal und Punk aber nicht nur im kriegsähnlichen Zustand nebenher existierten, sondern auch innige Liebesbeziehungen eingingen, lässt Black allerdings sträflich außer Acht. Eine der Bands, die diese Stil-Symbiose am eindrucksvollsten gelingt, sind die Kanadier Propagandhi.

Auf ihrem fünften Studioalbum "Supporting Caste" fügt das Quartett aus Winnipeg Punk, Thrash, Hardcore, Hardrock und sogar Stoner Rock-Elemente zu einem einzigartigen Genre-Mix zusammen, der ordnungsliebenden Plattensammler zum Verzweifeln bringt. Progressive Punk stellt da als Bezeichnung noch eine schwammige Notlösung dar. Letztlich bleibt die richtige Genre-Zuordnung auch egal. Hauptsache, man besitzt diese Platte überhaupt.

Dass Propagandhi heute zu den versiertesten Punk-Bands zählen, war zu ihren Anfangszeiten nicht absehbar. Ihr Debüt "How To Clean Everything" von 1993 auf dem Label Fat Wreck Chords schmiegte sich noch an den Skatepunk von Labelboss und NOFX-Frontmann Fat Mike an. Wie die großen Vorbilder von der kanadischen Kultband SNFU rollte Chris Hannah unbeschwert durch die Halfpipe und wäre auf einem Tony-Hawk-Soundtrack nicht weiter aufgefallen.

Die spätere Komplexität und Härte entwickelten sie erst mit dem Bassisten Todd Kowalski, der 1997 zu Propagandhi stieß. Kowalski brüllte zuvor in der furiosen Hardcore-Band I-Spy, deren Songs rückblickend eine gute Aufschlüsselung der Propagandhi-DNS liefern. 2005 komplettierte der zweite Gitarrist David Guillas das Klangbild, das auf "Supporting Caste" ein bis dato unerreichtes Spektrum an Stilmitteln zeigt.

Der gewaltige Thrash-Einstieg "Night Letters" fegt den Melodic-Punk früherer Tage gnadenlos hinweg. Allein in der ersten Minute des Songs stapeln Propagandhi unbarmherzige Riffs aufeinander, verzieren das Ungetüm mit einem konternden Gitarrensolo, nur um es schließlich mit einem harten Break wieder einzureißen. In "Night Letters" stecken Ideen für mindestens vier einzelne Songs, die Propagandhi organisch ineinander fließen lassen.

Die trügerische Verschnaufpause nach dieser Achterbahnfahrt beendet Kowalski mit einem schmerzerfüllten Bericht aus einem Flüchtlingsheim in Winnipeg, wo er vor den Aufnahmen als Helfer gearbeitet hatte. "Your world was blown right apart on a night of sickening death / You went running for your life and never went home again". Im Zusammenspiel mit dem Schlagzeug-Dauerfeuer schnüren diese Lyrics die Kehle zu.

Der Protest gegen politische und gesellschaftliche Systeme bildet neben den komplexen Songstrukturen ein Kernelement in der Musik von Propagandhi. In "Dear Coach's Corner" rechnet Hannah etwa mit einer kanadischen Herzensangelegenheit ab: der Inszenierung von Eishockeyspielen. Als sich bei einem Besuch mit seiner Nichte in der Pausenshow Soldaten von der Hallendecke abseilten, um die kanadischen Truppen zu feiern, verlies Hannah angewidert die Arena.

Mit dem offenen Brief an den Sportreporter Ron MacLean macht der Frontmann seinem Ärger über die Militarisierung von Sportereignissen Luft. Seine Nachricht vertonen Propagandhi mit großartiger Dynamik, die den Song zwischen offensiver Wut und nachdenklicher Ruhe schwanken lässt. Guillas' akzentuiertes Gitarrenspiel schließt den Song versöhnlich ab. Propagandhi teilen Songs meisterhaft in einzelne Episoden auf, deren Spannungsbögen bis ans Ende fesseln.

So auch im Titeltrack, in dem flimmernde Gitarren zu Beginn den Sturm heraufbeschwören. Die Band zelebriert hier eine explosive Mischung aus Thrash und Hardcore, die sie immer wieder mit Breaks aus dem Gleichgewicht bringen. Im Auge des Sturms befindet sich ein kurzer Moment der Ruhe, den schließlich ein Gitarrenriff zerstört. Diese Abrechnung mit der Obrigkeit durch einen cineastischen Vergleich steht als Paradebeispiel für das phänomenale Songwriting von Propagandhi.

An anderer Stelle bilden wuchtige Hardcore-Speed-Metal-Monster wie "Incalculable Effects" Kontraste. Kowalskis Shouts gehen bis ins Mark, während das Hauptriff durch das Klanggerüst sägt. Solche harten Schnitte wirken niemals deplatziert, sondern fügen sich nahtlos in das Gesamtwerk ein. Propagandhis enorme musikalische Reichweite macht sie zu einer Ausnahmeband, die auf "Supporting Caste" erstmals ihr volles Potenzial ausschöpft. Ein Glück, dass Metal und Punk sich dann doch vertragen haben. Propagandhi haben letztlich beide Genres auf ein neues Level gebracht.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Night Letters
  2. 2. Supporting Caste
  3. 3. Tertium Non Datur
  4. 4. Dear Coach's Corner
  5. 5. This Is Your Life
  6. 6. Humane Meat (The Flensing Of Sandor Katz)
  7. 7. Potemkin City Limits
  8. 8. The Funeral Procession
  9. 9. Without Love
  10. 10. Incalculable Effects
  11. 11. The Banger's Embrace
  12. 12. Last Will & Testament

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3 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Mehr als verdient und vor Allem hat Propagandhi bis heute eigentlich nur herausragend gute Werke veröffentlicht. So muss eine moderne & technisch anspruchsvolle Kombi aus Punk, Rock und Metal sich anhören und die Text haben meist Tiefe und regen den Geist an. PS: Live sind die natürlich auch Weltklasse:)

  • Vor 3 Jahren

    Absolut verdient, wobei ich Supporting Caste und seinen nicht minder genialen Nachfolger Failed State als insgeheimes Doppelalbum sehe. Vllt. weil sie für Propagandhi-Verhältnisse kurz (3 Jahre) hintereinander erschienen sind und als einzige alben mit Dave Guillas an der Gitrre ihren eigenen Sound haben, der sie verknüpft.

  • Vor 3 Jahren

    Oh, und n bisschen kurz oder? Sonst wird bei Meilensteinen doch mehr auf die einzelnen Songs eingegangen.
    Last & Will Testament baut sich instrumental fantastisch langsam auf. Humane Meat zeigt, dass Chris Hannah auch fantastische Pop-Melodien drauf hat - wenn auch mit morbid-sarkastischen Text. Without Love ist der wohl beste Punkrocksong zur Vergänglichkeit des Lebens einer geliebten Person - nur um am Ende zu offenbaren, dass er teilweise vom Tod von Hannahs Katze (!) beeinflusst ist (meine ich zumidnest gelesen zu haben, vllt. solltei ch den nochmal checken^^^). The Banger's Embrace ist dann musikalisch doch nochmal eine Reminiszenz an frühe Skatepunktage (Wobei Propagandhi schon damals die technisch versierteste Band auf Fat Wreck waren).

    Hach große Platte. Auch nett der Gag, dass hier der titeltrack vom Vorgängeralbum drauf ist.