laut.de-Kritik
Heavy Metal, Prog, Variéte, Oper: Alles war erlaubt.
Review von Michael SchuhIhr "Greatest Hits"-Album von 1981 ist bis heute das meistverkaufte Album aller Zeiten in Großbritannien. Ein Umstand, gegen den die Königlichen aus finanzieller Sicht bestimmt keine großen Einwände hegen. Was der phänomenale Erfolg ihrer Singles jedoch stets verdeckte, ist ihre unzweifelhafte Kunst auf Albumlänge.
Wie wohl bei jeder Band, die seit den 1970er Jahren Alben veröffentlicht, ist auch bei Queen die Frage nach dem Ausnahmewerk umstritten. Dass sowohl das zweite Album "Queen II" (1974) als auch das Spätwerk "The Miracle" (1989) in Hitlisten stets Spitzenplätze einnehmen, sagt viel über den kreativen Atem der Gruppe aus.
Abseits persönlicher Vorlieben wird jedoch jeder Kenner zugeben, dass das 1975er Werk "A Night At The Opera" eine kompositorische Wegmarke im Albumkanon darstellt. Die nach einem Marx Brothers-Film benannte Platte geriet in ihrer stilistischen Vielfalt und prätentiöser Opulenz so einzigartig und over the top, dass sie den direkten Nachfolger "A Day At The Races" von 1976 zu einem bloßen Outtake-Album degradierte.
Zweifellos war die Zeit, als "A Night At The Opera" erschien, eine gute für den R'n'R: Schnauzbärte, Frauenkleider, Synthesizer und "Wayne's World" lagen noch in weiter Ferne. Freddie Mercury, John Deacon, Roger Taylor und Brian May trugen schulterlanges Haar und hatten in Japan gerade Deep Purple als beliebteste Liveband abgelöst.
In Europa surften sie auf der Erfolgswelle des Single-Hits "Killer Queen" vom Vorgänger "Sheer Heart Attack" und brachten dort mit "Stone Cold Crazy" einen goldenen Thrash Metal-Vorläufer unter (für den die findigen Metallica 16 Jahre später einen Grammy einheimsen durften).
Das Quartett war also motiviert bis unter die Haarspitzen und gönnte sich im Sommer 1975 keine Verschnaufpause: 70 Stunden allein für den Gesang, 180 Overdubs und 36-Stunden-Sessions fürs Mixing standen am Ende zu Buche. "A Night At The Opera" war nach Veröffentlichung das teuerste Rock-Album aller Zeiten.
Den sechsminütigen Überhit, "Bohemian Rhapsody", schrieb Sänger Freddie Mercury im zarten Alter von 29 Jahren. In einem Interview erklärte er seinerzeit die Vision dahinter: "Ich wollte schon immer etwas Operettenhaftes schreiben. Der Anfang sollte schön stimmungsvoll klingen, von einem Rock-Teil abgelöst werden und schließlich übergangslos in einen Opern-Teil übergehen, um danach dank eines teuflischen Kniffs wieder zum Anfangsthema zurück zu kehren." Well done, chap!
Aus heutiger Sicht erscheint es unvorstellbar, aber natürlich wehrte sich die damalige Plattenfirma EMI ob dieses überlangen Stilexperiments mit Händen und Füßen gegen Queens Single-Wunsch. Zum Glück (für beide Seiten) vergeblich.
Die Band selbst war von ihrem Meisterwerk gleich überzeugt, wie sich Roger Taylor jüngst im Q Magazine erinnerte: "Ich liebte es. Zuerst spielte uns Freddie die Strophe vor, 'Mama, just killed a man, dah-dah-la, gun against his ...', das alles. Ich dachte, großartig, das ist ein Hit. In meinem Kopf war es aber weniger komplex. Ich hatte keine Ahnung, dass da noch eine Gilbert und Sulivan-Parodie dazukommen sollte. Freddie schrieb diese ganzen Massenharmonien auf die Rückseite von Telefonbüchern."
Das Album vereinte die stärksten Elemente aller bisher erschienenen Queen-Platten, eine ultimative Erfolgskombination. Mercurys erste Worte lauten "Du saugst mich aus wie ein Blutegel" und überziehen in für damalige Verhältnisse empörend roher Sprache den Ex-Bandmanager mit wüsten Flüchen. Musikalisch ist "Death On Two Legs" typischer Queen-Metal mit wehenden May-Gitarren und frivolem Mercury-Piano.
Auch Laut/Leise-Dynamiken spielen bereits eine Rolle, etwa im Übergang vom riffstarken Opener zum Music Hall-Stück "Lazing On A Sunday Afternoon": Aus einem mehrstimmigen, in die Länge gezogenen "Feel Gooood"-Chor entblättert sich plötzlich ein schüchternes Klaviermotiv, das Mercurys Liebe zum Variété aufzeigt.
Der letzte Akkord ist kaum verklungen, da holzt das von Drummer Taylor komponierte "I'm In Love With My Car" dazwischen, ein strukturell eher traditionelles Rockstück, das dennoch zu den beliebtesten aus seiner Feder zählt. Der Text entstand aus Liebe zu Taylors Alfa Romeo. Mit "You're My Best Friend" darf auch John Deacon erstmals seine Begabung für melodische Single-Kandidaten aufzeigen.
Brian May überrascht mit seinem McCartney-artigen Akustikstück "'39" und dem Ukulele-Song "Good Company". "The Prophet's Song" darf dagegen als kleine Fingerübung zur böhmischen Rhapsodie gelten: Ein nicht minder echobeladenes Prog Rock-Monster der Extravaganz.
"Love Of My Life" zählte nicht zu Unrecht schon kurz nach Veröffentlichung zu den wichtigsten Songs eines Queen-Konzerts, während die Chuzpe, das Album mit der Nationalhymne zu beenden, dem Wahnsinn die schimmernde Krone aufsetzt. Freddie Mercury beschreibt das Werk wohl am besten, wenn er sagt: "Auf diesem Album brachten wir alles unter, von der Tuba bis zum Kamm. Alles war erlaubt."
Zusammen mit den Alben "Queen", "Queen II", "Sheer Heart Attack" und "A Day At The Races" erschien das Album 2011 als Auftakt einer Reihe remasterter Neuauflagen mit Bonus-CD. Das Zusatzmaterial des "Opera"-Albums gerät hier eher unspektakulär im Vergleich etwa zu "Queen II" und "Sheer Heart Attack", auf denen jeweils zwei Songs aus BBC-Sessions ("Flick Of The Wrist", "Tenement Funster", "See What A Fool I've Been", "Nevermore") enthalten sind.
Und als würden die bis heute als Queen-Überlebende auftretenden Brian May und Roger Taylor von ihren eigenen Single-Hits selbst gelangweilt sein, erscheint mit "Deep Cuts" noch eine Compilation mit 14 "unbekannteren" Songs der ersten fünf Alben, eine Art Destillat der spannenden Queen-Seite. Der Quell an Wiederveröffentlichungen versiegt auch in den Folgejahren nicht, was manchmal bezaubernd ("A Night At The Odeon") und manchmal haarsträubend ("Forever") ist.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
warte auf eine Sonic Youth - Daydream Nation Rezi^^
Oh ja, klare Sache. Für mich ein unbestrittener Klassiker, damit habe ich meinen ersten selber gekauften Plattenspieler eingeweiht.