laut.de-Kritik

Pyros, Schlauchboot, Flügel, Peniskanone: muss man gesehen haben.

Review von

Einen fünf Jahre alten Auftritt zu veröffentlichen und zu einer Doku mit noch viel älterem Material mischen – das kann schonmal schief gehen und bei sechs Jahren ohne neuem Studioalbum schnell als Lückenfüller unten durch sein. Das braucht sich "Rammstein In Amerika" nicht gefallen zu lassen. Rammstein haben die Zeit genutzt. Ein Schnellschuss zum Überbrücken einer Studiopause sieht anders aus. Das vorliegende Ergebnis kommt der Perfektion nahe.

Die Ehre, die zweistündige Dokumentation zu eröffnen, bekommt Chad Smith. Der erste einer ganzen Riege namhafter Verehrer. Außerdem sprechen: Iggy Pop, Kiss, Marilyn Manson, Steven Tyler, Scott Ian, System Of A Down, Slipknots Clown, Munky, Wes Borland, CJ Ramone, Taylor Mommsen, Moby, Lzzy Hale und sogar Kiefer Sutherland. Warum der hohe Status bei diesen amerikanischen Größen? Erklärt die Doku.

Aber auch andere Seiten abseits der Prominenz kommen natürlich zu Wort. Agenten, Promoter, Fans, selbstverständlich die Band selbst. Letztere sowohl in neu aufgezeichneten Interviewrunden als auch durch Archivaufnahmen. Ein großer Teil des Doku-Footage speist sich übrigens aus Originalaufnahmen – angefangen bei einem Feeling B-Auftritt, bevor Rammstein überhaupt existierten, bis hin zum logischen Schlusspunkt des Films, dem Madison Square Garden-Konzert 2010.

Die Balance zwischen Storyelementen und eingestreuten Musikschnipseln gelingt hervorragend. Gerade in der ersten Hälfte, die den Aufstieg Rammsteins, im Hinblick auf die neue Welt, straff und informativ nachzeichnet. Die zweite Stunde verfügt zwar über vereinzelne Längen, nimmt sich dafür aber Zeit, Geschichten ausführlicher zu erzählen.

Die Doku beleuchtet erste Staaten-Erfahrungen der Bandmitglieder – noch ohne Rammstein – David Lynchs "Lost Highway"-Feature, die "Bück Dich"-Knast-Anekdote, begleitet den Durchbruch mit "Du Hast", die Reise nach Mexiko sowie den Wendepunkt in Form des Terroranschlags auf die Twin Towers. Dabei klammert der Film Verständigungsschwierigkeiten und das anstrengende Tourleben genausowenig aus wie Kritik an den anfangs als 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' gesehenen USA.

Stilistisch agiert die Dokumentation sehr klassisch. Ein Off-Sprecher führt durchs Programm, Interviews liefern den Inhalt, Videoclips veranschaulichen das Ganze. Das funktioniert durchweg gut. Gerade Leuten, die bisher wenig über Rammstein wussten, vielleicht sogar mit der Musik überhaupt nichts anfangen können, gibt die DVD einen Rundumblick auf das Kulturphänomen Rammstein anhand des Beispiels Amerika, thematisch aber im Grunde vollkommen universal. Und dank der spannenden Inszenierung dürften sich Beinhart-Fans, die das große Drumherum schon kennen, ebensowenig langweilen.

Schon gar nicht, wenn es um den zweiten großen Punkt von "Rammstein In Amerika" geht: Die Aufzeichnung der Show im New Yorker Madison Square Garden im Zuge des "Liebe Ist Für Alle Da“-Zyklus'. Worte bezüglich Rammsteins Livequalitäten bedarf es eigentlich keiner mehr. Selbst auf dem heimischen Bildschirm sind die sechs Musiker eine Macht.

Klar, man spürt die Hitze nicht, alles ist ein bisschen kleiner – nichtsdestotrotz visuell beeindruckend. Bild- und Tonqualität sind 1A, die Show bis ins kleinste Detail durchgeplant. Der Bandsound knallt massiv von der Bühne, der Atmo-Ton von Seiten des Publikums kommt dabei keineswegs zu kurz. Die Setlist konzentriert sich zunächst auf "neue" Stücke, stürzt sich aber bald schon in den Best-Of-Reigen, um die jahrelang wartenden Amerikaner nicht zu enttäuschen.

Rohes à la "Weisses Fleisch" trifft auf Mitsinghymnen wie "Du Hast", bei dem Till erst einmal seine Untertanen alleine singen lässt. Pyros, Schlauchboot, Flügel, Peniskanone – all inclusive. Nach intensivem Mittelteil um "Wiener Blut", "Frühling In Paris", "Ich Tu Dir Weh" und "Du Riechst So Gut" und fulminantem Finale, eingeleitet von "Sonne", abgeschlossen mit "Engel", steht am Ende der DVD "Klavier". Mit dem instrumentalen Piano-Arrangement klingt das Konzert friedlich aus.

Bleibt abschließend nur noch zu sagen: Das sollte man gesehen haben. Ob als Fan oder Neuling. Rammstein begeistern noch immer.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Rammlied
  3. 3. B********
  4. 4. Waidmanns Heil
  5. 5. Keine Lust
  6. 6. Weisses Fleisch
  7. 7. Feuer Frei!
  8. 8. Wiener Blut
  9. 9. Frühling In Paris
  10. 10. Ich Tu Dir Weh
  11. 11. Du Riechst So Gut
  12. 12. Benzin
  13. 13. Links 2 3 4
  14. 14. Du Hast
  15. 15. Pussy
  16. 16. Sonne
  17. 17. Haifisch
  18. 18. Ich Will
  19. 19. Engel
  20. 20. Klavier (Piano Version)
  21. 21. Documentary: Rammstein In Amerika
  22. 22. Making Of: Liebe Ist Für Alle Da

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10 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Klasse Veröffentlichung. Kann man überhaupt nicht meckern, zumal's das Ding für 23€ gibt und man dabei einfach nix verkehrt machen kann.

  • Vor 9 Jahren

    Meine Rammstein Fan Zeiten liegen schon ein paar Jahre zurück, trotzdem die BR am Freitag spontan mitgenommen. Das Live Konzert knallt ordentlich.
    Aber die Doku, Jesus, großartiges Teil. So stelle ich mir eine Band Doku vor. Perfekt, wirklich perfektes Teil.

  • Vor 9 Jahren

    Für große Show war ich schon immer zu haben. Als ich am 11.02.2010 in Dresden nach 650 km Anreise im Schneegestöber allerdings Rammstein sah, verfluchte ich sie.
    Keine Ahnung ob Rammstein am Sound schuld sind? Ich vermute aber das die Messehalle Dresden einfach nicht geeignet sind für den Sound von Rammstein (klang wie 120 Dezibel durch eine Colabüchse gejagt). Trotzdem das weiß man doch vorher als Band die so perfekt durch organisiert ist? Düsseldorf ISS Dome 06.12.2011 zweite Chance, dort waren sie gut an zu hören.
    Hoffentlich ist die BluRay nun eine kleine Entschädigung? Scheint so.....

    Gruß Speedi